[folgender Text ist erschienen in “Politik und Kultur” Nr.05/09 • September/Oktober 2009, der Zeitung des Deutschen Kulturrates]
Seit zehn Jahren gibt es Tauschbörsen. Wie aktuelle Untersuchungen gezeigt haben, nutzt etwa die Hälfte der Internet-Bevölkerung sie. Ebenso lange gibt es eine internationale Debatte über die Kultur-Flatrate. Vor dem Hintergrund verblüfft die Konfusion, die in der deutschen Diskussion vorherrscht. So wurde Bundesjustizministerin Zypries Ende Mai in der Presse mit der Äußerung zitiert, eine Kultur-Flatrate hieße, dass alles, was auf dem Markt ist, umsonst aus dem Internet heruntergeladen werden könne, ohne dass die Rechteinhaber die Nutzung beeinflussen oder verhindern könnten. Das beschreibt aber nicht etwa die Folge der Kultur-Flatrate, sondern den status quo, auf den sie mit einem Vergütungsmodell antwortet.
Der FDP-Kulturexperten Hans-Joachim Otto singt unbeirrt das alte Lied vom Kultursozialismus. Damit ist er nicht einmal auf der Höhe der Industrie, für die er zu sprechen glaubt. Die ist längst zu ihrer eigenen Art von Pauschalmodellen übergegangen. ISPs in verschiednen europäischen Ländern bieten ihren Kunden Zugriff auf mehrere Millionen Musiktitel zu einem Preis von 5 bis 10 Euro im Monat. Die Dateien sind Windows DRM gekapselt, das eine Verbreitung verhindern soll und zuklappt, sobald ein Kunde das Abo beendet. Das bekannteste Angebot dieser Art ist Nokias „Comes with Music“. Käufer bestimmter Handy-Modelle können ein Jahr lang sämtliche Titel der vier Majors herunterladen. Die Kosten sind für den Kunden unsichtbar im Preis des Telefons enthalten. Es geht längst nicht mehr um das Ob der Flatrate, sondern um das Wie und Zu-wessen-Gunsten.
Ein neuer Sozialvertrag zwischen Kreativen und Gesellschaft
Die digitale Revolution bewirkt tiefgreifende Umwälzungen, doch was bleibt, ist das grundsätzliche Verhältnis von Kreativen und Publikum: Urheber möchten Werke schaffen. Wir alle möchten Werke genießen können und Urheber befähigen, immer wieder neue zu schaffen.
Allem Gerede von der „Umsonstmentalität“ zum Trotz, sind Internet-Nutzer sehr wohl bereit, Kreative zu bezahlen, ob über faire, transparente Geschäftsmodelle wie die von Magnatune oder über die Kultur-Flatrate. In einer Umfrage der schwedischen Musikverwertungsgesellschaft STIM haben 86,2% der Befragten sich bereit erklärt, für legale Tauschbörsennutzung einen monatlichen Betrag zu bezahlen. Die Mehrheit hielt 5-10 Euro für angemessen. 5 Euro im Monat bei 30 Millionen Breitbandanschlüssen in Deutschland ergeben 1,8 Milliarden Euro im Jahr – deutlich mehr als die Tonträgerindustrie nach eigenen Angaben 2008 in Deutschland insgesamt umgesetzt hat.
Aufgabe des Sozialvertrages ist es somit, die beiden „kreativen Beiträge“ zusammenzubringen, wie Philippe Aigrain es in seinem Buch Internet & Création (2008) nennt: den der Kreativen und die nachgewiesene und erklärte Bereitschaft der Gesellschaft, sie dafür zu vergüten. Der bestehende kulturelle Sozialvertrag hat viele Bestandteile. Dazu gehören Marktmodelle, freiwillige Bezahlmodelle und Umverteilungssystem wie öffentliche Kulturförderung, Rundfunkgebühren und die Pauschalvergütung für privates Kopieren. Diese Elemente müssen für das Internet-Zeitalter weiterentwickelt werden.
Tim Renner und mit ihm Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier schlagen etwas ähnliches vor, wenn sie von einem Kreativpakt von Wirtschaft, Politik und Künstlern sprechen. Doch leider fehlen in diesem Modell diejenigen, die die Werke hören, lesen, sehen und in Zeiten von „Nutzer-generierten Inhalten“ auch selbst hervorbringen. Sie sprechen die Kreativen mit ihren Werken an. Sie zahlen die Rechnung, so oder so, ob an der Abendkasse, versteckt im Preis des Nokia-Handys, mit dem Waschmittel, dessen Werbeetat den Kinofilm im „Free TV“ bezahlt, oder in Form von steuerfinanzierter öffentlicher Kulturförderung, über Rundfunkgebühren und die Urheberrechtspauschale auf Leermedien.
Kulturnutzer können bei der Aushandlung des neuen Sozialvertrags nicht nur als Objekte von Werbung, Marktforschung, Umerziehungskampagnen und Repression fungieren. Sie müssen Partner in einer gesellschaftlichen Vereinbarung sein, in der wir alle den Kreativen, deren Werke wir wertschätzen, anständige Arbeits- und Lebensbedingungen ermöglichen, um sie zu schaffen.
Die Kultur-Flatrate
Das Vorbild für die Kultur-Flatrate ist die seit über 40 Jahren bewährte Privatkopieregelung. Ihre Kernelemente sind eine gesetzliche Lizenz, die es Privatpersonen erlaubt, veröffentlichte urheberrechtlich geschützte Werke für nichtkommerzielle Zwecke über das Internet auszutauschen, eine Vergütung, die von den ISPs so pauschal wie möglich eingesammelt wird, und eine demokratisch verfasste und öffentlich beaufsichtigte Gemeinschaft der Urheber, die sie so präzise wie möglich entsprechend der tatsächlichen Nutzung ihrer Werke an die Berechtigten auszahlt.
Das Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) hat in seinem Gutachten im März im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen die rechtliche Machbarkeit dieses Modell aufgezeigt. Sein Fazit: „Die gesetzliche Einführung der Kulturflatrate … ist … nicht weniger als die logische Konsequenz der technologischen Revolution, die durch das Internet erfolgt ist.“
Ein Schlüsselelement für die Verteilungsgerechtigkeit ist die Erhebung der Downloads. Dabei müssen natürlich Grundrechte, wie das auf informationelle Selbstbestimmung, auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und das Fernmeldegeheimnis gesichert sein. Zur Erhebung gibt es eine Reihe von Verfahren. P2P-Marktforscher wie BigChampagne haben ein ausgereiftes Instrumentarium entwickelt. Aigrain favorisiert ein repräsentatives freiwilliges Samples der Internet-Bevölkerung nach Art der Nielsen-Studien zur Fernseh- und Radionutzung. Einmal legalisiert, haben P2P-Nutzer nicht nur nichts zu verbergen, sondern ein aktives Interesse, dass ihre Stars eine faire Vergütung erhalten. Dazu könnten sie in ihren P2P-Clients und Webbrowsern Plugins installieren, die anonymisiert Download-Daten an eine Sammelstelle senden. William Fisher von der Harvard Law School und einer der Pioniere der Debatte hat ein solches System namens Noank entwickelt, das in einem Pilotprojekt bereits erfolgreich getestet wurde. Man wird sicher mehrere Verfahren parallel einsetzen, um die Qualität der jeweiligen Daten abzugleichen und Missbrauch entgegenzuwirken.
Nach dem heutigen Verwertungsgesellschaftssystem bekommen die Urheber mindestens 50% der Einnahmen. Durch die empirische Erhebung der Nutzung vermeidet die heutige systematische Verzerrung bei der Verteilung der Privatkopievergütung. Viel mehr Urheber profitiert. Die kulturelle Vielfalt wird gestärkt, wie Aigrain nachwiesen hat.
Tauschbörsen werden zu einem Markt, auf dem das, was populär ist, auch besser vergütet wird. Wo mit Werken Dritter Geld verdienen wird, müssen sie wie bisher lizenzieren werden. Ein Vorbild dafür sind die Vereinbarungen, die Google/YouTube 2007 mit den Musik-Labels und den Verwertungsgesellschaften getroffen haben, um Musik in Nutzervideos zu vergüten. Und natürlich wird auch iTunes weiter bestehen. Dieses Vorzeigebeispiel hat sich zu einem Zeitpunkt etabliert, als Tauschbörsen bereits ein Massenphänomen waren. Während diese ungehindert wachsen, nahmen kommerzielle Downloads 2008 um 25% auf weltweit 3,7 Milliarden US-Dollar zu, wie die IFPI in ihrem Jahresbericht vermeldete.
Wir haben also die Wahl zwischen einer gesetzlichen und Business-to-Business-Flatrates. Bei letzteren sind die Geldflüsse für Urheber und Musiker genauso undurchsichtig wie für die Verbraucher. Unter Berufung auf Geschäftsgeheimnisse sichern die Verwerter sich ihre Gatekeeper-Rolle und den größten Teil der Wertschöpfung. Mit einer Entkriminalisierung von Tauschbörsen hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Mit dem Hinweis auf legale Alternativen nimmt die Repression weiter zu.
Wir haben die Wahl, in eine Infrastruktur zur Unterdrückung von Tauschbörsen zu investieren oder in eine Infrastruktur zur Vergütung von Urhebern. Wie Lawrence Lessig betont, geht es dabei auch um die Kriminalisierung der Generation unserer Kinder und die Erosion ihres Vertrauens in das Rechtssystem.
Die Entscheidung fällt heute. Wir sollten sie nicht der Industrie überlassen, sondern sie gemeinsam treffen, auf möglichst empirischer Basis und mit einer Vision eines Sozialvertrags über eine Kulturgesellschaft, in der wir leben wollen.