Das Kopier-Karnickel lebt!

Privatkopie.net war eine Kampagne für den Erhalt der Nutzungsfreiheiten im Urheberrecht im Zuge der Umsetzung der EU InfoSoc Richtlinie (2001) in deutsches Recht. Initiiert wurde sie im April 2002 bei einem Treffen von Jeanette Hofmann, Bernd Lutterbeck, Robert Gehring und Volker Grassmuck. Mikro und das Team der Wizards of OS unterstützten organisatorisch, darunter die sinma, die diese Site bis heute pro bono hostet.

Der Erste Korb des Urherrechts in der Informationsgesellschaft (2002-2003)

Das heiße Thema der Zeit war, dass DRM das Privatkopierrecht ausschalten könnte. „Digital Rights Management“ hat in der Richtlinie unter dem Namen „technische Maßnahmen“ einen besonderen Umgehungsschutz erhalten, – um juristisch abzusichern, was technisch regelmäßig gehackt worden ist. Im März 2002 hatte das Bundesjustizministerium den Referentenentwurf für die erste Stufe der Umsetzung der verpflichtenden Bestimmungen der Richtlinie, den sogenannten Ersten Korb, vorgelegt.

Drauf antworteten Robert A. Gehring und Bernd Lutterbeck im April 2002 mit dem „’Berliner Ansatz’ zur Privatkopie“. Wir begannen, Unterschriften für unsere Petition für den Erhalt der digitalen Privatkopie zu sammeln. Im Sommer haben wir zusammen mit dem CCC die Positionen der Bundestagsparteien zu Informationsfreiheiten abgefragen. Die Antworten veröffentlichten wir im September 2002 als Orientierungshilfe für die bevorstehenden Bundestagswahlen. Am 12. Dezember 2002 übergaben wir die ersten 35.000 Unterschriften an Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (PM; davon haben sich beim Archivar leider keine photographischen Zeugnisse erhalten. Wer aushelfen kann, möge sich melden).

Am 23. Januar 2003 machten wir vormittags in der Bundespressekonferenz unsere Kritik an der Urheberrechtsnovelle der Bundesregierung der journalistischen Öffentlichkeit bekannt (PM). Dazu zeigten Bernd Lutterbeck und Robert A. Gehring in ihrer Stellungnahme anhand eines Selbstexperiments die Abstrusitäten des Lizenzgeschäfts auf.

John Perry Barlow
Andy Müller-Maguhn und JP Barlow

 

 

 

 

 

 

Abends traf sich die Urheberrechtsfamilie zur Alternativen Anhörung zur Novelle des Urheberrechtsgesetzes im Kinosaal der Humboldt-Universität Berlin. Mit dabei waren Dirk Günnewig, Politikwissenschaftler und DRM-Spezialist, Universität Dortmund (Redebeitrag PDF), Till Kreutzer, Institut für Rechtsfragen der Open Source Software (ifrOSS) (Redebeitrag PDF), Gabriele Beger, Vorsitzende der Rechtskommission des Deutschen Bibliotheksverbandes (DBV), Bernd Lutterbeck Professor für Informatik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin und Mitbegründer von privatkopie.net (Redebeitrag PDF), Annette Mühlberg, Leiterin des Referats Neue Medien und eGovernment beim ver.di Bundesvorstand, Berlin (Redebeitrag PDF), Andreas Bogk, Chaos Computer Club (CCC) und als Keynoter John Perry Barlow, Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation (EFF). Die Videos, deren Links im der Dokumentation der Alternativen Anhörung auf OVA, das Open Video Archive von Thomax Kaulmann, verweisen, sind mit dessen kläglichem Ende im Keller des ZKM Karlsruhe wohl unwiederbringlich verloren. (Die WayBackMachine hat reichlich .ram Dateien vom OVA, in denen aber nur die Adressen der .rm Dateien steht, die die eigentlichen Videodaten enthalten, die über rtsp ausgespielt und selber leider nicht vom IA archiviert wurden. Auch hier: Wer Kopien auf der Festplatte hat, ist eingeladen, sich zu melden.)

Annette Mühlberg

Bernd Lutterbeck

Dirk Günnewig

Wenige Tage später folgte die nächste gemeinsame Stellungnahme von privatkopie.net, Chaos Computer Club, Grüne Jugend, Netzwerk Neue Medien, LinuxTag e.V., ODEM.org, mikro e.V., FoeBuD e.V., I.D.I. Verband e.V., FITUG e.V., FIfF e.V. zum Gesetzentwurf mit der Forderung: Moratorium Jetzt! Doch die Bundesregierung hat nicht auf uns gehört und im April 2003 den Ersten Korb verabschiedet (PM), der im September 2003 in Kraft trat (Konsolidierte Fassung: Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, 13.09.2003; Materialien).

Der Zweite Korb: Legalisierung von P2P Filesharing durch die Tauschlizenz (2003-2006)

Sofort nach dem Inkrafttreten des Ersten begann die Verhandlungen zum Zweiten Korb mit einem Symposion des Bundesministeriums der Justiz in Zusammenarbeit mit dem Institut für Urheber- und Medienrecht in München am 16. September 2003 – natürlich mit Beteiligung von Privatkopie.net.

Auf der Konferenz Wizards of OS 3: The Future of the Digital Commons verabschiedeten Teilnehmende, darunter namhafte nationale und internationale Urheberrechtsgelehrte und Praktiker die Berlin Declaration on Collectively Managed Online Rights: Compensation without Control (21. Juni 2004). Sie richtete sich an die EU-Kommission, die mit einer Aufforderung zur Stellungnahme bereits die Überarbeitung der InfoSoc-Richtlinie eingeleitet hatte, die noch gar nicht vollständig umgesetzt war. Darin kritisierten wir die Vision einer allumfassenden DRM-Infrastruktur im Digitalen und plädierten für die logische Fortentwicklung der Privatkopieschranke im Internet, also für eine pauschal vergütetete Tausch-Lizenz, auch bekannt als „Kultur-Flatrate“ oder „Sharing Licence“. Noch am selben Tag haben wir und unsere Partner uns auch in unserer ersten Stellungnahme zum Zweiten Korb in Deutschland für „Kompensation ohne Kontrolle“ (21. Juni 2004) ausgesprochen.

Im September 2004 legte das BMJ dann den Referentenentwurf für ein „Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ vor. Unsere Stellungnahme folgte im Dezember: „Digitale Revolution für alle. Ein Plädoyer für durchsetzbare Schrankenbestimmungen für Privatkopie, Zitat und Filesharing“.

Auf der EU-Ebene hatte eine High Level Group on DRM eine Konsultation über ihren Abschlussbericht gestartet. Privatkopie.net und Bits of Freedom, Amsterdam, nahmen gemeinsam Stellung: „Putting users at the centre achieving an ‘information society for all’“ (20. September 2004). Der nächste Schritt der EU-Kommission in der Überprüfung des EU-Rechtsrahmens im Bereich des Urheberrechts war ein Arbeitspapier und einer Konsultation dazu. Unsere Stellungnahme (31. Oktober 2004) formulierten wir zusammen mit dem Aktionsbündnis ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF).

Die Idee einer pauschalvergüteten Tauscherlaubnis statt Massenkriminalisierung und allumfassendes DRM fand Anhänger in den USA, Brasilien und andernorts, aber vor allem in den Ländern des kontinentaleuropäischen Urheberrechts. Aber wäre eine Tauschlizenz nach internationalem und europäischem Recht überhaupt zulässig? Kritiker, darunter das BMJ, bezweifelten das.

In Frankreich hatten sich auf Initiative der beiden Musikverwertungsgesellschaften ADAMI und SPEDIDAM fünfzehn Organisationen von Musikern, Photographen, Designern, unabhängigen Produzenten, Bildungsprofis, Internet-Nutzern und Verbrauchern zur Alliance Public-Artistes zusammengeschlossen, um sich für die „Globallizenz“ einzusetzen (hier die letzte in der WayBackMachine gespeicherte Version von alliance.bugiweb.com aus dem März 2012). Die Beantwortung der Frage gab die Alliance beim Lehrstuhl von Prof. André Lucas an der Universität Nantes in Auftrag. Die Autoren zerlegen die Frage in zwei Elemente: Lässt sich der Privatkopie-Mechanismus auf das Herunterladen ausweiten, das eine Vervielfältigung darstellt? Und: Kann das exklusive Recht auf Online-Zugänglichmachung eines Werks, die als öffentliche Wiedergabe definiert ist, als verwertungsgesellschaftpflichtiger Vergütungsanspruch ausgestaltet werden? Beide beantworteten sie positiv. Es gab ihrer Analyse nach nichts in Frankreichs internationalen Verpflichtungen, was der Globallizenz im Weg stehen könnte. Dieses Rechtsgutachten erschien im Juni 2005 auf Französisch. Privatkopie.net hat, um die Studie einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen, mit Partnern die englische Übersetzung organisiert: „Peer-to-peer File Sharing and Literary and Artistic Property. A Feasibility Study regarding a system of compensation for the exchange of works via the Internet“ by Carine Bernault and Audrey Lebois, under the supervision of Professor André Lucas, June 2005, translated from the French by Leigh Smith and Cédric Palazzetti, March 2006. Im April 2006 haben wir zusammen mit FIfF, Netzwerk Neue Medien und CCC diese Studie in einem Offenen Brief an Bundesjustizministerin Zypries, die im März den Regierungsentwurf des Zweiten Korbs vorgestellt hatte, und an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages übergeben: „Content Flatrate ist machbar!“ (PM 26.04.2006 / English PM 28.04.2006). Damit enden die auf Privatkopie.net dokumentierten Aktivitäten. Das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft wurde im Oktober 2007 verabschiedet.

Es gilt weiterhin:

The Copy Rabbit lives on!

COPY = RIGHT!

Die Site ist archiviert und von allen aktiven Elementen bereinigt. Bundeskanzlerin Merkel und Justizministerin Zypries bekommen keine Mails mehr vom Unterschriftenformular. Aufgrund des archäologischen Charakters dieser Version von Privatkopie.net ist mit einer wachsenden Zahl von 404’s bei den ausgehenden Links zu rechnen. Das Korpus der Website selbst ist in einem stabilen Zustand. Auf dass das Kopier Karnickel der Nachwelt erhalten bleiben möge.

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