Volker Grassmuck
Ausarbeitung des Beitrags auf dem Kulturpolitischen Bundeskongress in Forum 10 über „Kulturflatrate & Creative Commons. Neue Bezahlmodelle und die Freiheit der Kunst”, erschienen auf : netz.macht.kultur, 11.11.11.
[UPDATE] Der Text ist abgedruckt in: Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Nummer 200 “Digitale Demokratie”, Heft 4, Dezember 2012, S. 83-89
Kulturellen Ausdruck wird es immer geben. Auch an der Bereitschaft, Künstlerinnen ihr Schaffen zu ermöglichen und sie dafür zu belohnen, fehlt es nicht, ob in Form von Mäzenen oder Markt, Klingelbeuteln oder Rundfunkgebühren, Steuergeldern oder Selbstausbeutung. Eine weitere Konstante scheint die extreme Ungleichverteilung von Aufmerksamkeit und Vergütung zu sein, vom armen Poeten, der nicht weiß, wie er den nächsten Tag überlebt, bis zum Superstar, der nicht weiß, ob er als nächstes eine Yacht oder einen Jet kaufen soll.
In diesem Feld setzt Kulturpolitik Grundwerte: die Grundversorgung mit Meinungsvielfalt, die Sicherung kultureller Vielfalt, die Gewährleistung von kultureller Bildung und rezeptiver und produktiver kultureller Teilhabe, die angemessene Vergütung der Urheber für die Nutzung ihrer Werke.
Die digitale Revolution und die anhaltende neoliberale Entsolidarisierung stellen ihre Ausgestaltung, wenn nicht gar die Grundwerte selbst in Frage. Lassen sich öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Stadt- und Staatstheater oder Filmförderung noch rechtfertigen? Oder umgekehrt: Wenn Qualitätsjournalismus im Netz keine Geschäftsmodelle findet, muss die öffentlich Hand ihn retten? Wenn digitale Rechtekontrolltechnologie jede einzelne Nutzung eines Urheberwerkes lizenzierbar macht, wozu braucht es dann noch Verwertungsgesellschaften? Was ist noch kulturelle Autonomie einer Gemeinschaft und was schon Wettbewerbsverzerrung?
Wir befinden uns mitten in einem gesellschaftsweiten Großexperiment. Überlieferte Regelungen und medientechnologische und -praktische Wirklichkeit klaffen immer weiter auseinander. Die einen versuchen, die Kluft mit aller gesetzlichen und technischen Gewalt zu schließen. Andere sehen sie als Nährboden für neue Ansätze. Kreative und Publikum, soviel ist deutlich, müssen ihren Gesellschaftsvertrag über Kultur neu aushandeln und mit Leben erfüllen.
Veröffentlichte Werke sind ihrer Natur nach öffentliche Güter. »Bits kann man genauso wenig unkopierbar machen, wie man Wasser dazu bringen kann, nicht nass zu sein.« (Bruce Schneier) Zwischen diesen beiden Beobachtungen spannt sich das Dilemma der Kulturfinanzierung auf.
Der historisch gewachsene Gesellschaftsvertrag antwortet mit verschiedenen Strategien darauf. Die öffentliche Hand stellt kulturelle öffentliche Güter bereit, z.B. durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, oder bezahlt private Akteure für ihre Herstellung, z.B. durch öffentliche Kulturförderung. Außerdem spricht die Gesellschaft Urhebern ein zeitlich beschränktes Ausschlussrecht an ihren öffentlichen Werken zu, um sie auf einem Markt handelbar zu machen. »Das Urheberrecht … dient … der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes.« (§ 11 UrhG) Nach 300 Jahren Urheberrecht wissen wir, dass es einen lukrativen Markt hervorgebracht hat. Wir wissen aber auch, dass dieses Modell bei seinem erklärten Ziel, Urhebern eine angemessene Vergütung zu sichern, versagt. In der ersten umfassenden Studie zu Autoreneinnahmen in England und Deutschland von 2007 zeigten Kretschmer und Hardwick, dass weniger als die Hälfte der 25.000 untersuchten professionellen Autoren ihren Lebensunterhalt durch Schreiben bestreiten können. Die typischen Autoreneinnahmen in Deutschland betragen weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Lohnniveaus aller Berufe. Autorinnen verdienen in der Regel noch einmal deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Seit 2000 hat sich die Situation weiter verschlechtert.
In der gleichen Zeit eskalieren Verwerter die Maßnahmen zur Durchsetzung von Urheberrechten. Sie reichen vom täglichen Abmahnwahn über ein Hausverbot im Internet für Verletzer bis zur Filterung des Internet mit Hilfe von Deep Packet Inspection. Diese mit einem hohen gesellschaftlichen Preis eingetriebenen Einnahmen erreichen die Autoren nicht.
In der Praxis zeigt sich ferner, dass auch an der Behauptung, nur ein wirksamer Urheberrechtsschutz ermögliche kulturelle Vielfalt, etwas nicht stimmen kann. Zum einen häufen sich Untersuchungen zu kreativen Märkten, die ganz ohne Urheberschutz funktionieren: Dazu gehören Haute Cuisine (Fauchart/von Hippel 2006), Mode (Blakley 2010), Zauberkunst (Loshin 2007), ausländische Bücher in den USA bevor sie 1891 ins Urheberrecht aufgenommen wurden (Khan 2007) und Fernsehformate (Kretschmer/Singh/Wardle 2007). Zum anderen machen seit der Jahrtausendwende Millionen täglich getauschter Werke klar, dass ein Ausschlussrecht nur noch in der Theorie existiert. Dennoch ist die Zahl der jährlich erscheinenden Bücher, Musikalben, Kinofilme im selben Zeitraum eindrucksvoll gewachsen (Oberholzer-Gee/Stumpf 2010[1]). Offenkundig sind freier Zugang und kulturelle Vielfalt sehr wohl vereinbar.
Damit soll wohlgemerkt den Urhebern nicht der Anspruch auf eine angemessene Vergütung abgesprochen werden, wohl aber relativiert es die Annahme vom Markt als wichtigstem Vehikel öffentlicher Kulturpolitik. Tatsächlich hat der Markt beim wichtigsten öffentlichen Ziel, der angemessenen Vergütung der Urheber, versagt.
Urheberrecht gibt es nicht nur in Form eines individuellen Verbotsrechts, sondern auch als kollektiv wahrgenommenen Vergütungsanspruch. Angefangen hat alles mit der Erfahrung, dass sich öffentlich aufgeführte Werke nicht gegen die Wiederaufführung durch Dritte schützen lassen. Bei einer Vielzahl von Spielstätten lässt sich das Aufführungsrecht nicht individuell durchsetzen. 1777 schlossen sich deshalb in Frankreich Text- und Musikurheber für das Theater zur ersten Verwertungsgesellschaft zusammen, der heutigen SACD. Weitere Länder, Werkarten und neue medientechnologisch ermöglichte Nutzungsformen sind hinzugekommen, darunter die mechanische Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe, Sendung, Filmvorführung, die gesetzliche Vergütung für Privatkopien, das Klingeltonrecht und inzwischen auch die Werknutzung im Internet als Stream und Download. Und auch bei vielen aktuell anstehenden Herausforderungen, wie vergriffenen und verwaisten Werken und der in der WIPO verhandelten Blindenschranke , ist klar, dass die Lösung nur eine kollektive sein kann. Wie Reto Hilty betont und Kretschmer/Hardwick empirisch festgestellt haben, ist kollektive Rechtewahrnehmung oft die einzige Quelle, aus der Kreative Einnahmen erzielen.
Einen Krieg gegen das private Kopieren hat es, zumindest in Kontinentaleuropa, nie gegeben. Gleich am Anfang des medientechnologischen Umbruchs wurde es für zulässig erklärt und mit einer pauschalen Vergütung belegt.
Seit Napster Filesharing zu einem Massenphänomen gemacht hat, schlagen Juristen und Musiker, Internet-Aktivisten, Verbraucherschützer und Verwertungsgesellschaftsvertreter die gleiche Lösung vor: Die Legalisierung von privatem, nicht-kommerziellem Filesharing und Remixen im Austausch für eine pauschale Vergütung auf Breitband-Internet-Zugänge, die im Verhältnis zur empirisch erhobenen Popularität ihrer Werke an die Urheber ausgeschüttet wird.
In mehr als zehn Jahren Diskussion über eine solche Tauschlizenz ist eine Fülle von Literatur entstanden, darunter Gesetzesinitiativen (in Frankreich, Italien und Belgien) und Versuche, Pilotprojekte auf den Weg zu bringen (auf der Isle of Man, von Fischers Noank in China und Hongkong, an der Berkeley Universität).
Peer-to-Peer-Finanzierung
Neben den klassischen Strategien zur Finanzierung von öffentlichen Gütern entstehen neue. Die Öffentlichkeit zahlt immer noch für die öffentlichen Güter, aber nicht mehr vermittelt durch den Staat, sondern von Peer zu Peer. Nicht Kulturadministratoren, Redaktionen oder andere Gremien entscheiden, sondern Sie und ich. Sie und ich zahlen letztlich eh in jedem Fall, ob durch direkte Bezahlung, Steuern, Rundfunkgebühren oder Werbung. Nur dass es sich hier um eine bewusste Entscheidung eines jeden Peers handelt. Auf den ersten Blick ähnelt es einer Markttransaktion, nur dass hier keine ›rationalen ökonomischen Akteure‹ handeln, als die die Wirtschaftswissenschaften uns ausmalen. ›Rationalität‹ in dieser Logik würde sie danach streben lassen, das gewünschte Werk so billig wie möglich zu bekommen, idealerweise umsonst. Und wenn sie etwas umsonst bekommen können, warum sollten sie dafür bezahlen, auch noch freiwillig? Und doch tun Menschen genau das in zunehmendem Maße.
Peer-to-Peer-Strukturen gehören zu den grundlegendsten und weitreichendsten Innovationen, die bislang aus der digitalen Revolution hervorgegangen sind: P2P-Produktion (freie Software, Wikipedia), P2P-Distribution (BitTorrent, Rapidshare) und neuerdings P2P-Finanzierung.
Inzwischen liegt die erste umfassende empirische Untersuchung freiwilliger Bezahlmodelle vor. Leah Belsky, Byron Kahr, Max Berkelhammer und Yochai Benkler (2010) haben über mehrere Jahre und Hunderttausende Transaktionen drei Musik-Sites[2] beobachtet, die alle mit Hilfe von Creative-Commons-Lizenzen das nicht-kommerzielle Tauschen ausdrücklich erlauben und die Fans einladen zu zahlen, was sie möchten. Ihr Fazit: Gemittelt über die Nichtzahler, die Zahler eines gefühlten Standardpreises und hyper-großzügige Zahler erhalten die Künstler hier mehr als bei der verpflichtenden Zahlung eines festgelegten Preises wie auf iTunes.
Was die Forscher an den drei Musik-Sites analysieren, hat sich mittlerweile zu einer eindrucksvollen weltweiten Bewegung entwickelt. P2P-Finanzierung gibt es in zwei distinkten Formen: Vorab als Beiträge zur Produktion neuer Werke und im Nachhinein als Belohnung für frei zugänglich veröffentlichte Werke.
Das Street-Performer-Protocol, 1998 von den Kryptologen Bruce Schneier und John Kelsey vorgeschlagen, geht davon aus, dass sich ein einmal veröffentlichtes Werk nicht kontrollieren lässt, und folglich die Produktionskosten vor der Erstveröffentlichung vollständig bezahlt sein müssen. Eine Band oder eine Filmemacherin bewerben ihr neues Werk, legen den gewünschten Zielbetrag fest, lassen ihre Fans Ausschnitte daraus wahrnehmen und werben Zahlungszusagen ein. Unterstützer können ihren Beitrag frei wählen. Werk und Zahlungen liegen bei einem Treuhänder. Wird der festgelegte Gesamtbetrag erreicht, wird das Werk gemeinfrei veröffentlicht und die Urheberin erhält ihr Geld. Bei Nichterreichen erhalten die Zahlenden ihr Geld zurück.
Dieses Modell eines kollektiven Freikaufens hat in der Zeit von 2000 bis 2004 eine erste Welle von P2P-Finanzierungsplattformen inspiriert, darunter CopyCan.org, Freinutz.de, A-Fair.org, Fairtunes.com, alle seither aus dem Netz verschwunden. Nur The Digital Art Auction und Quidmusic sind noch online, mit langen Spinnenweben. Ein Nachzügler war Sellyourrights.com ,das nach den Blogposts von Ende 2008 ein Jahr lang lebte und dem letzten Post zufolge daran scheiterte, dass Musikautoren sich hierzulande zwischen GEMA und CC entscheiden müssen.
Heute erleben wir eine zweite Welle solcher P2P-Finanzierungsmodelle. Vorreiter ist Kickstarter, das in den ersten 16 Monaten seiner Existenz 15 Millionen US-Dollar umverteilt hat, wie ein Mitarbeiter auf dem Free Culture Forum im Oktober 2010 in Barcelona berichtete. Anders als das ursprüngliche Street Perfomer Protocol schreibt es keine Freilizenzierung der kollektiv finanzierten Werke vor. Das Modell hat eine beachtliche Zahl von Nachfolgern in Deutschland gefunden wie Mysherpas, Pling, Yooproduce, Inkubato und Visionbakery. Startnext wurde im September 2010 gegründet. Im ersten Jahr sind von 205 vorgestellten Projekten 61 erfolgreich finanziert worden. 2726 Unterstützer haben 206.594 Euro gespendet. Ein Crowdfunding-Monitor sagt für 2011 auf den vier größten deutschen Plattformen einen Gesamtumsatz von 550.000 Euro voraus. Besonders heiß scheint derzeit die Diskussion um Crowdfunding im Film zu sein.
Ein Einwand, der regelmäßig kommt, so z.B. Oliver Castendyk auf netz-macht-kultur, lautet, so ließe sich ein Film wie »Avatar« nicht finanzieren. Antwort: Warum eigentlich nicht? Die Produktion von »Avatar« hat offiziell 237 Millionen US$ gekostet. Bezahlt, und zwar bereits in den ersten fünf Tage nach Kinostart weltweit, haben den Film die Zuschauer. Die gleiche Erwartungsbegeisterung, die Millionen von Menschen in die Kinos getrieben hat, könnte auch dazu genutzt werden, bei Beginn der Produktion 23 Millionen von ihnen dazu zu bringen, 5 US$ für ein Kinoticket vorzustrecken. Derzeit realistischer wird in der jungen P2P-Finanzierungs-Szene eine Mischfinanzierung diskutiert: Hat ein Projekt Vorleistungen von z.B. 50.000 Euro angezogen, ist das ein Signal für kulturelle Risikokapitalanleger, Stiftungen, die öffentliche Kulturförderung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk usw., dass hier ein erfolgversprechendes Werk entsteht, und in die Produktionsfinanzierung einzusteigen. Der entscheidende Punkt: Castendyks Argument darf natürlich nicht dafür herhalten, um eine Orwellsche Online-Umwelt zu errichten. Wenn der Preis für Avatar digitaler Stacheldraht und Gesetze über die digitale Todesstrafen sind, dann verzichte ich gern darauf.
Der zweite Ansatz scheint dem ersten zu widersprechen: Ein Werk kann sehr wohl erst veröffentlicht werden und nachträglich freiwillige Zahlungen erhalten. Nicht, weil Menschen denken, sie müssen bezahlen, damit das Werk geschaffen wird, sondern weil sie etwas belohnen möchten, das ihnen gefällt. Zu den Plattformen, die solche nachträglichen Belohnungen ermöglichen, gehören Flattr, Patronism und Ioumusic. Nach einem Jahr transferiert Flattr bereits 100.000 Euro im Monat, wie Gründer Peter Sunde auf der Re:publica im April 2011 berichtete. Freiwillige Bezahlmodelle gehen aber auch ohne intermediäre Plattformen, direkt zwischen Fans und Künstlern, wie Belsky et al. in ihrer Studie überzeugend aufgezeigt haben.
P2P-Finanzierung ermöglicht einen direkten Austausch zwischen Urhebern und Publikum. Sie ist charakterisiert durch Kommunikation und Interaktion, Empathie und Solidarität, Gemeinschaft und Kooperation, die weit über eine schlichte Werk-gegen-Zahlung-Transaktion hinausgeht, Großzügigkeit und Fairness sowohl für Künstler wie für Fans, Vertrauen und Authentizität, Transparenz und Reputation, kurz: ein umfassendes Tauschen zwischen Künstlern und Publikum.
P2P-Modelle haben ein großes Potential für die Finanzierung von Kultur jenseits der Tauschlizenz. Die bleibt aber unerlässlich, um den Krieg gegen das Tauschen zu beenden, und sei es nur als Übergangslösung, bis P2P-Modelle ausgereift sind.
In jedem Fall sind es wir alle als Internet-Nutzer, Konsumenten und Bürger, die für öffentliche kulturelle Güter bezahlen. Mit direkten Kaufentscheidungen, indirekt durch die Rundfunksendungen, die wir einschalten, die Diskos, die wir frequentieren, die Werke, die wir privatkopieren, die jeweils Vergütungen an die Urheber auslösen, über unsere Steuern und Rundfunkgebühren, durch freiwillige Beiträge zur Produktion und nachträgliche Belohnungen und durch den Kauf des Waschmittels, dessen Werbung den Film im so genannten Free-TV finanziert.
Oft wird vorgeschlagen, das andere die Rechnung begleichen sollen: Werbetreibende, Internetprovider, Google, Apple, der Staat. Dadurch wird die Kulturnutzung ›gefühlt kostenlos‹, aber nur weil unsichtbar wird, dass letztlich wir zahlen. Effekt dieser Ausblendung: Sowohl Urheber wie Publikum bleiben außen vor, wenn z.B. Musiklabels und Internetprovider oder Mobiltelefonhersteller hinter verschlossenen Türen ihre Deals über die Verwertung von Gesamtkatalogen machen.
Nur wenn wir uns bewusst sind, dass wir es sind, die zahlen, können wir in einen Dialog treten mit den Urhebern darüber, was wir dafür haben möchten, in einen kreativen Austausch (Philippe Aigrain). Auf der Einzahlungsseite mag es keine große Rolle spielen, wie wir Kreative bezahlen. Bei der Verwendung dieser Gelder macht es jedoch gewaltige Unterschiede.
Für die Vorfinanzierung einer Produktion macht uns z.B. ein Kulturunternehmen zum Gegenstand von Marktforschung, um unseren ›Bedarf‹ zu erheben. Die Redaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entscheiden, wie der informationelle Grundversorgungsauftrag im Einzelnen erfüllt wird. Bei der Kulturstiftung des Bunds, den Landesmedienanstalten und Filmfördereinrichtungen sind es Kuratorien, Juries, Expertengremien, die über Initiativprogramme und Anträge entscheiden. Ähnlich gehen private Stiftungen und die Kultur- und Fördereinrichtungen der Verwertungsgesellschaften vor. Bei Kickstarter & Co. umwerben Kreative jeden einzelnen von uns und versuchen, uns von ihrem jeweiligen Projekt zu überzeugen.
Für die Belohnung veröffentlichter Werke ziehen z.B. Verwertungsgesellschaften Abspiellisten und Reichweiten von Radiostationen und Clubs heran. Wie bei der Tauschlizenz auch ist die tatsächliche Nutzungsintensität der Werke Grundlage für die angemessene Vergütung der Urheber. Der Chaos Computer Club hat mit seiner Kulturwertmark vorgeschlagen, Nutzung und Belohnung zu entkoppeln und den Internet-Nutzern ihre Urhebergebühr zur willkürlichen Zuweisung in die Hand zu geben. Sie verbindet also eine gesetzliche Vergütungspflicht mit einer beliebigen Verteilung des Geldes à la Flattr. Flattr und Co. dagegen sind auch auf der Einzahlungsseite freiwillig.
Jedes dieser Verfahren setzt andere Zeichen bei der Förderung und Belohnung von Kultur. Was ist eine gesellschaftlich sinnvolle Kulturentwicklung? Welche Formen von Kunst und Kultur leisten wir uns als Gesellschaft, auch wenn sie keine Quote bringen? Wie können wir die Werte von informationeller Grundversorgung und kultureller Vielfalt unter Bedingungen von digitaler Revolution und P2P-Strukturen neu organisieren? Wie erzielen wir eine optimale kulturelle Verteilungsgerechtigkeit? Das sind zentrale Fragen, um die es bei der Aushandlung des neuen Gesellschaftsvertrags über Kultur heute geht. Der aktuelle Umbruch ist eine Chance, den Anspruch einer jeden Kulturnation, ihren Urhebern eine angemessene Vergütung zu sichern, endlich zu verwirklichen.
Literatur
Aigrain, Philippe (2008): Internet et Création, Cergy-Pontoise: In Libro Veritas, www.ilv-bibliotheca.net/librairie/internet_et_creation.html
Belsky, Leah; Byron Kahr; Max Berkelhammer und Yochai Benkler (2010): Everything in Its Right Place: Social Cooperation and Artist Compensation, Michigan Telecommunications and Technology Law Review Vol. 17, Vol. 1, Fall 2010, www.mttlr.org/volseventeen/belsky_kahr_berkelhammer_benkler.pdf
Blakely, Johanna (2010): Lessons from fashion’s free culture, TED Talk, April 2010, www.ted.com/talks/lang/eng/johanna_blakley_lessons_from_fashion_s_free_culture.html; s. a. ihre Blog-Einträge Thema: johannablakley.wordpress.com/category/fashion/
Chaos Computer Club (2011): Ein Vorschlag zur Güte – die Kulturwertmark, 26. April 2011, ccc.de/system/uploads/65/original/kulturwertmark-neu.pdf
Fauchart, Emmanuelle und Eric A. Von Hippel (2006): Norms-Based Intellectual Property Systems: The Case of French Chefs (1 January 2006). MIT Sloan Research Paper No. 4576-06, ssrn.com/abstract=881781
Grassmuck, Volker (2011): Sharing Licence Library, 3. Juli 2011, www.vgrass.de/?p=1048
Hilty, Reto (2010): Zusammenfassung seiner Beiträge auf dem Podium Urheberrecht auf dem Netzpolitischen Kongress, Liveblog, 12. November 2010, www.gruenes-blog.de/netzpolitik/704/liveblog-podium-urheberrecht
Khan, B. Zorina (2007): Does Copyright Piracy Pay? The Effects of U.S. International Copyright Laws on the Market for Books, 1790–1920, Bowdoin College and National Bureau of Economic Research 2007, https://www.law.ucla.edu/docs/khan__copyright_piracy_jle_2007.pdf
Kretschmer, Martin und Philip Hardwick (2007): Authors‹ earnings from copyright and non-copyright sources: A survey of 25,000 British and German writers, Bournemouth: CIPPM / ALCS, www.cippm.org.uk/downloads/ACLS%20Full%20report.pdf
Kretschmer, Martin; Sukhpreet Singh und Jonathan Wardle (2009): The Exploitation of Television Formats: Intellectual property and non-law based strategies, ESRC Digital Resource, Bournemouth University, tvformats.bournemouth.ac.uk/overview.html
Loshin, Jacob (2007): Secrets Revealed: How Magicians Protect Intellectual Property without Law, Yale Law School Working Paper, 25 July 2007), ssrn.com/abstract=1005564
Oberholzer-Gee, Felix und Koleman Strumpf (2010): File-Sharing and Copyright, vorgetragen auf der NBER 2009 Innovation Policy and the Economy Conference in Washington, D.C., 12 January 2010, musicbusinessresearch.files.wordpress.com/2010/06/paper-felix-oberholzer-gee.pdf
Schneier, Bruce und John Kelsey (1998): The Street Performer Protocol, The Third USENIX Workshop on Electronic Commerce Proceedings, USENIX Press, November 1998, www.schneier.com/paper-street-performer.html
[1] Felix Oberholzer-Gee und Koleman Strumpf, File Sharing and Copyright, 2010, S. 2.
[2] Magnatune.com, JonathanCoulton.com und Sheeba.ca.
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