Vorschlag zum Besseren – die Tauschlizenz*
Volker Grassmuck
Ende April stellte der Chaos Computer Club (CCC) ein Vergütungsmodell für Kreative vor, die Kulturwertmark (KWM). Zunächst was mir daran gefällt: Urheber und Publikum werden ins Zentrum des Modells gestellt. Ebenfalls zu begrüßen ist, dass Deutschlands Hacker-Club sich in die Debatte ums Urheberrecht einschaltet. Nicht so gut gefällt mir, dass er das nicht in seiner Kernkompetenz tut, sondern sich auf dünnes Eis begibt. Vor allem hat mich enttäuscht, dass das Papier offensichtlich als Reaktion auf die Kultur-Flatrate formuliert ist, es zu dieser aber nichts zu sagen weiß, als “Komplettüberwachung des Netzes, um korrekte Downloadzahlen … zu ermitteln.” Genau zu der Frage: Erhebung der Downloadzahlen, hätte ich mir vom CCC kreativere, konstruktivere Beiträge gewünscht.
Tatsächlich unterscheiden sich die Kultur-Flatrate – für die ich den in Brasilien geprägten Namen “Tauschlizenz” vorziehe – und die KWM im Grundsatz nicht. Beide sehen eine gesetzliche Erlaubnis zum privaten, nichtkommerziellen Tauschen und Mixen vor. Dafür bekommen Urheber und Künstler von allen Breitband-Internet-Nutzern eine Vergütung. Beide Modelle nehmen eine – noch näher zu bestimmende – Vergütungshöhe von monatlich € 5,- an, was einen Gesamtbetrag von € 1,5 Milliarden pro Jahr ergibt.
Wie dieser Topf ausgeschüttet werden soll, darin liegt der größte Unterschied. Üblich ist bei dieser Art von kollektiv verwalteter Umverteilung, dass der individuelle Anteil im Verhältnis stehen soll zur tatsächlichen Nutzung der eigenen Werke. Die wird z.B. über Abspiellisten von Radiostationen und Clubs erhoben. In der digitalen Welt geht das natürlich viel einfacher und genauer. Der CCC lehnt diese Verfahren ab, vor allem, weil man die real-existierenden Urheberkollektive, allen voran die GEMA, tatsächlich nur ablehnen kann. Stattdessen schlägt er vor, den Zahlungspflichtigen ihre € 5,- in Form einer Mikrowährung zurückzugeben. Jede Einzelne kann sie dann an Songs, Podcasts, Fotos usw. verteilen, die ihr gefallen haben.
Ich bin überzeugt, dass eine Auszahlung im Verhältnis zur Popularität dem Gerechtigkeitssinn der allermeisten Kreativen ebenso wie dem des Publikums entspricht, vom Urheberrecht ganz zu schweigen. Die Verwertungsgesellschaften müssen grundlegend reformiert werden. Darin sind sich alle Beteiligten einig. Sie zu ignorieren und – unsehenden Auges – eine neue aufzubauen, wie sich das der CCC vorstellt, ist nicht die Lösung. Ich halte eine individuelle, willkürliche, also nutzungsunabhängige Verteilung des Geldes für unplausibel. Andere sehen das anders. Wir werden nur wissen, ob diese Methode erfüllt, was sie leisten soll, wenn wir sie ausprobieren.
Daher schlage ich am Ende des Textes ein Pilotprojekt vor, in dem es vor allem um die Frage der Verteilungsgerechtigkeit gehen soll. Nach zehn Jahren Debatte über die Legalisierung des Tauschens und die vergeblichen, aber schädlichen Versuche es zu unterdrücken, ist es an der Zeit, das Modell endlich mal praktisch auszuprobieren.
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Dieser Text als PDF. Kurzfassung auf Netzpolitik.org. 06:57 Audio auf DRadio Breitband, 22.10.2011:
Inhaltsverzeichnis
Ausgangslage: Frei ist alles sowieso. Bezahlt werden kann nur kollektiv.
“Die Frage ist hier, welches Ziel mit dem Kulturwertmark-System erreicht werden soll.”
Ein Ende des Kriegs gegens Tauschen
Ist das nicht sozial ungerecht?
2. „Komplettüberwachung‟ für die Kultur-Flatrate
3. Willkürliche Zuweisung durch die Zahlungspflichtigen
Internationale Ausgestaltung des Systems
Funktionen & Organe der Stiftung
1. Entscheidungsgremien & Selbstverwaltung
Vergleich Kulturwertmark und Tauschlizenz
Vorschlag zum Besseren – ein Pilotprojekt
Ausgangslage: Frei ist alles sowieso. Bezahlt werden kann nur kollektiv.
Spätestens seit Napster ist tendenziell alles, was an kreativen Werken je veröffentlicht worden ist, im Netz frei verfügbar.
Seit den 1960ern hat die medientechnologische Entwicklung Individuen die Mittel an die Hand gegeben, privat zu kopieren; urheberrechtlich gesprochen: Vervielfältigungen anzufertigen; medienlogisch gesprochen: eine Demokratisierung von Produktions- und Informationsmitteln, die es zuvor nur als industrielle Investitionsgüter gab (Satz- und Druckmaschinen, Plattenpresswerke, Filmkopierwerke usw.).
Seit Napster (1999, aktuell: BitTorrent, RapidShare, Newsgroups, Bluetooth, immer größerem und billigerem Speicher in der Hosentasche usw.) haben Individuen die medientechnischen Mittel, auch privat zu tauschen; urheberrechtlich gesprochen: 1. Vervielfältigungen auch aus oft “offensichtlich rechtswidrig hergestellte[n] oder öffentlich zugänglich gemachte[n] Vorlage[n]” (§53 UrhG), vulgo “Downloads”, und 2. öffentliche Zugänglichmachungen (§ 19a UrhG), vulgo “Uploads”, vorzunehmen; medienlogisch gesprochen: eine Demokratisierung von Kommunikations- und Distributionsmitteln, die es zuvor nur als industrielle Investitionsgüter gab (Vertriebsinfrastruktur in Groß- und Einzelhandel, Rundfunk).
Privates Kopieren, Tauschen, Remixen sind keine Probleme, sondern Lösungen.
Für das Urheberrecht sind medientechnologische Umbrüche in der Regel illegal oder bestenfalls unbekannt (§ 31a UrhG). Das Lessigsche Gesetz der Medien besagt: Innovatoren sind die Piraten von heute und die Anti-Piraterie-Krieger von morgen.2 Zugleich wird sich ein demokratisches Gemeinwesen schwerlich diesem ungeheuren Schub an “semiotischer Demokratisierung”3 (William Fisher) entgegenstellen wollen.
Einen Krieg gegens private Kopieren hat es, zumindest in Kontinentaleuropa,4 nie gegeben. Gleich am Anfang des medientechnologischen Umbruchs wurde es für zulässig erklärt und – als quid pro quo – mit einer pauschalen Vergütung belegt.5 Eine Vergütung für individuelle Nutzungen war nicht möglich,6 die Lösung logischerweise eine kollektive.
Heute tobt ein Krieg gegens Tauschen: HADOPI, DPI, COICA, PIPA, IPRED, ACTA, TPP, IIPA – das ist der Buchstabensalat der Repression, den es zu entschlüsseln gilt, wenn man verstehen will, wie nach den Plänen der Kulturindustrie die Zukunft von Kultur und Internet aussehen soll. Auch dieser Krieg kann nur durch eine kollektive Vergütung beendet werden.
Zustandsbeschreibung: Privates, nichtkommerzielles Kopieren, Tauschen Remixen von veröffentlichten Werken sind Tatsachen des digitalen Lebens. Das lässt sich weder “wegdenken” noch aus der Welt klagen. Das lässt sich nur anerkennen, also legalisieren.
Lösung: Im Austausch für die gesetzliche Lizenz für das, was ohnehin geschieht, erhalten Urheber eine angemessene Vergütung. Diejenigen, denen das medientechnologische Glück des freien Austauschs zugute kommt, also wir alle Internet-Nutzer, zahlen einen pauschalen Betrag, der denen zugute kommt, die die kreativen Werke schaffen, die wir privat kopieren, tauschen und remixen.
In beiden grundsätzlichen Punkten bin es mit dem CCC eins.
Übereinstimmung haben wir auch darin, dass Kreative und Publikum diese Lösung aushandeln und tragen sollen. Oft genug wird vorgeschlagen, das andere die Rechnung begleichen sollen: Werbetreibende, ISPs, Google, Apple, der Staat, – und dabei ausgeblendet, dass es in jedem Fall letztlich wir alle sind, als Internet-Nutzer, Konsumenten und Bürger, die bezahlen. Die Kulturnutzung wird ‘gefühlt kostenlos’, tatsächlich aber werden die Kosten unsichtbar eingebettet in den Preis von Produkten und Dienstleistungen. Effekt dieser Ausblendung: Sowohl Urheber wie Publikum bleiben außen vor, wenn z.B. Musiklabels und ISPs oder Mobiltelefonhersteller hinter verschlossenen Türen ihre Deals über die Verwertung von Gesamtkatalogen machen.7
Im Gegensatz dazu treten bei der KWM diejenigen, die Musik, Filme, Texte usw. schaffen und die, die sie genießen, in einen kreativen Austausch (Philippe Aigrain) miteinander. Nur die beiden, Kreative und Publikum, können kollektiv einen tragfähigen neuen Gesellschaftsvertrag über die Kultur, in der wir leben wollen, miteinander aushandeln. Da bin ich völlig mit dem CCC d’accord.
Ebenso mit Reto Hilty (Direktor des Max-Planck-Instituts, das seit Anfang des Jahres nicht mehr „für geistiges Eigentum“, sondern „für Immaterialgüterrechte“ heißt. Der sagte beim Netzpolitischen Kongress der Grünen am 12.11.2010: “Nutzer und Urheber näher zusammenzurücken ist das Essentielle zur Zeit. … Durch Creative Commons rücken Urheber und Nutzer zusammen – Stichwort Wikipedia – diese Welt sollte gefördert werden. Lobby der Verwerter ist aber gut aufgestellt, weil sie wissen, was sie verlieren können. Eine transparente Debatte würde hier weiterführen.” (zitiert nach Liveblog Podium Urhebeberrecht.)
Die Kopier-, Zirkulations- und Remix-Freiheiten, die Urheber mit Hilfe von Creative Commons (CC) durch freiwillige Standard-Lizenzverträge an jedermann gewähren, zu generalisieren, im Urheberrecht für alle und für alle Werke zu verankern, ist Lessigs Ziel – das er am Schluss von Free Culture formuliert: „Us, now. Them, soon“, – es ist das Ziel der Tauschlizenz und neuerdings auch das des Russischen Präsidenten Dmitry Medvedev. Erreichen können das nur Urheber und Nutzer gemeinsam.
Hilty sprach sich auf der Veranstaltung sehr positiv über diese Lösung aus und wies auf einen wichtigen Vorteil für die Kreativen hin: “Kulturflatrate ist ein Ansatz, der sehr spannend ist, zumal der deutsche Gesetzgeber 1965 bereits erkannt hat, dass es keinen Sinn macht, ein Verbot aufzustellen, das ohnehin nicht durchgesetzt werden kann. So wurde beispielsweise die Privatkopie legalisiert, mit einem enorm positiven Effekt. Das Geld, das über Geräteabgaben oder Leermedien eingenommen wurde, ging zu erheblichen Anteilen auch direkt an die Kreativen. In diesem Zusammenhang erwähnt Hilty, dass kollektive Rechtewahrnehmung für die Kreativen ein wahrer Segen ist, denn oft ist dies die einzige Quelle, aus der Kreative überhaupt Einnahmen erzielen können.” (Ebd.)
Im Falle der Tauschlizenz, bei der es schließlich darum geht, dass Marketing und Vertrieb, die beiden wichtigsten Aufgaben der Verwertungsindustrie, von den Peers füreinander übernommen werden, lässt sich mit guten Gründen argumentieren, dass nicht nur ein erheblicher Anteil, sondern die gesamte Vergütungssumme an die Kreativen ausgeschüttet wird. In der Mehrzahl der vergüteten Schrankenbestimmungen hat der deutsche Gesetzgeber die Vergütung ausschließlich den Urhebern zugewiesen. Auch Richard Stallman hat im Zusammenhang mit der Einführung der Tauschlizenz in Brasilien darauf insistiert, dass hundert Prozent der Vergütung an die Urheber gehen.8 Andere haben argumentiert, dass bei der Aushandlung zwischen Kreativen und ihrem Publikum die Verwertungsindustrie kein legitimer Stakeholder sei.
Was mir am KWM-Text nicht gefällt, ist die verblüffend oberflächliche Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, mit der aktuellen Debatte darüber, mit dem Recht, mit Informationsfreiheiten und Formen der Organisation von Kollektivitäten – oder Multituden, wie man man heute sagt. Hier werden dicke Bretter dünn gebohrt.
Dass es sich um einen “vollständig neuen Ansatz” handelt, kann nur behaupten, wer die vorliegenden Ansätze ignoriert (oder schlimmer: sie nicht kennt, was ich bei den mir bekannten Autoren des KWM-Papiers nicht glauben mag). Tatsächlich baut die KWM unverkennbar auf der Kultur-Flatrate auf, – für die ich nach unserer aktuellen Initiative in Brasilien die Bezeichnung Tauschlizenz (Sharing Licence, Licença de Compartilhamento) vorziehe –, und ergänzt sie um Ideen aus dem Street-Performer-Protocol, dem Blur/Banff-Proposal und Flattr. Dazu kommt – um dem Übel GEMA etwas entgegenzusetzen – eine Stiftung, die einerseits als Bank fungiert, die ein Mikrozahlungssystem betreibt, die Transaktionen zwischen Kreativen und Publikum vermittelt und Geld verleiht, und andererseits als Registrar, Repositorium und möglicherweise Bibliothek für die betroffenen Werke. Tatsächlich, sagte Constanze Kurz dem Dradio, haben die Überlegungen zur KWM “ihren Ursprung im technischen Bereich, wie man Micropayment machen könnte.” Genauer geht es um David Chaums eCash, “dessen Basispatente 2005 ausgelaufen sind” (mehr dazu unter Bank). Und man wird den Eindruck nicht los, dass die Überlegungen auch nicht weit über diesen Ursprung hinausgehen: Habe Hammer, also ist jedes sich stellende Problem ein Nagel.
Dass es sich um ein Großprojekt, um einen formidablen neuen New Deal handelt, da sind wir uns wieder einig. Es geht um Grundlageninfrastruktur, eines der Betriebssyteme der digitalen Kommunikations- und Wissensgesellschaft. Soviel ist klar. Nur wie?
“Die Frage ist hier, welches Ziel mit dem Kulturwertmark-System erreicht werden soll.”
Die Antwort, die man gibt, hängt von der Frage ab, die man sich stellt. Bekanntlich ist 42 die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. Nur ist damit nichts anzufangen, weil niemand weiß, wie die Frage eigentlich genau gelautet hat. Deep Thought hat 7,5 Millionen Jahre für seine Antwort gebraucht. Der CCC zwei Jahre für seine. Antworten auf die Frage nach der Frage, die die KWM beantworten soll, finden sich in der Einleitung. Dort heißt es:
“Im Kern geht es um eine angemessene Entlohnung schöpferischer Tätigkeit im Ausgleich für den Zugang zu den daraus entstandenen Werken.”
Das ist die Grundidee des Urheberrechts. Aber nicht so schnell.
“Treten wir kurz einen Schritt zurück und überlegen, welche grundsätzlichen Anforderungen ein zukünftiges Vergütungsmodell erfüllen soll.”
Zwei grundsätzliche Anforderungen sind genannt: eine angemessene Entlohnung für Urheber und Zugang für alle. Ein dritte naheliegende Zielvorgabe wäre ein Ende des Kriegs gegens Tauschen. Die kommt beim CCC leider zu kurz. Im Einzelnen:
Kunst & Kultur
“Die Höhe des monatlichen Betrages hängt von der Bedeutung ab, die wir als Gesellschaft Kunst und Kultur zugestehen.”
“Diese Entscheidungen [der GEMA] stimmen erfahrungsgemäß weder mit den Vorlieben der Zahlungspflichtigen überein noch unterstützen sie eine gesellschaftlich sinnvolle Kulturentwicklung.”
“FAQ: Für welche Arten Kunst ist das System geeignet, für welche nicht?
Für jede Art von Kunst, Kultur, schöpferischer Tätigkeit, die einen Werkcharakter hat, ist das System geeignet. Auch Ölgemälde können beispielsweise in den Besitz der Allgemeinheit übergehen. Das Original geht dann auf Wanderschaft durch die staatlichen Museen, die digitalen Bildrechte stehen allen zur Verfügung.”
Eine “gesellschaftlich sinnvolle Kulturentwicklung” ist das wahrscheinlich dickste Brett, an das der CCC aber den Bohrer tunlichst gar nicht erst ansetzt. Ebenso die Frage nach der Bedeutung, “die wir als Gesellschaft Kunst und Kultur zugestehen.” Nach dem, was wir im Bereich der öffentlichen Förderung beobachten können, gilt Kultur offenkundig als Einsparmasse in schlechten Zeiten.9 So zentral die Frage ist, so schwierig lässt sie sich abstrakt und allgemeingültig beantworten.
William Fisher (Promises to Keep, 2004) beginnt seine Überlegungen mit dem wirtschaftlichen Schaden, den Musik- und Filmunternehmen erleiden,10 und den das System kompensieren soll. Doch ein historisches Profitniveau auf alle Zeiten festzuschreiben und durch Steuerzahlungen zu garantieren, scheint ihm höchst problematisch. Daher sollte ein “vieldeutigeres und kontroverseres Kriterium” die Entscheidungen leiten: “In rough terms, the emergent goal would be the public interest. Slightly more precisely, the office would strive to determine the amount of money that, when distributed to creators, would sustain a flourishing entertainment culture. The best way to answer that question would be iteratively – through frequent, modest adjustments of the tax rates, followed by studies of the impact of each change. If, in a given year, the entertainment industry seemed starved, the office would enrich the mixture a bit. If it seemed flush, the office would constrict a bit the flow of money.” Zu wenig Kultur? Geldhahn auf. Zu viel? Dann Geldzufluss drosseln. Wohlgemerkt, Fisher spricht hier nicht von einer kollektiv wahrgenommenen Urhebervergütung, die im Verhältnis zur Popularität der Werke ausgeschüttet wird, sondern tatsächlich von einer Steuer, die vom US-Copyright Office zugeteilt wird.
Da Fisher ein steuerfinanziertes Modell vorschlägt, stünde Kultur in direkter Konkurrenz zu anderen staatlichen Prioritäten wie dem Krieg gegen den Terror oder der Gesundheitsreform. Auch wenn er eine empirische Überprüfung von Nutzungshäufigkeit und Gesamtangebot an Kultur vorsieht, entscheidet letztlich eine Behörde. Dem ist eine Aushandlung zwischen Urhebern und Publikum, wie es KWM und Tauschlizenz vorsehen, allemal vorzuziehen.
Über welche “Arten Kunst” spricht der CCC? Wenn man durch das 12-seitige Papier geht und Nennungen von “Kultur” einsammelt, erhält man etwa folgende Liste: Britney Spears, Plastiken, Bilder, jede Art schöpferischer Tätigkeit, Ölgemälde, Popmusik, Podcasts, Online-Romane, die niemand drucken wollte… Diese Aufzählung sollte man wohl besser nicht zu sehr belasten.
Zielführender ist die Aussage: jede Art von schöpferischer Tätigkeit, “die einen Werkcharakter hat.” Damit sind wir wieder im Urheberrechtsgesetz, das gar nicht erst versucht, Kultur zu definieren, sondern sich genau auf diese Idee des Werkes bezieht. Es spricht allgemein von “Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst” (§ 1 UrhG), gibt eine Reihe von Beispielen (§ 2 UrhG) und bestimmt, dass “nur persönliche geistige Schöpfungen” Werke im Sinne dieses Gesetzes sind11 (§ 2 UrhG). Damit und mit einer jahrzehntelangen Auslegungspraxis ist zumindest der Kernbereich der relevanten Phänomene hinreichend bestimmt. Grenzfälle (z.B. Blog-Posts, Tweets) werden naturgemäß so zu klären sein wie sie anfallen.12
Eine angemessene Entlohnung
“Im Kern geht es um eine angemessene Entlohnung schöpferischer Tätigkeit im Ausgleich für den Zugang zu den daraus entstandenen Werken.”
“Das bisherige Modell, der Verkauf physischer Trägermedien …, wird sich nicht mehr durchgehend aufrechterhalten lassen. Einige der Einnahmerückgänge können sicher durch andere Formen der Darbietung – wie etwa Livekonzerte – wettgemacht werden, jedoch läßt sich dies nicht auf alle Formen von Kunst und Kultur übertragen.”
Zugang gegen Entlohnung, das ist die Grundidee des Urheberrechts: Kreative schaffen Werke, um sie öffentlich zugänglich zu machen, auf dass ihr Publikum sich an ihnen erfreue. Doch einmal veröffentlicht, gibt es der Sache nach nichts, was verhindert, dass andere ihr Werk reproduzieren und ebenfalls öffentlich anbieten, was die Chance des Autors auf eine Entlohnung, wenn nicht zunichte macht, so doch arg schmälert. Wenn der Urheber keinen wirtschaftlichen Anreiz hat, Werke zu schaffen und der Verwerter keine, in ihre Produktion zu investieren, so die vorherrschende Logik, entstehen keine Werke, derer wir uns alle erfreuen können.
Dieser Widerspruch ist im 18. Jahrhundert unter Gutenbergschen, industriellen Bedingungen zum Vorschein getreten und seither in einer großen, nicht endenwollenden Debatte (siehe Primary Sources on Copyright (1450-1900), eds. L. Bently & M. Kretschmer) in einem Gesellschaftsvertrag geregelt worden. Der besagt:13 Die Gesellschaft spricht Kreativen ein zeitlich beschränktes Ausschlussrecht an ihren öffentlichen Werken zu.14 “Das Urheberrecht … dient … der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes.” (§ 11 UrhG)
In der Praxis heißt das, Nachdrucker können ausgeschlossen werden. Jegliche Nutzung eines geschützten Werkes, gleich ob kommerziell oder nicht, erfordert eine Erlaubnis, eine Autorisierung, eine Lizenz – eine individuell ausgehandelte wie bei Musik zur Vertonung eines Films, eine Massenmarktlizenz wie Microsofts EULAs, eine an jedermann ausgestellte wie bei CC oder eine gesetzliche Lizenz wie bei der Privatkopie-Schranke (§ 53 UrhG).
So weit, so konventionell.
Was ‘angemessen’ ist, ist das große Rätsel des Urheberrechts, das auch die KWM nicht löst.
“Darüber, was angemessen ist, kann man trefflich streiten, wir werden das im Folgenden auch noch tun.”
Ein Versprechen, das nicht gehalten wird.15 Stattdessen beantwortet der CCC die Frage nach der Findung der Angemessenheit, wie könnte es auch anders sein, prozedural: “Die Höhe des monatlichen Beitrags sollte durch das demokratisch gewählte Stiftungskomitee festgelegt oder per Abstimmung ermittelt werden.” Kriterien für diese Festlegung oder Ermittlung der Angemessenheit werden nicht genannt.
In der Praxis beginnt sich in jüngster Zeit zu zeigen, dass die Theorie vom Urheberrecht als Sicherung einer angemessenen Vergütung einer empirischen Überprüfung nicht standhält. Vor kurzem legte der Wirtschaftshistoriker Eckhard Höffner eine Studie zur Geschichte des Urheberrechts vor, die Wellen schlug. Er zeigte, dass die verlegerischen Aktivitäten in deutschen Landen blühten als es noch kein Urheberrecht gab. Als es 1837 eingeführt wurde, gingen die Zahl der Neuerscheinungen, die Auflagenhöhen sowie die Honorare der Urheber dramatisch zurück. Am anderen Ende der Geschichte zeigten Kretschmer und Hardwick in der ersten umfassenden Studie zu Autoreneinnahmen in England und Deutschland von 2007, dass sich die Situation nicht verbessert hat, sondern kontinuierlich schlechter wird.
Dass Urheber nicht ordentlich, mindestens auf einem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt, bezahlt werden für ihre Arbeit, scheint also ein chronisches, strukturelles Problem zu sein. Das ist ein weiteres mächtig dickes Brett, das der CCC sich vornimmt.
In der Praxis zeigt sich ferner, dass auch an der Behauptung, nur ein wirksamer Urheberrechtsschutz ermögliche kulturelle Vielfalt, etwas nicht stimmen kann. Zum einen häufen sich Untersuchungen zu kreativen Märkten, die ganz ohne Urheberschutz funktionieren: Dazu gehören Haute Cuisine (Fauchart/von Hippel 2006), Mode (Blakely), Zauberkunst (Loshin 2007), ausländische Bücher in den USA bevor sie 1891 ins Urheberrecht aufgenommen wurden (Khan 2007) und Fernsehformate (Kretschmer 2010). Zum anderen machen seit der Jahrtausendwende Millionen täglich getauschter Werke klar, dass ein Ausschlussrecht nur noch in der Theorie existiert. Dennoch ist die Zahl der jährlich erscheinenden Bücher, Musikalben, Kinofilme im selben Zeitraum eindrucksvoll gewachsen (Oberholzer-Gee/Strumpf16). Offenkundig sind freier Zugang und kulturelle Vielfalt sehr wohl vereinbar. Es scheint, als verwechselten die Musikmajors ihre eigene Geschäftsentscheidung, seit den 1980ern die von ihnen angebotene Vielfalt drastisch zu reduzieren,17 mit dem Gang der Welt.
Schließlich tritt ein weiterer Widerspruch zutage, der an einer Grundfeste der Urheberrechtsidee rüttelt, der Anreiztheorie. Was motiviert uns, Dinge zu tun? Natürlich das Überleben und darüber hinaus ein gutes Leben. Ist das gesichert, was treibt uns weiter an? Was die Motivationsforschung seit 40 Jahren weiß, in der Praxis aber kaum befolgt wird: intrinsische Beweggründe, die Bedeutung, die unser Tun für uns hat, der Zuwachs an Können und Beherrschung, die Autonomie unseres Handelns, sind mächtiger als extrinsische Motive. Zuckerbrot und Peitsche mögen bei mechanischen Aufgaben wirkungsvoll sein, bei allem was ein Minimum an kognitivem Engagement verlangt, sind sie nicht nur wirkungslos, sondern schädlich (siehe Dan Pink on the surprising science of motivation). Damit soll wohlgemerkt den Urhebern nicht der Anspruch auf eine angemessene Vergütung abgesprochen werden, wohl aber relativiert es die Annahme vom homo oeconomicus, vom Geld als Maß aller Dinge und aller Kultur und vom Markt als wichtigstem Vehikel öffentlicher Kulturpolitik.
Davon unbenommen sollen Kreative natürlich Geld verdienen. “Das bisherige Modell, der Verkauf physischer Trägermedien” lasse sich nicht mehr durchgängig aufrechterhalten. Daraus erzielten Urheber aber noch nie größere Teile ihres Einkommens. In den performativen Künsten (Konzert, Theater, Tanz) stammt das vor allem, wenn nicht ausschließlich aus Aufführungen. Hinzu kommen Aufführungen der eigenen Werke durch andere Künstler. Da kein Urheber sämtliche Spielorte überwachen und gegebenenfalls Tantiemen einfordern kann, werden diese Ansprüche, seit sich 1777 Bühnenautoren und Komponisten in Paris zur ersten Urhebergesellschaft der Welt zusammenschlossen, kollektiv wahrgenommen. Wie Hilty betonte und Kretschmer/Hardwick nachwiesen, sind Verwertungsgesellschaften oft die einzige Quelle, aus der Kreative Einnahmen erzielen. Wieder anders sieht es aus bei Auftragswerken oder in der bildenden Kunst, die Unikate schafft. In letzterem Fall hat die Künstlerin nach dem Folgerecht (§ 26 UrhG) Anspruch auf eine Beteiligung am Erlös aus jeder Weiterveräußerung, der ebenfalls nur kollektiv wahrgenommen werden kann.
Das Problem der Finanzierung, das KWM und Tauschlizenz lösen können, stellt sich in Bezug auf eine spezifische Formen von Kunst und Kultur: aufgezeichnete digitale Werke, die online getauscht werden können. Derer nimmt sich die KWM primär und die Tauschlizenz ausschließlich an.
Dazu heißt es, die aktuelle Debatte darüber sei derzeit “ideologisch festgefahren.” Der CCC hoffe, diese mit seinem Konzept “aus ihrer Aussichtslosigkeit befreien” zu können.
Auch das eine verwunderliche Behauptung, ist es doch das in Kreativkreisen derzeit am intensivsten diskutierte Thema überhaupt. Ob auf den Vienna Music Business Research Days, Economies of the Commons 2. Paying the Costs of Making Things Free, Free Culture Forum, re:publica XI mit dem Schwerpunkt Crowdfunding, Rethink Music, Dokville oder Netz.Macht.Kultur um nur einige Beispiele aus den letzten Monaten zu nennen, – wo immer Kreative jeglicher Couleur zusammenkommen, stehen neue Ansätze im Mittelpunkt.
Peer-to-Peer-Finanzierung
Zu der zweifellos spannendsten Entwicklungen, die in diesen Debatten zu Tage treten, gehört die Ergänzung von P2P-Produktion und P2P-Distribution um P2P-Finanzierung. Die Idee des “Freikaufens” von Werken ist nicht neu.
Einmal veröffentlicht, lassen sich Werke nicht mehr kontrollieren. Folglich müssen die Produktionskosten vor der Erstveröffentlichung amortisiert werden. Eine Band oder eine Filmemacherin bewerben ihr neues Werk, legen den gewünschten Zielbetrag fest, lassen ihre Fans Ausschnitte daraus wahrnehmen, bauen auf ihre Reputation und werben Zahlungszusagen ein. Unterstützer können ihren Beitrag frei wählen. Werk und Zahlungen liegen bei einem Treuhänder. Wird der festgelegte Gesamtbetrag erreicht, wird das Werk gemeinfrei veröffentlicht und die Urheberin erhält ihr Geld. Bei Nichterreichen erhalten die Zahlenden ihr Geld zurück. Ein solches Modell eines kollektiven freiwilligen Bezahlens und eines “Schwellenwerts”, jenseits dessen die Freiheit liegt, haben folgenschwer Bruce Schneier und John Kelsey 1998 in ihrem Street Performer Protocol (SPP) vorgeschlagen.
Der CCC hat sich damals dafür stark gemacht. Das SPP hat in der Zeit von 2000 bis 2004 eine erste Welle von P2P-Finanzierungsplattformen inspiriert, darunter CopyCan.org, Freinutz.de, A-Fair.org, Fairtunes.com, alle aus dem Netz verschwunden. Nur The Digital Art Auction ist noch online – “Last modified: March 31, 2004” – und QuidMusic, mit ebenso langen Spinnenweben.18 Ein Nachzügler war SellYourRights, das nach den Blogposts von Ende 2008 ein Jahr lang lebte und dem letzten Post zufolge daran scheiterte, dass man sich hierzulande zwischen GEMA und CC entscheiden muss.
Heute erleben wir eine zweite Welle von P2P-Finanzierungsmodellen. Das sind zum einen Modelle zur kollektiven Vorabfinanzierung neuer Werke wie beim SPP. Kickstarter ist hier Vorreiter mit einer beachtlichen Zahl von Nachfolgern in Deutschland wie MySherpas, StartNext, Pling, YooProduce und VisionBakery. Yooook ist eine französisch/koreanische Full-Service Plattform, auf der CC-Optionen Stück für Stück freigekauft werden können.19 Besonders heiß scheint derzeit die Diskussion um Crowdfunding im Film zu sein.20
Zum anderen sehen wir Modelle zur nachträglichen Belohnung von veröffentlichten Werken wie Flattr, Patronism und IOU Music. Freiwillige Bezahlmodelle gehen aber auch ohne intermediäre Plattformen, direkt zwischen Fans und Künstlern, wie Yochai Benkler und drei Kollegen in einer eindrucksvollen Studie aufgezeigt haben: Everything in Its Right Place: Social Cooperation and Artist Compensation (2010). Dafür haben sie Magnatune und zwei weitere Musik-Sites untersucht, die alle auf Creative Commons Lizenzen und Pay-what-you-like-Bezahlung beruhen. Ihre Daten zeigen, dass Musiker durch freiwillige Bezahlung deutlich mehr erhalten als über eine verpflichtende, fixe Bezahlung wie bei iTunes.
P2P-Funding scheint mir ein großes Potential zu haben für die Finanzierung von Kultur jenseits der Tauschlizenz. Die ist unerlässlich, um den Krieg gegens Tauschen zu beenden, sollte aber als Übergangslösung konzipiert werden, die möglicherweise in naher Zukunft von P2P-Finanzierung ersetzt wird.21
Mit Ausnahme von Flatter erwähnt der CCC nichts davon. Von den traditionellen Formen der Entlohnung schöpferischer Tätigkeit über den Markt und öffentliche Kulturförderung oder radikaleren Vorschlägen wie dem bedingungslosen Grundeinkommen ganz zu schweigen.
Zugang, kein DRM
“Ein eng verwandtes, immer weiter um sich greifendes Problem ist das des Zugangs zu den Werken. Mehr und mehr Publikationen werden in stark beschränkten digitalen Formaten veröffentlicht, aus denen selbst ein einfaches Zitat nur mühsam möglich ist, ganz zu schweigen von einer ableitenden Nutzung.”
Die Frage des Zugangs ist, wie gesagt, gelöst. Der CCC sieht sie jedoch als ein “immer weiter um sich greifendes Problem.” Gemeint ist hier Digitale Rechtekontrolltechnologie (DRM). Dazu heißt es: “die Kastration der digitalen Kopierbarkeit durch DRM-Systeme, wird sich nicht mehr durchgehend aufrechterhalten lassen.”
Eine derart windelweiche Aussage hätte ich vom Hacker-Club nicht erwartet, der natürlich weiß, dass kein DRM-System je länger als zwei Tage außerhalb des Labors überlebt hat.
Das Problem ist nicht die Möglichkeit zu kopieren, tauschen, remixen. Die ist faktisch gegeben. Sondern der rechtliche Status dieser Nutzungen in vielen Fällen.22 Nutzungsrechte gegen Vergütung, das ist Hauptziel des KWM-Systems.
Dass aber der Problemaufriss des CCC bei DRM schon endet, hätte ich nicht erwartet. DRM ist Schnee von gestern. Der Krieg gegens Tauschen wird heute mit anderen Mitteln geführt. Gerade dazu hätte ich mir eine klarere Ansage des CCC gewünscht.
Ein Ende des Kriegs gegens Tauschen
Statt sich in das Unausweichliche zu fügen, beharrt die Verwertungsindustrie auf Geschäftsmodellen eines vergangenen Zeitalters und dreht mit jedem Scheitern die Eskalationsschraube der Repression weiter.
In “Ending the War on Sharing” (2009) benennt Richard Stallman den Wahnsinn dieses Krieges und macht einige Vorschläge zu alternativen Formen der Finanzierung von Kultur. Sein Fazit: “You may have other good ideas. Let’s support musicians, and let’s legalize sharing.”
DRM war nur der Anfang: der Traum der Verwerter, dass man Bithaufen dazu bringen könne, sich zu verhalten wie körperliche Produkte, nur besser. Doch als sie nach einer Kette von Katastrophen23 begriffen, dass ihnen DRM mehr schadet als nützt, gaben alle vier Musik-Majors im Laufe des Jahres 2007 DRM auf. Die Film-, die Game-Industrie und die E-Book-Branche setzen weiter darauf. Für Filesharer mag das lästig sein, hinderlich ist es nicht. Vor allem macht es den zahlenden Kunden das Leben schwer.
Die aktuelle technologische Strategie zielt nicht mehr auf individuelle PCs, sondern auf das Netz. Internet-Filterung mit DPI (Deep Packet Inspection) ist unter anderem von Virgin Media in England 2010 bereits getestet worden.
Das juristische Vorgehen konzentrierte sich zunächst auf P2P-Dienstleister (Napster, Kazaa, Grokster, The Pirate Bay usw.), dann auf individuelle Filesharer. Daraus ist eine eigene Abmahnindustrie mit technischen Überwachungsdienstleistern (siehe z.B. DigitRights Solution) und spezialisierten Kanzleien geworden.
Damit nicht genug, sorgen neue Gesetze für Vorratsdatenspeicherung (jetzt auch in den USA) und die digitale Todesstrafe aka 3-Strikes (in Frankreich, Süd-Korea, Neuseeland und UK).
In zunehmenden Maße richten sich die Durchsetzungsaktivitäten gegen “Intermediäre”. So sollen Anbieter von Dienstleistungen für Zahlung (Paypal, Kreditkarten), Werbeschaltungen und Domain-Registrierung urheberrechtsverletzende Sites nicht mehr bedienen dürfen, so eine Gesetzesinitiative in den USA: erst COICA (Combating Online Infringements and Counterfeits Act), jetzt PIPA (Protect IP Act24). Das Lobbying zur Einführung derselben Regeln in Europa hat bereits begonnen.
Vor allem aber sollen die Internet Service Provider (ISP) als Urheberrechts-Hilfssheriff eingesetzt werden. In Europa ist der nächste Schritt dorthin die Überarbeitung der IPRED (Intellectual Property Rights Directive) von 2004. Die EU-Kommission schrieb in ihrem Bericht A Single Market for Intellectual Property Rights vom 24.5.2011 dazu, die Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen über das Internet müsse “an der Quelle” ansetzen und zu diesem Zweck “die Kooperation der Intermediäre, wie die Internet Service Provider” gewinnen.25
Zur globalen Durchsetzung werden diese Maßnahmen dann in multilaterale Abkommen gegossen, erst ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) und aktuell TPP (Trans-Pacific Partnership).
Das ganze wird untermauert durch eine wachsende industrielle Piraterie-Forschung, die jährlich wie eine UNO-Agentur ihre Sicht der Weltlage in Länderberichten vorlegt, die wiederum zu großen Teilen direkt in die US-Außenhandelspolitik einfließt. Gemeint ist die IIPA (International Intellectual Property Alliance) und der Special 301 Prozess, der Sanktionen gegen “Piratenstaaten” verhängt. Der gerade erschiene Forschungsbericht Media Piracy in Emerging Economies (Joe Karaganis (ed.) 2011) gibt einen guten Einblick in diese unheilige Allianz.
Anders als Kunst und Kultur liegen die Kernkompetenz des CCC in seiner intimen Kenntnis von Technologie und seinem Engagement für digitale Innovations- und Informationsfreiheiten. Hier ist die Expertise des Clubs hochangesehen, bis hin zum Bundesverfassungsgericht (z.B. zu den Themen Vorratsdatenspeicherung und Wahlcomputer).
Ich hätte daher erwartet, dass das Ende des Kriegs gegens Tauschen zumindest eine der zentralen Fragen ist, die der CCC mit der KWM beantworten will. Doch außer den ambivalenten Aussagen zu DRM (dazu unten mehr) und der äußerst vagen Hoffnung, durch die KWM eine Urheberrechtsänderung zu bewirken (“Die zivil- und strafrechtliche Verfolgung nicht-kommerziellen Filesharings wird eingestellt.”) – und auch das nicht als erklärtes Ziel, sondern eher beiläufig –, findet sich dazu nichts.
Schauen wir uns nun das vorgeschlagene Modell im Einzelnen an. Wie die Tauschlizenz muss die KWM Lösungen für die verschiedenen Bestandteile des Systems vorschlagen: Pauschale Einzahlung, Auszahlung an Urheber, Veränderung der Rechte an Werken, Organisation des Verfahrens wie Registrierung der Werke, Abwicklung der Transaktionen, Streitschlichtung und Entscheidungsfindung der beiden Kollektive Urheber und Publikum.
Einzahlung
“1. Jeder Teilnehmer am System zahlt monatlich einen allgemein festgelegten Betrag. (In der radikalsten Variante wird der Betrag von allen Steuerpflichtigen erhoben. Realistisch ist für den Anfang die Erhebung über den Internetzugang.)”
“FAQ: Von wem wird das Geld eingesammelt?
Die langfristige Idee ist, daß alle steuerpflichtigen Bürger zum System beitragen und daran teilnehmen können. Da anfangs die technische Ausgestaltung des Systems eher online-lastig sein wird und Netznutzer einerseits auch am meisten Filesharing betreiben und andererseits am stärksten von einer digitalen Allmende profitieren werden, ist eine Erhebung auf der Basis eines Zuschlags zu Internetzugängen denkbar. Dies wird allerdings mehr Bürokratie auf der Erhebungsseite erzeugen, da etwa Personen mit mehreren Internetzugängen nicht mehrmals zur Kasse gebeten werden sollen.”
“FAQ: Ist das nicht das Gleiche wie Flattr?
Seitdem wir angefangen haben, das Kulturwertmark-Modell zu diskutieren, sind einige der ehemaligen Betreiber des größten Bittorrent-Trackers The Pirate Bay auf ähnliche Gedanken gekommen. Ihr Konzept Flattr beruht auf einer freiwilligen monatlichen Spende und einer anteiligen Ausschüttung, je nachdem wievielen verschiedenen Künstlern man Geld im Abrechnungszeitraum zukommen lassen will. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, daß bei Flattr der gesamte Aspekt der Rechte am Werk ausgeklammert wird. Man gibt nur Geld an den Künstler, ohne daß sich dadurch die Verwertungsrechte verändern oder eine digitale Allmende gebildet wird. Es gibt auch kein Konzept einer Gegenleistung der Contentindustrie in Form eines entschärften Urheberrechts.”
Wie bei der Tauschlizenz wird das zu verteilende Geld als Zuschlag auf die monatlichen Internet-Zugangsgebühren erhoben.
Wie bei der Tauschlizenz ist die Urheberrechtspauschale offenbar verpflichtend für alle Internet-Nutzer. Das wird zwar verschämterweise nirgends ausgesprochen, die Hinweise, dass der Betrag auch von allen Steuerpflichtigen erhoben werden könnte, dass die Teilnahme für Kreative ausdrücklich freiwillig ist (“Jeder Künstler, der am System teilzunehmen wünscht, registriert sein Werk.”), dass ein wesentlicher Unterschied zu Flattr in dessen Freiwilligkeit bestehe, vor allem aber die Bedeutung, die ein “garantierter Mindestumsatz” im KWM-System hat, lassen jedoch keinen anderen Schluss zu. So ist es auch in der öffentlichen Debatte über die KWM (z.B. auf Netzpolitik) verstanden worden.
Die Frage, an wen oder was man die Zahlungsverpflichtung bindet, ist durchaus eine Überlegung wert. Wir kennen verschiedene Modelle mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen. Eine Pauschale kann gebunden werden
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an den Kauf einschlägiger Produkte (DVD-Brenner, Rohlinge für Privatkopie) oder Eintrittskarten (Konzert, Disko für Aufführungsrecht)
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an Individuen (Lohn- und Einkommenssteuer)
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an die Möglichkeit einer Nutzung (Besitz von TV, Radio bei Rundfunkgebühr)
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an Haushalte (neu bei Rundfunkgebühr)
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an das Abonnement eines Dienstes (Internet-Zugang).
Aus praktischen Gründen bietet es sich an, die Pauschale, anders als bei der Rundfunkgebühr, an eine vom Nutzer initiierte Zahlung aufzuschlagen. Online-Tauschen setzt bestimmte Endgeräte voraus. PCs und Festplatten sind bereits mit einer Privatkopiepauschale belegt. Denkbar wäre ein Aufschlag auf DSL- und Kabel-Modems. In beiden Fällen wird der Kaufpreis einmal bezahlt, die einmalige Urheberrechtspauschale müsste also die Tauschnutzung über die gesamte Lebensdauer der Geräte hinweg abgelten und könnte so unverhältnismäßig hoch ausfallen.
Eine Bindung an den Internet-Zugang hat offensichtliche Vorteile: Das Internet ist der primäre Ort, an dem die Nutzungen stattfinden, die legalisiert werden sollen, und es gibt einen monatlichen Zahlungskanal, auf den unproblematisch eine Urheberrechtsabgabe aufgeschlagen werden kann. Doch auch diese Lösung hat ihre Unschärfen. “Personen mit mehreren Internetzugängen [sollen] nicht mehrmals zur Kasse gebeten werden,” schreibt der CCC. Aber warum eigentlich nicht? Um eine Verhältnismäßigkeit zur möglichen Nutzungsintensität zu erzielen, ist eine Staffelung nach Bandbreite vorgeschlagen worden.26 Analoge Modem-Zugänge, die für kaum mehr als E-Mail genutzt werden können, sind ausgenommen. Eine 50 Mbit/s-Leitung erlaubt, größere Datenmengen hoch- und runterzuladen als eine 16 Mbit/s-Leitung. Entsprechend ist die Urhebeberrechtspauschale höher anzusetzen. Und wer sich mehrere Internet-Zugänge leistet, hat ein entsprechend größeres Up- und Download-Volumen zur Verfügung.
Im umgekehrten Fall, in dem sich mehrere Personen einen Internet-Zugang teilen oder eine Person ihren Zugang im Freifunk mit jedermann teilt, ist die gleichzeitige Nutzungsintensität für alle durch die jeweilige Bandbreite begrenzt. Zu klären ist ferner, wie es sich mit Weiterverkäufern von Bandbreite verhält, wie Internet-Cafés, LAN-Houses, Hotels, reguläre Cafés und Restaurants, die ihren Kunden WLAN anbieten. Auch für Institutionen wie Hochschulen und Unternehmen, die ihren Mitgliedern Internet-Zugang bieten, werden geeignete Tarife zu finden sein.
Steuer
“In der radikalsten Variante wird der Betrag von allen Steuerpflichtigen erhoben. Realistisch ist für den Anfang die Erhebung über den Internetzugang.”
“FAQ: Die langfristige Idee ist, daß alle steuerpflichtigen Bürger zum System beitragen und daran teilnehmen können. Da anfangs die technische Ausgestaltung des Systems eher online-lastig sein wird und Netznutzer einerseits auch am meisten Filesharing betreiben und andererseits am stärksten von einer digitalen Allmende profitieren werden, ist eine Erhebung auf der Basis eines Zuschlags zu Internetzugängen denkbar.”
Urheberrechtsabgaben werden ähnlich wie Rundfunkgebühren von interessierten Parteien gern als “Steuer” diffamiert (z.B. EFF). Steuern sind Abgaben, die vom Staat erhoben und für Zwecke des Staates verwendet werden. Das ist bei zweckgebundenen Urheberrechtsabgaben (und aus guten, oder genauer: schlechten historischen Gründen bei Rundfunkgebühren) nicht der Fall.
Davon unbenommen ist die tatsächlich steuerfinanzierte öffentliche Kulturförderung (Kulturstiftung des Bundes, Hauptstadtkulturfonds, Wissenschaftsförderung durch DFG und DAAD, die Stadt- und Staatstheater, die Bibliotheken und Archive usw.), über die der CCC aber nicht spricht.
Warum als “radikalste Variante” “langfristig” der Betrag von allen Steuerpflichtigen erhoben werden sollte, erläutert der CCC nicht. Offenbar geht es darum, nachdem sich das System anfangs nur auf Online-Nutzungen bezieht, später Offline-Werke wie Ölgemälde und Plastiken einzubeziehen (zu dieser skurrilen Idee mehr unter “Repositorium”)
Tatsächlich gab es bis vor kurzem nur einen einzigen Autoren in der ganzen zehnjährigen Debatte, der ein alternatives Vergütungssystem auf Steuerbasis vorgeschlagen, es aber als politisch nicht durchsetzbar gleich wieder verworfen hat. William Fisher beginnt sein Kapitel An Alternative Compensation System (ACS) in seinem Buch Promises to Keep: Technology, Law, and the Future of Entertainment (Stanford University Press, 2004) mit der ökonomischen Lehrbuchdefinition von “öffentlichen Gütern” (der Leuchtturm,27 nicht rival, nicht ausschließbar). Um der Unterproduktion solcher Güter entgegenzuwirken, fährt er fort, verwenden Staaten verschiedene Strategien: 1. die öffentliche Hand kann sie bereitstellen (z.B. Innovationen aus öffentlichen Forschungseinrichtungen), 2. sie kann private Akteure dafür bezahlen, die öffentlichen Güter anzubieten (z.B. Kulturförderung), 3. sie kann post-hoc Preise dafür ausloben (z.B. in den USA für Innovationen in der Atomenergie28), 4. sie kann Anbieter von öffentlichen Gütern gegen Wettbewerb schützen (z.B. Patent- und Urheberrecht) und 5. sie kann private Akteure darin unterstützen, Einrichtungen zu schaffen, die die Ausschließbarkeit solcher Güter erhöhen (Betriebsgeheimnisschutz (z.B. die CocaCola-Formel), DRM). Was Fisher dann vorschlägt, ist eine Variante der dritten Strategie: ein staatlich verwaltetes Belohnungssystem, organisiert vom US Copyright Office, also einer Behörde, und finanziert durch “Steuern.”
Merkwürdigerweise verliert er kein Wort über eine auch in den USA, sicher aber in Kontinentaleuropa, wo es keine entsprechenden Urheberrechtsbehörden gibt, naheliegende Alternative, eine Variante der fünften Strategie: Die öffentliche Hand kann private Zusammenschlüsse von Urhebern, also Verwertungsgesellschaften, durch gesetzliche Rahmenbedingungen darin unterstützen, Einrichtungen zu schaffen, die es ihnen erlauben eine Vergütung für privates Kopieren und öffentliches Aufführen einzutreiben und andernfalls Copyshops und Discos auszuschließen. Tatsächlich erwähnt Fisher die älteste der drei US Musikurheber und -Verlegergesellschaften ASCAP in diesem Kapitel nur an einer Stelle. Bei der Berechnung der Verwaltungskosten seines ACS unterstellt er (mit Robert Merges), dass eine öffentliche Einrichtung im allgemeinen weniger effizient sei als eine private.29
Aus einer längeren Analyse von Musik- und Filmindustrie errechnet Fisher einen Schaden durch Filesharing, den das ACS zu kompensieren hat, von 1,736 Mrd. US$.30 Hinzu kommen besagte konservativ angesetzten Verwaltungskosten. 2,389 Mrd. US$ müsse das ACS demnach einspielen. Dieser Betrag bleibt auch in seinem Vergleich mit dem Haushalt der NASA (15 Mrd. US$/Jahr) und dem der National Science Foundation (5 Mrd. US$/Jahr) noch ansehnlich.
Um diesen Betrag aufzubringen, schlägt er zwei Möglichkeiten vor. Der erste ist eine geringfügige Erhöhung der Einkommenssteuer. Würde man den Gesamtbetrag gleichmäßig auf alle Steuerpflichtigen verteilen, müsste jeder 27 US$ pro Jahr zusätzlich bezahlen. Plausibler sei es, die Last, wie bei der Einkommenssteuer üblich, progressive ansteigen zu lassen, so dass Schlechterverdienende einen geringeren Anteil davon übernähmen. Das habe zwei große Vorteile. Die Erhebung würde keine weiteren Verwaltungskosten verursachen und sie entbehre nicht einer gewissen Gerechtigkeit: Wer mehr verdient, kann sich mehr und bessere Unterhaltungselektronik leisten und damit größeren Genuss aus den mit der Steuer finanzierten Werken ziehen. Diese Möglichkeit favorisiert Fisher, aber sie habe einen entscheidenden Nachteil: Sie wäre sehr wahrscheinlich politisch nicht sehr populär.31 Da viele US-Amerikaner den Staat, gewissermaßen gleich nach al-Quaida, als ihren Hauptfeind sehen, und Steuern als seine Form von Terror, dürfte das ein Understatement sein. Umso mehr noch in der aktuellen Lage von Staatsbankrott und Tea Party.
Fishers zweite und eigentliche Lösung ist eine “tax” auf Waren und Dienstleistungen, über die man Musik und Filme wahrnehmen kann, vor allem auf Internet-Zugang. Er bezieht sich dabei auf Neil Netanels, wie er sagt, bahnbrechenden Aufsatz mit dem Titel: Impose a Noncommercial Use Levy to Allow Free P2P File Sharing (2003). “Levy”, also Urheberrechtsabgabe und nicht “tax”, also Steuer. Warum Fisher konsequent von “tax” spricht, ist mir schleierhaft. Aus dem Gesagten wird auf jeden Fall klar, dass er eine Urheberrechtsabgabe auf CD-Brenner, Video-Rekorder, CD-Rohlinge und MP3-Player sowie auf Internet-Zugänge meint. In Deutschland sind die Produkte bereits mit einer Urheberpauschale belegt. Der ISP-Zuschlag würde aber auch in seiner Rechnung den größten Teil der zweieinhalb Milliarden US-Dollar aufbringen. Kurz: Auch der einzige theoretische Befürworter einer steuerbasierten Lösung spricht sich in der Praxis für eine Urheberrechtspauschale aus, nur dass sie bei Fisher wie bei Netanel nicht kollektiv, sondern vom US Copyright Office verwaltet wird.
Jüngst legte nun eine von Google-Deutschland geleitete Arbeitsgruppe ihren Abschlussbericht zur 3. Initiative “Urheberrecht für die Informationsgesellschaft” vor. Dort wird als Szenario 1 eine “Kultursteuer” (S. 73 ff.) vorgeschlagen. Warum die Kreativen ihr Geld aus einem “global finanzierten Steuertopf” bekommen sollen, statt über Urheberrechtspauschale und die Verwertungsgesellschaften, wird dürftig so begründet: “Denn nur ein öffentlich organisiertes Ausschüttungssystem sichert kulturelle Vielfalt. Und dieses System erlaubt gleichzeitig eine faire Honorierung der Künstler durch abgefederte Marktmechanismen.”32
Nach Meinung der von Google versammelten Expertenrunde soll es in diesem Szenario “nur eine einzige globale Steuer” geben. Ihre Höhe soll sich “nach der Stärke der Volkswirtschaft (in Prozent) und dem vereinbarten Bezahlungs- und Vergütungsschlüssel” richten, und sie soll “nach Segmenten (eBook, Film, Tonträger …) unterteilt” ausgeschüttet werden. Daran, ob hier tatsächlich zwischen Steuer und Urheberrechtsabgabe unterschieden wird, lässt der folgende Satz zweifeln: “Steuer nicht zentriert (wie heute GEMA) sondern wesentlich breiter organisiert.” Doch auch an der breiteren Organisierung melden sich Zweifel, wenn man liest, dass das Entscheidungsgremium zu jeweils “50 Prozent aus internationalen öffentlichen Einrichtungen und privaten Plattformanbietern” (wie Google, darf man vermuten. Auch Google scheint die GEMA nicht besonders zu mögen.) bestehen soll. Wie bei der Radikal-KWM soll der Staat Steuern eintreiben. Ausgeben sollen das Geld andere. Vor allem aber kommen Urheber und Nutzer, die in der KWM-Stiftung hälftig entscheiden sollen, in der – erklärtermaßen “wesentlich breiter organisierten” – Google-Vision verblüffenderweise gar nicht vor.
Eine öffentlich bezuschusste verpflichtende Zahlung plus Wahlfreiheit beim Ausgeben wird gerade in Brasilien eingeführt: Vale Cultura. “Vales” sind eine Form von Sozialleistungen für Arbeiter und Angestellte in Form von Coupons. Es gibt Verköstigungsgutscheine (vale alimentação), die in Restaurants eingelöst werden können, und Transportgutscheine (vale transporte) für Benzin. Den größten Teil dieser beiden zweckgebundenen “vales,” die während der Zeit der Hyper-Inflation eingeführt wurden, zahlt der Arbeitnehmer, der kleinere wird öffentlich bezuschusst. Der Gesetzentwurf zum neuen Kultur-Coupon (PL 5798/09) sieht vor, dass darüber 14 Millionen Arbeitnehmern 50 R$ (22,52 €) pro Monat erhalten, die sie für Theater, Kino, Konzerte, Museen, CDs, DVDs, Bücher usw. ausgeben können. Die Kosten teilen sich Arbeitgeber mit 50% und Arbeitnehmer mit 20%. 30% erlässt der Staat dem Arbeitgeber an Steuerschuld und ein weiteres Prozent den Verkäufern der Kulturwaren an Umsatzsteuer. Es handelt sich also um einen verpflichtend vom Lohn einbehaltenen und subventionierten Betrag, der zweckgebunden für Kultur und nicht etwa andere Genussmittel ausgegeben werden muss. Man rechne, heißt es auf der Website des Ministeriums, mit einer “direkten Injektion” von 600 Mio R$ pro Monat in den kulturellen Markt oder 7 Mrd. R$ (3,153 Mrd. €) pro Jahr.33
In ihrer Antrittsrede im Januar 2011 bat Brasiliens neue Kulturministerin Ana de Hollanda das Parlament innständig, das Vale Cultura-Projekt zu unterstützen. Sie sprach darin auch von der Notwendigkeit den “Zugang zu Information, Wissen und Kunst” zu verbessern, übersetzt diese hier aber in “einen Kapazitätszuwachs für kulturellen Konsum unter der aufwärts-mobilen brasilianischen Bevölkerung.” Es handelt sich also um eine Art Public-Private Partnership, die Brasilianer zwangsweise anhalten soll, – oftmals überteuerte ausländische – Kulturprodukte zu kaufen, statt sie etwa aus P2P-Netzen herunterzuladen. Von einer solchen paternalistischen Strategie mag man halten, was man will. Immerhin lehrt sie uns, dass öffentliche Kulturförderung nicht nur auf der Angebotsseite (Geld an Urheber), sondern auch auf der Nachfrageseite (Geld an Konsumenten) ansetzen kann. Wenn man grundsätzlich nachdenkt, darf man keine Option unerwägt lassen.
Silke Helfrich fühlt sich durch die Idee der Festlegung von Obergrenzen für das Freikaufen von Werken im KWM-System an ein weiteres staatliches Steuerungsinstrument erinnert, an die CO2-Emissionsobergrenzen beim Emissionsrechtehandel (Tradeable Environmental Allowances, TEAs34). Es handelt sich um eine Variante von Fishers dritter Strategie: Hier wird nicht die Schaffung von öffentlichen Güter belohnt, sondern ihre Schädigung bestraft. Helfrich lehnt ein solches cap and trade Modell ab. Es habe schon oft versagt, wie zu sehen an den Fangquoten in der Fischerei. Vor allem aber möchte ich bezweifeln, ob ein gebührenpflichtiges und handelbares Verschmutzungsrecht für unsere Wissensumwelt die geeignete Metapher ist. Zumal die Praxis, der dieses Instrument dienen soll, die Umwelt ja gerade nicht verschmutzt, sondern beliebig erweitert.
Schließlich ist bei der Konstruktion von Steuer plus unabhängiger Empfängerorganisation an die Kirchensteuer zu denken. Die wird vom Staat im Auftrag von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eingezogen, und zwar ausschließlich von deren Mitgliedern, und an diese Gemeinschaften zur eigenverantwortlichen Verwendung weitergegeben. Auch das eine nachdenkenswerte Idee: Der Staat sammelt von allen “Internet-Mitgliedern” eine Steuer und gibt sie an Kreativgemeinschaften (Verwertungsgesellschaften) zur eigenverantwortlichen Verwendung weiter. Aber mal ehrlich: Die Kirchen haben in ihrer Zeit ohne Frage ihren Teil zu Kultur beigetragen. Aber die KWM als Kirchensteuer des 21. Jahrhunderts ist doch auch nicht die Metapher, die wir wollen, oder?
Wie sich der CCC sich diese “radikalste Variante” eine steuerfinanzierten Kultur vorstellt, wird nicht ausgeführt und kann folglich hier auch nicht diskutiert werden. Aber auch bei der für den Anfang realistischen Erhebung über den Internet-Zugang muss der Steuerzahler ziemlich tief in die Tasche greifen. Denn:
“Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte, aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, …”
Dazu mehr unter „Bank“.
GEZ
Der CCC zieht den Vergleich zwischen Tauschlizenz und Rundfunkgebühr dankenswerterweise nicht. Zum Rundfunk heißt es nur bei der Besetzung des Exekutivgremiums der KWM-Stiftung, dass eine Quotenregelung wie bei den Rundfunkräten sich nicht bewährt habe und undemokratisch sei. Aber in der Presse und in den Blogrekationen zur KWM kommt der Vergleich natürlich doch wieder.
Kein Wunder, wird er doch selbst in höchstberufenen Kreisen gern gebracht. So sagte Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer Grundsatzrede zum Urheberrecht am 14. Juni 2010: “Eine Kulturflatrate – die stellen sich einige offenbar so vor, wie eine Internet-GEZ. Jeder Anschlussinhaber ist verpflichtet, einen Pauschalbetrag zu bezahlen, und kann dann sämtliche urheberrechtlich geschützten Netzinhalte nutzen.” Das geht natürlich gar nicht. Denn, “dies wäre eine Zwangskollektivierung der Rechte, die einen gewaltigen Verteilungskampf der Urheber um die Einnahmen zur Folge hätte.”
Warum, bei aller Kritik, noch nie jemand dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk “Zwangskollektivierung” vorgeworfen oder einen chronischen “Verteilungskampf” unter den Urhebern attestiert hat, bleibt das Rätsel der FDP-Ministerin. Verwertungsgesellschaften dürfte es nach dieser Logik auch nicht geben, denn, ganz abgesehen von dem Skandal eines proto-kommunistischen Kollektivsystems, hätten sich die Urheber in ihrer ungezügelten Gier längst gegenseitig zerfleischt. Gewerkschaften mit ihren noch viel kommunistischeren, gleichmacherischen Tarifverträgen im übrigen auch nicht.
Von DRadio Wissen (12.5.2011) nach der Kultur-Flatrate befragt, sagte Leutheusser-Schnarrenberger: “Natürlich brauche ich erstmal einen Riesenmechanismus, um, möglicherweise sogar noch mit der GEZ zusammen, von jedem Bürger, schön kontrolliert, so eine Kultur-Flatrate zu erheben. Das setzt ja das fort, was jetzt schon, zurecht, von den Bürgern kritisiert wird.” Vom Moderator nach der Gebühreneinzugszentrale befragt, fährt sie fort: “Aber die steht ja nun auch eher im Fokus der Kritik. Deshalb wird ja auch diskutiert, wie man das System mit einer Medienabgabe ändern kann, um nicht mehr diese Kontrolle zu haben. Und natürlich sind das ganz schwierig Fragen der Verteilung, weil ich nicht vom Urheber ausgehe, sondern ganz allgemein vom Nutzer, jeden über den gleichen Kamm schere. Jeder muss bezahlen, ganz egal, welches Werk er wie nutzt.” Ihr Schlusswort: Das entferne sich sehr vom Grundgedanken des Urheberrechts. Stattdessen setzt die Ministerin, wie alle Bundesregierungen bisher, sagt sie darauf, die Durchsetzung von Urheberrechten zu verbessern, mit Auskunftsansprüchen und Abmahnungen, “was auch sich in gewisser Dimension zu einem Ärgernis für die Nutzer entwickelt.” sagt die Ministerin. “Aber illegales Downloaden kann jetzt auch nicht eben mal erlaubt werden, für alle.”
Soviel geht auf keine Kuhhaut drauf, geschweige denn auf diese Replik, die sich ja nicht an die Bundesjustizministerin, sondern an den CCC wendet. Deshalb nur ganz kurz: Den “Riesenmechanismus” aus ZPÜ und Verwertungsgesellschaften gibt es bereits. Nein, es gibt keinerlei Veranlassung die kollektive Rechtewahrnehmung mit der GEZ zusammenzulegen. Ja, selbstverständlich geht man bei einem kollektiven Bezahlmodell von den Nutzern aus, die müssen schließlich bezahlen. Ja, jeder soll nutzungsunabhängig zahlen, das ist ja gerade die Idee von Pauschalen. Nein, selbstverständlich sollen bei der Auszahlung nicht alle Urheber über einen Kamm geschoren werden. Was sie mit dem “Grundgedanken des Urheberrechts” meint, bleibt ihr Rätsel. Kollektive Rechtewahrnehmung scheint für sie offenbar nicht dazu zu gehören, allenfalls als leidlich gelittenen Ausnahme davon durchzugehen, anzuwenden nur im Falle eines größten anzunehmenden Unfalls, also eines Markversagens, das sich anders nicht reparieren lässt. Und prompt schwenkt die Ministerin vom lästigen Thema “illegales Downloaden” um auf die Presseverlage und ihr Leistungsschutzrecht. Das soll zwar, zähneknirschend, von den Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden, aber rein B2B, zwischen den Presseverlagen und denen, die Presseerzeugnisse vermarkten, also Google & Co., ausgehandelt werden. Das ist der Ministerin ganz wichtig, dass das “ohne Auswirkung auf die Nutzer bleibt. Nicht der normale User soll in irgend einer Form davon betroffen sein. Das halte ich für ganz wichtig. Sonst gäb’s da erhebliche, berechtigte Unruhe.”
Vor allem ist daran bemerkenswert: Es scheint, dass die Gegner der Tauschlizenz sie in jedem Land per Analogie zum größten nationalen Schreckgespenst diffamieren wollen, in den USA sind es Steuern, in Deutschland die Rundfunkgebühren. Und die GEZ, dieses bürokratische Monster, das außerdem in unsere Privatsphäre hineinschnüffelt. Was motiviert die Diffamierung der Ministerin? Man darf vermuten, dass sie den Verteilungskampf der Urheber um ihre Einnahmen auf dem “freien Markt”, also in individuellen “freie Verhandlungen” mit den Verwertern ihrer Werke schlicht aus Prinzip jeder kollektiven Lösung vorzieht.
Doch die GEZ inspiriert gelegentlich auch wohlmeinende Vorschläge. So schreibt Martin Häcker in seiner Diplomarbeit Filesharing is Inevitable: “Speziell in Deutschland würde es sich anbieten, im Zuge der Neugestaltung der Rundfunkgebühren eine Kulturflatrate in das derzeit diskutierte Modell der geräteunabhängigen Haushaltsabgabe zu integrieren. … Der Minimalzugang zu Kultur und Informationen, den die Öffentlich-Rechtlichen sicherstellen sollen, könnte dadurch mit geringen Zusatzkosten zu einem Universalzugang erweitert werden.” (2007, S. 190 f.)
Natürlich kann keine Option vorab ausgeschlossen werden. Aber ich möchte zu bedenken geben, dass es sich bei Rundfunkgebühr und Urhebervergütung um grundlegend verschiedene Mechanismen handelt. Ja, einen nicht unerheblichen Teil unserer Gebühren bezahlt der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Sendung bestehender Werke – über GEMA, GVL, VG Wort und VG Bild-Kunst an die jeweiligen Urheber. Aber seine primäre Aufgabe ist natürlich nicht die Versendung von Bestehendem, sondern die Schaffung neuer Werke, sei es durch eigene Mitarbeiter oder häufiger durch Beauftragung externer Produktionsfirmen. Dagegen geht es bei der kollektiv wahrgenommen Urhebervergütung um die Zweitnutzung (Sendung, Privatkopieren, Tauschen usw.) bestehender Werke. Oder wirtschaftlich gesprochen: einmal um die Vorfinanzierung einer Produktion, das andere Mal um die Belohnung für ein veröffentlichtes Produkt. Hier wurde für die Pauschale separat bezahlt und von einer eigenen Einrichtung, der GEZ, eingezogen. Dort wird sie zusammen mit von den Kunden initiierten Zahlungen erhoben.35
Die Fragen sind grundlegend verschieden. Hier: Was ist informationelle Grundversorgung?36 Was ist eine gesellschaftlich sinnvolle Kulturentwicklung? Welche Formen von Kunst und Kultur leisten wir uns als Gesellschaft, auch wenn sie keine Quote bringen? Was soll, was darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet? Dort: Wie erfasse ich die tatsächliche Intensität der kollektiv wahrgenommen Nutzung möglichst genau, um eine möglichst große Auszahlungsgerechtigkeit an die Urheber zur erzielen?
Beides wichtige und schwierige Aufgaben, die nicht einfacher werden, wenn man sie in einen Topf wirft.
Wieviel?
“FAQ: Wer legt die Höhe des Betrages fest?
Die Höhe des monatlichen Betrages hängt von der Bedeutung ab, die wir als Gesellschaft Kunst und Kultur zugestehen. Mit den derzeit über 25 Millionen Internetanschlüssen in Deutschland wären mit fünf Euro pro Monat potentiell über 1.500 Millionen Euro pro Jahr an verteilbarem Geld verfügbar. Die Höhe des monatlichen Beitrags sollte durch das demokratisch gewählte Stiftungskomitee festgelegt oder per Abstimmung ermittelt werden.”
Das ist die Millionen-Euro-Frage: Was kommt dabei rüber? Wer bezahlt wieviel? Wer bekommt wieviel? Der CCC will sich beim monatlich zu zahlenden Betrag tunlichst nicht festlegen, beschreibt vor allem ein Verfahren, wie er ausgehandelt wird, macht aber dennoch eine Ansage: fünf Euro im Monat, 60 Euro im Jahr.
Die “fünf” stammen wiederum von William Fisher. Er fragt (in Promises to Keep, 2004, S. 207 ff. der Druckfassung), wie der Betrag zu bestimmen sei, den die öffentliche Hand an Kreative verteilt. Weder ein theoretisches Marktoptimum noch ein “angemessenes”, “gerechtes” Honorar für kreative Leistung, – um dessen Bestimmung Naturrechtstheoretiker von John Locke bis Robert Nozick seit Jahrhunderten vergeblich gerungen haben – seien zielführende Kriterien. Stattdessen geht Fisher von einem praktischeren, wie er sagt, Kriterium aus: Das neue System solle den Kreativen und denjenigen, an die sie ihre Rechte abgetreten haben, den Schaden kompensieren, den sie dadurch erlitten haben und in unmittelbarer Zukunft wahrscheinlich erleiden werden, dass ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihre Urheberrechte in der digitalen Umwelt im vollen Umfang durchzusetzen. Kurz, das System solle vom Gesamtbetrag ausgehen, mit dem aktuell Kreative vergütet werden, und diesen zunächst konstant halten, also jeden feststellbaren Rückgang durch legalisiertes nichtkommerzielles Filesharing ausgleichen. Er errechnet dann – nur als Illustration, wie das Copyright Office bei der tatsächlichen Bestimmung vorgehen würde – die erwarteten Einnahmerückgänge in Musik- und Filmindustrie.
In der Musik sieht er vor allem drei Geschäftsmodelle betroffen: das der Plattenfirmen, der Radiostationen und der Webcaster. Gestützt auf Industriedaten und Literatur errechnet er einen Schaden von 153 Mio. US$ für die Besitzer von Musikurheberrechten und 1,104 Mrd. US$ für die Besitzer von Leistungsschutzrechten an Tonträgern. Für die Filmindustrie erwartet er Einbußen bei Verkauf und Verleih von DVDs, bei Kabel- und Satelliten-Abo-TV und bei Pay-per-View in einer Gesamthöhe von 479 Mio. US$. Ergibt eine Summe von 1,736 Mrd. US$. Plus Verwaltungskosten von 20% macht: 2,389 Mrd. US$.
Dieser Betrag soll nun durch eine Urheberrechtsvergütung auf Waren und Dienstleistungen, die für den Zugang zu Musik und Film verwendet werden, aufgebracht werden. Mit Neil Netanel geht Fisher dann davon aus, dass vor allem vier Kategorien dafür infrage kommen: 1. Digitale Kopiergeräte (CD-Brenner, digitale Videorekorder), 2. Leermedien (Rohlinge, MP3-Player), 3. Breitband-Internet-Zugang und 4. P2P-Systeme und andere Dienstleistungen für das Tauschen von Dateien. Wiederum nur zur Illustration für das Vorgehen des Copyright Office zählt er dann die Einzelhandelsumsätze der ersten drei Branchen zusammen. P2P-Dienste schließt er aus. Zwar seien deren Einnahmen nicht hoch, aber auch nicht trivial (er nennt Morpheus, das Einnahmen von 5,7 Mio. US$ gemeldet habe). Doch die würden fast ausschließlich über Werbung erzielt, also ohnehin schon von den Konsumenten bezahlt, und zu einem substantielle Teil von Konsumenten im Ausland. So kommt er auf eine Summe von 20,248 Mrd. US$, wovon Breitband-Internet mit 16,456 Mrd. US$ den größten Anteil hat. Unser Zielbetrag von 2,389 Mrd. US$ macht davon 11,8% aus. Den größten Teil würden die Internet-Nutzer zu tragen haben. Der durchschnittliche Zugangsgebühr von 45,43 US$ in den USA im Jahr 2004 würde sich demnach um 5,36 US$ pro Monat erhöhen.
Seither ist fünf – ob nun US-Dollar, Euro, Pfund oder Brasilianische Reals – der Wert, von dem konventionell in der Debatte ausgegangen wird. Daraus errechnet der CCC: 5 Euro mal 12 Monate mal 25 Millionen Internet-Nutzer in Deutschland (Breitband-Nutzer, darf man annehmen.37) – macht 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Derselbe Betrag wie bei der Tauschlizenz, da er aufgrund derselben Annahmen zustande kommt.
Diesen Betrag kann man nun in in Beziehung setzen zu anderen Größen, die für unser Ziel, eine angemessene Entlohnung schöpferischer Tätigkeit, relevant sind:
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Tonträgerindustrie – Umsatz 2010 aus Musikverkauf und Leistungsschutzrechten (GVL): 1,669 Mrd. Euro (Bundesverband Musikindustrie).
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Filmwirtschaft – Umsatz 2010: geschätzt rund 2,4 Mrd. Euro (Statista), wobei 2009 ein Rekordjahr war, 2010 dagegen Flaute (“Es geht auf und ab”).
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Buchmarkt: Umsatz 2009: 9,7 Mrd. Euro, ein Plus von 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Börsenverein).
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GEMA – Einnahmen 2010: 0,863 Mrd. Euro, ein Plus von 2,55% (Geschäftsbericht).
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VG Wort – Erlöse 2010: 131,69 Mio. Euro (Geschäftsbericht)
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Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – Gesamtaufwendungen (ARD, ZDF und DRadio) 2008: 8,398 Mrd. Euro (17. KEF-Bericht).
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Kulturausgaben der öffentlichen Hand (Bund, Ländern und Gemeinden) – laut Haushaltsplanungen für 2010: 9,6 Mrd. Euro (Kulturfinanzbericht 2010).
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Ausgaben der privaten Haushalte (mit durchschnittlich je 2,0 Personen) für Freizeit, Unterhaltung und Kultur 2007: 2.748 Euro, davon für Zeitungen und Zeitschriften 264 Euro, für Bücher 144 Euro, für kulturellen Veranstaltungen 121 Euro und für Bild- und Tonträger 84 Euro pro Jahr (Kulturfinanzbericht 2010).
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usw.
Die 1,5 Milliarden Euro KWM wiegen somit die gesamten Jahreseinnahmen der Plattenfirmen auf. Wohlgemerkt: Das sollen sie natürlich nicht tun.38 Diese Einnahmen werden ja nach einem Jahrzehnt massenhaften täglichen Filesharings erzielt, und es ist kaum anzunehmen, dass die Einführung der Tauschlizenz große Veränderungen im Kaufverhalten auslöst. Der wesentliche Unterschied: Aufführende Künstler und Urheber, deren Werke online privat getauscht werden, erhalten dafür ihren angemessenen Anteil an den 1,5 Mrd. Euro.
Das ist in jeder Beziehung ein eindrucksvoller Betrag. Dabei handelt es sich, wie gesagt, um eine Beispielrechnung, die dazu dient, ein Gefühl zu bekommen für die Dimension, um die es geht, und für die Kriterien, die zugrunde gelegt werden. Primär geht es um ein Verfahren, in dem Verteilungsgerechtigkeit sich ausmendeln kann oder konkret: Tarife entstehen. Der CCC sieht dafür vor, dass sie von einem demokratisch gewählten Stiftungskomitee festgelegt oder per Abstimmung ermittelt werden.
Wie kommen Tarife für Urheberrechtsvergütungen, inbesondere für die Privatkopieerlaubnis, heute zustande? Bis zum Inkrafttreten des 2. Korbs wurden sie vom Gesetzgeber festgelegt, ein von allen Beteiligten als nicht erfolgreich angesehenes Verfahren. Tatsächlich sind so 1985 das letzte Mal Tarife entstanden. Seit 1.1.2008 trägt das Gesetz nun den beteiligten Parteien auf, Tarife auszuhandeln. Für die Urheber, aufführenden Künstler und Verwerter sind das die Verwertungsgesellschaften, für die Zahlungspflichtigen sind es Industrieverbände, die Geräte, Speichermedien und Dienstleistungen vertreten, die mit der Urhebervergütung belegt sind. Mit der Neuregelung umrahmt der Gesetzgeber diese Verhandlungen mit einer Reihe von Auflagen, sieht einen kurzen Instanzenweg für Streitfälle vor und erhofft sich so ein zügiges Zustandekommen von Tarifen. Andere Länder, andere Sitten. In Frankreich wird zur Tariffindung eine Kommission einberufen, in der Urheber, Verwerter, Gerätehersteller aber auch Verbraucher sitzen und die vom Kulturmininsterium geleitet wird.
In Deutschland ist Vergütungsempfänger nach $ 54 UrhG der Urheber jedes Werkes, nach dessen Art zu erwarten ist, dass es privatkopiert wird. Vergütungspflichtig sind Hersteller und Importeure von “Geräten und von Speichermedien, deren Typ allein oder in Verbindung mit anderen Geräten, Speichermedien oder Zubehör zur Vornahme solcher Vervielfältigungen benutzt wird,” soweit nicht “nach den Umständen erwartet werden kann,” dass diese Gegenstände nicht dazu benutzt werden. Als Beispiel für letzteres führte das Bundesjustizministerium damals Videokameras an. Die seien zwar im Prinzip in der Lage, Filme und Fernsehsendungen zu kopieren, praktische würde das aber niemand machen.
In den folgenden §§ 54a-h steckt das Urheberrechtsgesetz die Rahmenbedingungen ab, innerhalb derer die Parteien ihre Verhandlungen zu führen haben und bestimmt den Vergütungsanspruch nach Grund und Höhe.
“Maßgebend für die Vergütungshöhe ist, in welchem Maß die Geräte und Speichermedien als Typen tatsächlich für Vervielfältigungen nach § 53 Abs. 1 bis 3 genutzt werden.” (§ 54a UrhG) Mit dieser “Tatsächlichkeit” der Nutzung wird eine Empiriepflicht eingeführt. Vorher ging es um Geräte und Medien, “die erkennbar zur Vornahme solcher Vervielfältigungen bestimmt sind.” Kriterium war bislang also die Nutzungsmöglichkeit. Heute ist es die durch empirische Untersuchung festzustellende tatsächliche Nutzung. Weg von Annahmen und darauf aufbauenden komplexen Schlüsseln hin zu einer Faktenorientierung. Das sich allgemein durchsetzende Prinzip des evidence-based policy-making übersetzt sich hier in ein evidence-based tariff-making.
Dazu gehört auch, dass die nutzungsrelevanten Eigenschaften, “insbesondere die Leistungsfähigkeit von Geräten sowie die Speicherkapazität und Mehrfachbeschreibbarkeit von Speichermedien,” bei der Bestimmung der Vergütungshöhe zu berücksichtigen sind (§ 54a Abs 1). Entsprechend gibt es eine Melde- und Auskunftspflicht über die Art und Stückzahl der eingeführten und in den Handel gebrachten Geräte oder Speichermedien (§ 54e und § 54f). Außerdem können Verwertungsgesellschaft Kontrollbesuch in den Geschäftsräumen der Betreiber von entgeltlich bereitgehaltenen Photokopiergeräten durchführen (§ 54g UrhG). Schließlich muss ausdrücklich berücksichtigt werden, ob bei den betreffenden Werken DRM eingesetzt und so das Privatkopieren technisch unmöglicht gemacht wird. Solche Werke sind von der Vergütungsausschüttung auszunehmen (§ 54h Abs 2 UrhG).
Neben den Eigenschaften der Gegenstände sind auch die wirtschaftlichen Gegenbenheiten der Zahlungspflichtigen bei der Tarifbestimmung zu berücksichtigen. “Die Vergütung darf Hersteller von Geräten und Speichermedien nicht unzumutbar beeinträchtigen; sie muss in einem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis zum Preisniveau des Geräts oder des Speichermediums stehen.” (§ 54a Abs 4) Nach gängiger Interpretation darf die sie 5% es Verkaufspreises nicht übersteigen. Einen Widerspruch gibt es hier bei der Benennung derjenigen, die nicht unzumutbar beeinträchtigt werden dürfen. Der Gesetzgeber geht nämlich davon aus, dass es nicht die Hersteller sind, die die Vergütung bezahlen, sondern, dass sie sie an die Verbraucher weitergeben. Damit diese wissen, was sie bezahlen, hat er in § 54d UrhG vorgeschrieben, dass in den Endkundenrechnungen auf die enthaltende Urhebervergütung hinzuweisen ist.
Damit steckt das Urheberrechtsgesetz die Rahmenbedingungen ab und gibt erste Hinweise auf Kriterien, die zu berücksichtigen sind, um die ‘Angemessenheit’ von Tarifen zu bestimmen. Weitere Hinweise finden sich in einem separaten Gesetz, das die Tätigkeiten der Verwertungsgesellschaften regelt.
Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWahrnG) definiert zunächst, was eine Verwertungsgesellschaft ist (“Wer Nutzungsrechte, Einwilligungsrechte oder Vergütungsansprüche, die sich aus dem Urheberrechtsgesetz … ergeben, für Rechnung mehrerer Urheber oder Inhaber verwandter Schutzrechte zur gemeinsamen Auswertung wahrnimmt.” (§1 UrhWahrnG) und welche Bedingungen an ihren Betrieb geknüpft ist (Satzung, Zuverlässigkeit der Vertreter, Zahl der vertretenen Personen und Rechte). Aufsichtsbehörde ist das Patent- und Markenamt, dass im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt über den Betrieb einer Verwertungsgesellschaft entscheidet und wacht (§ 18 UrhWahrnG).
An diesen und weiteren Bestimmungen wird deutlich, dass es sich bei Verwertungsgesellschaften um besondere Organisationen handelt. So werden sie verpflichtet, auf Verlangen die Rechte eines jeden Berechtigten in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich wahrzunehmen (§ 6 UrhWahrnG), jedermann Auskunft über die von ihnen wahrgenommenen Recht zu erteilen (§ 10) und jedermann zu angemessenen Bedingungen Nutzungsrechte einzuräumen (§ 11). Ihre Einnahmen müssen sie nach den festen Regeln eines zu veröffentlichenden Verteilungsplans aufteilen, “die ein willkürliches Vorgehen bei der Verteilung ausschließen.” (§ 7). Dabei sollen “kulturell bedeutende Werke und Leistungen” gefördert und Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen für die Mitglieder eingerichtet werden (§ 7 und § 8). Eine besondere Transparenzpflicht besagt, dass eine Verwertungsgesellschaft einen Jahresabschluss aufzustellen hat, der “klar und übersichtlich” ist, von einem Wirtschaftsprüfer bestätigt und im Bundesanzeiger veröffentlicht wird (§ 9).
Nun zu der Frage, die uns hier interessiert: Wie kommen Tarife zustande? Dazu heißt es zunächst, dass die Verwertungsgesellschaft sie aufzustellen und im Bundesanzeiger zu veröffentlichen hat. “Berechnungsgrundlage für die Tarife sollen in der Regel die geldwerten Vorteile sein, die durch die Verwertung erzielt werden. Die Tarife können sich auch auf andere Berechnungsgrundlagen stützen, wenn diese ausreichende, mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand zu erfassende Anhaltspunkte für die durch die Verwertung erzielten Vorteile ergeben.” (§ 13).
Die ZPÜ (s.u.) interpretiert das Konzept des “geldwerten Vorteils”, wie mir ihr Gesellschaftervertreter Jürgen Becker erläuterte, als “Lizenzanalogie”. Was bekäme der Eigentümer des jeweiligen Rechts an Musik, Text, Bild usw. üblicherweise, wenn er die betreffende Nutzung, also eine Privatkopie, selbst lizenzieren würde? Da es sich in jedem Fall um eine Zweitnutzung handelt, sind dabei natürlich gegenüber den Erlösen aus der Erstverwertung Abstriche zu machen. “Für das Schiedsstellenverfahren haben wir einen Schlüssel vorgelegt, der sehr kompliziert aber plausibel ist,” so Becker. Das letzte Wort darüber hat nun das Oberlandesgericht München.
Außerdem sind bei der Berechnung der Tarife nicht nur religiöse, kulturelle und soziale Belange einschließlich der Belange der Jugendpflege der zur Zahlung Verpflichteten, sondern auch der tatsächliche Anteil der Werknutzung am Gesamtumfang des Verwertungsvorganges zu berücksichtigen. Damit wird wieder eine Empiriepflicht vorgeschrieben, die im Streitfall noch strengere Form annimmt.
Im Normalfall sieht das Gesetz vor, dass die Verwertungsgesellschaft “mit Vereinigungen, deren Mitglieder nach dem Urheberrechtsgesetz geschützte Werke oder Leistungen nutzen oder zur Zahlung von Vergütungen nach dem Urheberrechtsgesetz verpflichtet sind, über die von ihr wahrgenommenen Rechte und Ansprüche Gesamtverträge zu angemessenen Bedingungen” abschließen muss (§ 12).
Scheitern die Gesamtvertragsverhandlungen, rufen die Beteiligten die Schiedsstelle bei der Aufsichtsbehörde, dem Patent- und Markenamt, an. Die hat dann die tatsächliche für das Urheberrecht maßgebliche Nutzung von Geräten und Speichermedien “durch empirische Untersuchungen zu ermitteln.” (§ 14.5a). Außerdem erhalten Verbraucherverbände Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 14.5b). Scheitert auch ein Schieds- oder Schlichtungsverfahren, können die Parteien ordentlichen Gerichte anrufen, erst das Oberlandesgericht, dann den Bundesgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht und neuerdings auch den Europäischen Gerichtshof.
Nach vier Jahren des neuen Tariffindungssystems hat sich erwiesen, dass der Gang durch die Instanzen nicht etwa die Ausnahme in besonders strittigen Fällen, sondern die Regel ist, und dass er viele Jahre dauert. Somit ist bislang außer dem immer noch angefochtenen Tarif für PCs und einer Zwischenvereinbarung für USB-Sticks noch alles im Streit. Das führt dazu, dass einerseits die Hersteller und Importeure Rückstellungen machen müssen, da die grundsätzliche Zahlungspflicht außer Frage steht, andererseits die Verwertungsgesellschaften keine Einnahmen haben.
Praktisch werden die Vergütungsansprüche aus der Privatkopieschranke (§ 54 UrhG) gegenüber den Herstellern und Importeuren von Kopiergeräten und Speichermedien von der 1963 gegründeten Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ) geltend gemacht. Die ZPÜ ist ein Zusammenschluss der Verwertungsgesellschaften, die solche Ansprüche vertreten: GEMA, VG Wort, VG Bild-Kunst, VFF, GWFF, VGF, GÜFA und GVL. Anfangs war die ZPÜ eine eigenständig Verwertungsgesellschaft. Heute ist sie eine BGB-Gesellschaft (eine GbR) der beteiligten Verwertungsgesellschaften, wobei die eigentlichen Inkassoaufgaben von der geschäftsführenden Gesellschafterin, der GEMA, übernommen werden (vgl. Memo des VUT zur ZPÜ).
Das Verfahren ist wie folgt: Eine neue Geräte- oder Dienstleistungsklasse kommt auf den Markt und in den Anwendungsbereich des § 54 UrhG, in jüngster Zeit z.B. Drucker, Scanner, Fax- und Multifunktionsgeräte, Brenner, PCs, Mobiltelefone, Downloads, Ruftonmelodien und Streaming. Die ZPÜ sucht sich dann einen passenden Branchenverband, auf dessen Mitglieder laut Urheberrechtswahrnehmungsgesetz ein Marktanteil von mindestens 60% entfallen muss. Oft ist das der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM).
So auch bei der Aushandlung der PC-Tarife. ZPÜ und BITKOM waren Ende 2007 kurz vor der Einigung, als eine einstweilige Verfügung zweier Produzenten das Abkommen stoppte. Im Dezember 2009 gründeten daraufhin eine Reihe von PC-Herstellern (darunter: Fujitsu-Siemens, Acer, Medion, Sony und HP, nicht aber: Apple, Toshiba und Dell) den Bundesverband Computerhersteller e.V. (BCH). Mit Presseerklärung vom 12. Januar 2010 teilte die ZPÜ mit, sie habe mit dem BCH einen Gesamtvertrag über die Tarife für die Jahre 2008 bis 2010 geschlossen (13,65 € für PCs mit eingebautem Brenner und 12,15 € für PCs ohne Brenner) und sich in einem Vergleich über eine Vergütung für den Zeitraum von 2002 bis 2007 geeinigt.
Am 19. Februar 2010 ging bei der ZPÜ eine einstweilige Verfügung einer weiteren Industrievereinigung ein, des Zentralverbandes Informationstechnologie und Computerindustrie e.V. (ZitCo), der Hersteller, die keine Rücklagen gebildet hatten. Darin untersagte er der ZPÜ, einen Tarif für die Vergütung auf PCs aufzustellen, ohne vorher eine empirische Untersuchung zur Nutzung von PCs für die Herstellung von Privatkopien durchgeführt zu haben. Die ZPÜ legte Widerspruch ein. Nach ihrer Auffassung schreibe das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz empirische Untersuchungen nur in einem Schiedsstellenverfahren vor, nachdem Gesamtvertragsverhandlungen gescheitert sind. Ein Gesamtvertrag sei aber zwischen ZPÜ und BCH bereits geschlossen worden.
Parallel hatte die ZPÜ gegen ein deutsches Unternehmen geklagt, das sich geweigert hatte, die Vergütung für die von ihm hergestellten und in den Jahren 2002 bis 2005 in Deutschland in den Verkehr gebrachten PCs zu bezahlen. Am 4. März 2010 entschied das OLG München, dass die Zahlungsverpflichtung wirksam ist.
Dann hob mit Urteil vom 29. April 2010 das OLG München seine auf Antrag des ZItCo gegen die ZPÜ erlassene einstweilige Verfügung auf. Damit konnten am selben Tag die ab 1.1.2008 geltenden PC-Tarife39 veröffentlich werden.
Am 21. Dezember 2010 gab das Bundesverfassungsgericht drei Verfassungsbeschwerden der VG WORT statt, unter anderem zu Vergütung auf PCs nach der alten Rechtslage. In der Entscheidung 1 BvR 506/09 hob es ein Urteil des BGH auf, der sich darauf gestützt hatte, dass nach dem bis Ende 2007 geltenden Recht nur Geräte vergütungspflichtig sind, die Werk “durch Ablichtung eines Werkstücks oder in einem Verfahren vergleichbarer Wirkung”, also nach dem gesetzlichen Leitbild des Fotokopierers ausschließlich analog vervielfältigen. Das gelte, so der BGH, für einen Scanner, nicht aber für einen PC. Digitale Kopien seien dem nicht vergleichbar. Hier liege häufig “eine ausdrückliche oder konkludente Einwilligung des Berechtigten in Vervielfältigungen auch mittels PC zum privaten Gebrauch vor.” Der Berechtigte könne – anders als bei Druckwerken – die unberechtigte Vervielfältigung mit technischen Maßnahmen, also DRM, unterbinden. Deshalb bedürfe eine digitale Vervielfältigung nicht der gesetzlichen Lizenz des § 53 UrhG und unterläge folglich auch nicht der Vergütungspflicht nach § 54a UrhG. Das BVerfG rügte, dass der BGH in seiner Entscheidung das europäische Recht nicht berücksichtigt habe. In der einschlägigen Regelung der EU-Urheberrechtsrichtlinie gehe es nicht um Vervielfältigungen auf Papier, sondern „auf beliebigen Trägern“. Außerdem habe der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 21. Oktober 2010 (C-467/08 „Padawan“) ein System der Leermedienabgabe für digitale Träger bestätigt, jedoch ausgeführt, dass eine Vergütungspflicht für Geräte und Medien, die nicht privaten Nutzern und der Anfertigung von Privatkopien vorbehalten sind, nicht mit der Richtlinie vereinbar seien.
Da das BVerfG nicht in der Sache zu entscheiden hatte, verwies es das Urteil an den BGH zurück. Der möge entscheiden, ob der enge Wortlaut der deutschen Regelung nicht richtlinienkonform auszulegen sei, also so, dass sie auch digitale Vervielfältigungen umfasst, und ob eine Differenzierung zwischen der Verwendung der Geräte im betrieblichen und im privaten Kontext vorzunehmen sei.
Der BGH verhandelte am 7. April 2011 erneut über die PC-Vergütung. Dabei räumte, wie Heise News berichtete, der vorsitzende Richter ein, dass die bisher vom BGH vertretene Theorie, dass derjenige, der Werke auf digitalen Medien oder im Internet veröffentliche, dem Kopieren seiner Texte oder Bilder bereits zugestimmt habe, “möglicherweise nicht der Weisheit letzter Schluss” gewesen sei.
Mit Beschluss vom 21. Juli 2011 (I ZR 30/11) setzte der BGH die Entscheidung aus und legte die Fragen, die ihm das BVerfG aufgetragen hatte, nun seinerseits dem EuGH zur Klärung vor. Wann das Gericht in Luxemburg entscheiden wird, ist nicht abzusehen. Der Instanzenweg könnte sich über weitere Jahre hinziehen. “Das höchste Zivilgericht muss bei seiner anstehenden Entscheidung also sehr aufpassen, dass sich das Ganze nicht noch zur Justizposse entwickelt,” kommentierte Heise.
Dessen ungeachtet sind die PC-Vergütungsforderungen der ZPÜ für die Jahre 2008 bis 2010 sowie nach altem Recht für 2002 bis 2007 gültig. So konnte die GEMA zum Jahresbeginn 2011 ihren Mitgliedern mitteilen, dass sie außerordentliche Einnahmen in Höhe von rund 47 Millionen Euro aus der Geräteabgabe für PCs für 2002 bis 2007 erhalten habe. Das entspricht 7,83 Mio. € pro Jahr. Ob es sich dabei um den gesamten Betrag handelt, den die GEMA in ihrer Funktion als ZPÜ für alle acht Verwertungsgesellschaften eingesammelt hat, oder nur um den Anteil der GEMA, lässt sich aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht recherchieren. Die ZPÜ selber legt keinen Geschäftsbericht vor. Auch im gewohnt unübersichtlichen GEMA Geschäftsbericht 2010 finden sich die genannten 47 Millionen nicht wieder.40
Eine Anfrage bei der ZPÜ half schließlich diese Verwirrung aufzulösen. Jürgen Becker, bis Mitte 2009 Vorstandsmitglied der GEMA und seither Gesellschaftervertreter in der ZPÜ, schaffte Klarheit: 169 Millionen Euro beträgt die gesamte PC-Vergütung für die ersten sechs Jahre. Davon gehen 25% an Audiorechte und 75% an Video. Von dem Audioanteil erhalten die GEMA und GVL je 42% und die VG Wort 16%. Der Videoanteil wiederum geht zur Hälfte an die VG Bild-Kunst und die Filmverwertungsgesellschaften, die andere Hälfte teilen sich GEMA und GVL (je 21%) und VG Wort (8%). “Kein Mensch weiß mehr, wie dieser Schlüssel entstanden ist,” sagte Becker. Daraus errechnet sich ein Anteil der GEMA von €44,36 Mio., was sehr grob der Mitteilung an ihre Mitglieder entspricht.
Für die Jahre 2008 bis 2010 sind laut Becker €340 Mio. an PC-Vergütung eingenommen worden (€113,33 Mio./Jahr). Ausgezahlt an die Verwertungsgesellschaften sind bislang aber erst Abschlagszahlungen. Der neue Verteilungsplan, der sich ebenfalls auf tatsächliche Gegebenheiten stützen muss, ist noch strittig. Sowohl im Rahmen des Schiedsstellenverfahrens als auch von der ZPÜ sind empirische Untersuchungen durchgeführt worden, um festzustellen, zu welchem Anteil jeweils Spielfilme, Dokumentationen, US-Filme, Pornos usw. privatkopiert werden. Becker stellte in Aussicht, dass die ZPÜ-Studie möglicherweise veröffentlicht wird.
Für 2011 konnten noch keine Urhebervergütungen für PCs eingefordert werden, da aufgrund der genannten Padawan-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ein neues Verfahren für die Bemessung von Geräten und Leermedien im Geschäftsbereich zu finden ist. In Österreich kann sich z.B. eine Videoproduktionsfirma, die solche Produkte ausschließlich für die eigene Produktion, nicht aber für Privatkopien verwendet, die im Kaufpreis enthaltene Urhebervergütung erstatten lassen. Eine solche Erstattung hält Becker auch für Deutschland für möglich. Denkbar seien aber auch unterschiedliche Vergütungen für private und Business-Nutzer oder der Vergütungsausschluss für bestimmte Nutzungsbereiche. Die Frage ist aktuell vor dem OLG München anhängig.
Was ist daraus für die Tauschlizenz zu lernen?
Bei der Privatkopie hat der Urheber einen Anspruch auf eine angemessenen Vergütung gegen den Hersteller von Geräten und Speichermedien. Dabei geht der Gesetzgeber offenkundig davon aus, dass der Hersteller diesen Betrag an den Endkunden weitergibt, und hat deshalb eine Hinweispflicht an ihn (§ 54d UrhG) eingeführt. Auch dass Verbraucherverbände zumindest in den Schiedsstellenverfahren anzuhören sind, bestätigt, was ohnehin offensichtlich ist: Nicht die Hersteller von Brennern und PCs machen Privatkopien, sondern deren Nutzer. Sie sind die Nutznießer der gesetzlichen Erlaubnis und schulden dafür den Urhebern eine Vergütung.
Das gleiche gilt für die Tauschlizenz: Es sind nicht die ISPs, die die urheberrechtsrelevanten Nutzungen vornehmen, also geschützte Werke hoch- und runterladen, sondern deren Kunden. Dennoch könnte man, wie bei der Geräteabgabe, in Form eines Gesamtvertrags zwischen ZPÜ und dem ISP-Verband Eco die ISPs damit betrauen, die Vergütung von ihren Kunden einzuziehen und an die ZPÜ weiterzugeben. Die Tarifverhandlungen sind aber mit den Nutzern zu führen. Idealerweise ist die Bildung eines Internet-Nutzerverbandes anzuregen. Bis dahin könnte z.B. der Bundesverband der Verbraucherverbände (VZBV) diese Rolle übernehmen.
Das BMJ hat mehrfach die Forderung nach Beteiligung der Verbraucher an den Vergütungsverhandlungen abgelehnt. Ihr “natürliches” Interesse, so wenig wie möglich zu bezahlen, werde von den Geräteherstellern mit vertreten. Außerdem würde das die Verhandlungen nur noch komplizierter machen. In Frankreich sieht man das anders. Dort sind Verbraucher an den Verhandlungen über Privatkopiertarife beteiligt. Außerdem steht dem die Erfahrung entgegen, dass Menschen, wenn man ihnen die Wahl gibt, für Urheberwerke keineswegs den geringst möglichen Preis bezahlen, sondern einen, den sie als angemessen empfinden. Es ist also durchaus möglich, dass in den Verhandlungen über eine “angemessene Vergütung” höhere Tarife entstehen, wenn Urheber mit Nutzern sprechen, als wenn sie mit ISPs verhandeln würden.
Zu übernehmen sind auch die öffentliche Berichts- und Transparenzpflicht sowie die Empiriepflicht. Maßgebend für die Vergütungshöhe ist auch hier, in welchem Maß der Internet-Zugang tatsächlich für das nun zulässige Hoch- und Runterladen genutzt wird. Wird z.B. festgestellt, das auf andere Weise lizenzierte Nutzungen (Downloads à la iTunes, Streaming à la Spotify) zunehmen und Nutzungen unter der Tauschlizenz zurückgehen, ist die Vergütung entsprechend nach unten zu korrigieren. Selbstverständlich schließt wie bei der Privatkopie der Einsatz von DRM eine Beteiligung an der Ausschüttung aus.
Diese Empiriepflicht sollte regelmäßig vor Beginn der Verhandlungen zum Tragen kommen und nicht erst nach deren Scheitern, wie die ZPÜ das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz interpretiert. Aufgrund des öffentlichen Interesses sollte damit eine Veröffentlichungspflicht verbunden sein. So haben die Verwertungsgesellschaften z.B. für die Festsetzung der Mobiltelefon-Tarife eine empirische Untersuchung durchführen lassen,41 aufgrund derer sie – kontraintuitiv – nicht die Speicherkapazität der Geräte, sondern ihre Handhabung zugrunde legten. Demnach beträgt der Tarif für Mobiltelefone mit Touchscreen EUR 11,00, ohne Touchscreen EUR 4,00. Der Neuen Musikzeitung gegenüber erklärte die GEMA: “Ein renomiertes [sic] Marktforschungsinstitut hat 4.000 Nutzer befragt – weitere Details werden von der ZPÜ zum jetzigen Zeitpunk nicht veröffentlicht.” Was die NMZ zurecht als bedauerliche “Geheimniskrämerei” kritisiert.
Wie bisher sollen auch bei der Erhebung der Tauschlizenzvergütung religiöse, kulturelle und soziale Belange der Zahlungspflichtigen berücksichtigt und bei ihrer Verteilung “kulturell bedeutende Werke und Leistungen” gefördert und Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen für die Mitglieder eingerichtet werden.
Berechnungsgrundlage für die Tarife können wie bisher die geldwerten oder anderen Vorteile sein, die durch die Nutzung erzielt werden (§ 13 UrhWahrnG). Dazu ist der tatsächliche Anteil der Werknutzung am Gesamtumfang der Internet-Nutzung zu berücksichtigen. Außerdem müssen die Tarife in einem “wirtschaftlich angemessenen Verhältnis zum Preisniveau” der Dienstleistung Internet-Zugang stehen.
Ohne den empiriegestützten Verhandlungen vorgreifen zu wollen: Wenn auf dieser Grundlage für PCs eine Privatkopievergütung von €113 Mio. pro Jahr entsteht, scheinen bei der Tauschlizenz €1,5 Mrd. für Up- und Download als unverhältnismäßig hoch.
Schließlich ist für die Tauschlizenz zu lernen, dass in der Tat ein “gewaltiger Verteilungskampf“ (Leutheusser-Schnarrenberger) zwischen den Urhebern und den Zahlungspflichtigen tobt, der regelmäßig auch vor Gericht ausgetragen wird.
Ist das nicht sozial ungerecht?
“FAQ: Ist das nicht sozial ungerecht?
Die Frage ist hier, welches Ziel mit dem Kulturwertmark-System erreicht werden soll. Bisher ist der Zugang zu Werken der Kunst nur selten kostenfrei möglich und benachteiligt daher finanziell Schwächere. Ausgeglichen wird das durch die Kulturförderung, subventionierte Tickets und andere Maßnahmen. Eine Staffelung des Beitrags zum System der Kulturwertmark nach Einkommen wäre sicher denkbar, würde aber die Bürokratiekosten erhöhen. Wir schlagen daher vor, daß der Beitrag für alle gleich ist, es jedoch jedem freisteht, mehr Kulturwertmark zu erwerben, und die Kosten bis zu einer gewissen Höhe steuerlich abzusetzen. Dadurch wird ein niedrigschwelliger Anreiz erzeugt, mehr Geld für Kunst und Kultur auszugeben.”
Ich tausche nicht und soll trotzdem bezahlen. Dieser Einwand kommt in jeder Diskussion zum Thema. Pauschalen haben ihre Vor- und Nachteile.
In einem All-you-can-eat-Restaurant isst mein Tischnachbar doppelt so viel wie ich, aber zahlt dasselbe. Mit meinem Essen bezahle ich, pauschal umgelegt, auch die Urhebervergütung für die Musik im Restaurant, auch wenn sie mir nicht gefällt. In einer Zeitung lese ich, wenn’s hochkommt, ein Viertel der Artikel, bezahlen muss ich für alle. Mit dem Waschmittel im Supermarkt bezahle ich die Werbung, die den Film im so genannten Free-TV finanziert, den ich nicht schaue. Oder umgekehrt: Ich schaue nur Privatfernsehen, warum soll ich Rundfunkgebühren bezahlen? Ich habe keine Kinder und gehe nicht in Büchereien oder Opernhäuser, trotzdem werden von meinen Steuern Schulen, Bibliotheken und Opern finanziert. Wenn ich in Bibliotheken gehe, nutze ich nur einen verschwindenden Bruchteil der Bücher, muss aber alle mit bezahlen. Usw. usw.
Zu den Vorteilen gehören auf Anbieterseite eine bessere Kalkulierbarkeit als bei à la carte Angeboten und, wie der CCC sagt, niedrigere Bürokratiekosten. Aus Nutzersicht sind Pauschalen beliebt in Form von Monatskarten, Pauschalreisen, Buffets, Versicherungen und Telekommunikationsdienstleistungen wie Telefonie und Internet, wo sich der Name “Flatrate” eingebürgert hat. Weil die Internet-Flatrate so eindeutig positiv besetzt ist, heißt die Kultur-Flatrate so.
Die Vor- und Nachteile von Pauschalen müssen mit denen der Alternativen abgewogen werden. In den Niederladen wird z.B. derzeit damit experimentiert, die Kraftfahrzeugsteuer von einer Pauschale auf eine verbrauchsabhängige Zahlung umzustellen. Dafür sollen alle Autos mit GPS und Funk ausgestattet werden. Ein komplexes Bewertungssystem für die Umwelteinflüsse des Fahrzeugs, die zurückgelegte Strecke, die Route, die Uhrzeit usw. soll zu einer genaueren Einschätzung des jeweiligen Schadens und zu einer gerechteren Besteuerung führen und, so heißt es weiter, hoffentlich Menschen vom Fahren abbringen.
Totalüberwachung als didaktische Maßnahme – exakt die gleiche Herangehensweise kennen wir aus dem Urheberrecht. DRM war angetreten, um jede einzelne Nutzung präzise abrechenbar und Pauschalen überflüssig zu machen. Des Anbieters Traum von der perfekten individuellen Einzelnabrechnung ist des Nutzers Albtraum.
Strukturell geht es bei Pauschalen nicht nur um effizientes Ressourcen-Management, sondern auch um Kollektivität und Umverteilung: Ich finde in Zeitung, Fernsehen, Bibliothek nur das, was mich interessiert, weil wir alle füreinander Angebote für sehr viele verschiedene Interessen bereitstellen.
Schließlich liegt es bei kollektiv umverteilten Pauschalen nahe, Solidarität der Gemeinschaft mit besonders Förderwürdigen und -bedürftigen walten zu lassen. Deshalb hat der Gesetzgeber den Verwertungsgesellschaften aufgetragen, auf religiöse, kulturelle und soziale Belange und ausdrücklich auch auf Belange der Jugendpflege Rücksicht zu nehmen, kulturell bedeutende Werke und Leistungen zu fördern und Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen42 für ihre Mitglieder einzurichten. In Frankreich und Österreich werden 25% der gemeinsamen Einnahmen für kulturelle Förderung verwendet, in Finnland sind es ganze 50%.
Einen ähnlichen Mechanismus der kollektiven Umverteilung sieht auch Startnext vor: 5% von erfolgreichen Projektbudgets fließen in den Crowdfonds, der von einem Advisory Board vergeben werden soll, das sich zu jeweils 50% aus Mitgliedern der Community und Akteuren aus der Kreativbranche zusammensetzen soll. Offenbar wird ein solcher Solidarmechanismus als selbstverständlich empfunden, selbst dort, wo er nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.
Wie der CCC schreibt, haben wir als Gesellschaft Vorkehrungen getroffen, um finanziell Schwächeren eine Teilhabe an Kunst und Kultur zu ermöglichen. Dazu gehören niedrigere Eintrittspreise für Schüler und Studierende, Arbeitslose, Harz IV-Empfänger und Rentner sowie die Befreiung von der Rundfunkgebühr.
Ist eine Befreiung von der Tauschlizenzvergütung denkbar? Für die Privatkopievergütung gibt es sie nicht. Aber das ist natürlich kein Grund, bei der Tauschlizenz nicht darüber nachzudenken.
Freiwillig mehr Steuern zahlen und sie von der Steuer absetzen – das ist die verrückteste Idee des CCC. Daran wird besonders deutlich, dass der CCC primär an ein digitales Zahlungssystem denkt und nicht an eine urheberrechtliche Vergütung.
Auszahlung
“2. In Höhe dieses [monatlich erhobenen] Betrages erhält jeder Teilnehmer Einheiten einer kryptographisch gesicherten Micropayment-Währung, der Kulturwertmark. …
4. Nutzer können nun auf einfache Weise einen Betrag in Kulturwertmark ihrer Wahl für das Werk an den Künstler transferieren.”
“Diese Entscheidungen [der GEMA] stimmen erfahrungsgemäß weder mit den Vorlieben der Zahlungspflichtigen überein noch unterstützen sie eine gesellschaftlich sinnvolle Kulturentwicklung.”
Kulturflatrate. “Die Künstler sollen dann entweder auf der Basis der (irgendwie) ermittelten Downloadzahlen und/ oder durch komplexe Aufteilungsschlüssel entlohnt werden. Wie schlecht letzteres bisher funktioniert, läßt sich am Beispiel der GEMA betrachten – ein im wesentlichen gescheitertes, verharztes Konzept. Die Alternative – eine Komplettüberwachung des Netzes, um korrekte Downloadzahlen für die Kulturflatrate zu ermitteln – ist ebenso keinesfalls erstrebenswert.”
Wir haben also einen ansehnlichen Betrag (1,5 Mrd. Euro) eingesammelt, der einer angemessenen Vergütung der Urheber dienen soll. Wie verteilen wir ihn gerecht? Der CCC spricht drei mögliche Modelle an: 1. GEMA und 2. Komplettüberwachung der Kultur-Flatrate. Dagegen schlägt er 3. eine willkürliche Zuweisung durch die Zahlungspflichtigen vor.
1. Verwertungsgesellschaften
Urheberrecht ist ausdrücklich ein persönliches Recht, auch wenn es kollektiv wahrgenommen wird. “Jedem Berechtigten steht ein angemessener Anteil an den nach den §§ 54 bis 54c gezahlten Vergütungen zu.” (§ 54h Abs 2 UrhG). Angemessenheit ist hier definiert als Proportionalität zur möglichst genau erhobenen Nutzungshäufigkeit der eigenen Werke. Praktisch werden für die Aufführungsrechte in Radio und Disko Abspiellisten zugrunde gelegt, die institutionelle Musiknutzer verpflichtet sind vorzulegen oder die per automatisierter Audio-Fingerprint-Überwachung aus terrestrischem und Internet-Radio erstellt werden.43 Für die mechanischen Vervielfältigungsrechte gibt es eine Meldepflicht der Presswerke, iTunes etc. Für die Aufteilung der Privatkopievergütung auf die einzelnen Verwertungsgesellschaften werden, wie wir gesehen haben, heute empirische Studien des Nutzungsverhaltens zugrunde gelegt. Für die individuelle Ausschüttung wird, da man nicht weiß, welche Werke auf die Speichermedien geschrieben werden, ein Schlüssel aus Verkaufs- und Airplay-Zahlen verwendet. Das ist nur eine sehr grobe Annäherung an das tatsächliche Nutzungsverhalten, und sie diskriminiert systematisch alles, was nicht in die “heavy rotation” oder gar nicht in den Rundfunk kommt, aber die Annahme, dass das, was viel verkauft und viel im Radio gespielt wird, wahrscheinlich auch viel kopiert wird, entbehrt nicht einer gewissen Plausibilität. Bemerkenswerterweise schlägt der CCC für die Verteilung der nicht zugewiesenen und deshalb verfallenden KWM das gleiche Verfahren vor (s.u. “Verfall des Auszahlungsrechts”).
Grundlage der Auszahlung bei den heutigen Verwertungsgesellschaften ist also eine Proportionalität zur Popularität der eigenen Werke. Ergänzt wird sie um eine solidarische Umverteilungen von 10-20% (und bis zu 50% in Finnland) der Gesamteinnahmen an besonders Förderwürdige und -bedürftige. Vergeben werden die Gelder meist von einem Kuratorium in Sozial- und Kulturwerken (hier z.B. das Kulturwerk der VG Bild-Kunst und der Förderungsfonds der VG Wort).
Schließlich kann z.B. die Gemeinschaft von Musikurhebern in der GEMA über weitere Regeln entscheiden, wie unterschiedliche Auszahlungsschlüssel für E- und U-Musik. Alle dieser Verteilungsregeln sind unter sich rasch verändernden Bedingungen natürlich immer wieder zu überprüfen.
Die Vorlieben der Zahlungspflichtigen, von denen nach der Erfahrung des CCC angeblich die Entscheidungen der Verwertungsgesellschaften abweichen, sind tatsächlich das primäre Kriterium für die Ausschüttung. Niemand als die Nutzer entscheiden durch die Werke, die sie kaufen, die Rundfunksendungen, die sie einschalten, die Diskos, die sie frequentieren usw., welche Urheber mehr oder weniger Vergütung erhalten.
Soweit zumindest die Theorie. Dazu, wie es in der Wirklichkeit aussieht, mehr unter “Verwertungsgesellschaften”.
2. „Komplettüberwachung‟ für die Kultur-Flatrate
Die Tauschlizenz in allen ihren Varianten hält an dem Prinzip Proportionalität plus Solidarität fest.44 Die Auszahlung erfolgt also im Verhältnis zur möglichst genau empirisch erhobenen Nutzungshäufigkeit eines Werkes. Dazu ist keineswegs, wie der CCC behauptet, eine Komplettüberwachung erforderlich.
Konsumentensouveränität ist für Fisher (Promises to Keep, 2004) das zugrunde liegende Prinzip. „Unser Ziel würde es sein, den Anteil, den jeder Künstler aus dem gemeinsamen Topf erhält, proportional zu machen zum Gesamtwert, den Verbraucher aus seinen Werken beziehen.“ Er nennt drei Begründungen dafür: 1. Künstler erhalten Signale, was Verbraucher wünschen, und können so kollektiv eine optimale Mischung an Kulturgütern produzieren. 2. „It would be fair. At least in the view of most Americans and Western Europeans, distributive justice requires giving each person in a collective enterprise (whether it be a project, an industry, or a society) a share of its fruits proportional to his or her contribution to the venture. Applied in this context, that belief justifies adjusting artists’ rewards to match their relative contributions to consumers’ enjoyment of entertainment products.“ 3. Es vermeidet Entscheidungen von Beamten darüber, welche Werke würdig sind und welche nicht.
Müssten wir dafür, fragt Fisher weiter, jeden einzelnen Nutzungsvorgang erfassen? Nein. Da es um den relativen Wert gehe, den die Gesamtheit der Nutzer aus den betroffenen Werken zieht, sei weder eine umfassende Zählung noch eine perfekte Genauigkeit erforderlich. Ein System zur Ermittlung der relativen Popularität von Werken sei hinreichend.
Dafür schlägt er verschiedene Verfahren vor. Website-Betreiber hätten einer Berichtspflicht über die Zahl der Werke, die heruntergeladen wurden. Auch P2P-Betreiber wie Napster und KaZaA haben damals signalisiert, dass sie in der Lage und bereit seien, solche Download-Zahlen zu liefern. Auf der Empfängerseite schlägt er ein repräsentatives Panel von Haushalten vor, die sich freiwillig bereit erklären, ihr Mediennutzungsverhalten messen zu lassen. Dieses Verfahren ist für den Rundfunk üblich. Nielsen und in Deutschland die GfK verwenden es, um Sender und Werbetreibende mit TV-Einschaltzahlen zu versorgen. Programmentscheidungen und Werbeschaltungen stützen sich darauf. In einer digitalen Umgebung bieten sich, so Fisher, Plugins für einschlägige Software-Programme an, die das Nutzungsverhalten der freiwilligen Teilnehmer protokollieren. Datenschutz müsse selbstverständlich gesichert sein. Für eine faire Verteilung ist es irrelevant, wer welche Werke nutzt. Allein die aggregierte Zahl der Nutzungen in einer Auflösung, die auch den Long Tail erfasst, ist erforderlich. Da die Tauschlizenz Filesharing legalisiert hat, rechnet Fisher mit einer großen Bereitschaft freiwillig an einem solchen System teilzunehmen, führt es doch dazu, dass die Kreativen, die eine Nutzerin besonders schätzt, vergütet werden.
Für abgeleitete Werke (Remixe, Samples, Mashups) müssten bei der Anmeldung die Anteile der enthaltenen Fremdwerke angegeben werden, so dass auch deren Urheber bei der Ausschüttung berücksichtigt werden können. Da Präzision auch hier nicht erforderlich sei, schlägt Fisher eine Einteilung in fünf Stufen von weniger als 5% bis 100% Fremdanteilen vor. Fällt über mehrere Generationen von Ableitung der Anteil eines enthaltenen Werkes auf unter 1%, werde es von der Ausschüttung ausgenommen.
Nun gibt es empirische Hinweise, dass einige heruntergeladene Werke nur einmal oder gar nicht wahrgenommen werden. Wenn jemand genauso viele Songs von den Doobie Brothers wie von Eric Clapton auf der Festplatte hat, aber Clapton zehn Mal so häufig hört, dann solle, so Fisher, Clapton auch einen zehnfach höheren Auszahlungsbetrag erhalten. Schließlich sei es ein Leichtes eine Download-Zählung zu manipulieren. Künstler könnten Programme verwenden, um ständig ihre eigenen Werke herunterzuladen, ohne dass es zu einer echten Nutzung kommt.
Daher schlägt Fisher vor, nicht die Zahl der Downloads, sondern die der Abspielvorgänge zur Grundlage für die Ausschüttung zu machen. Dieser Wechsel von Vervielfältigungen zu Plays löst aber nicht nur nicht das Betrugsproblem – ein ähnliches Programm kann ein Werk beliebig oft im Hintergrund abspielen –, es bricht auch mit dem Grundprinzip des Urheberrechts, nicht in die Privatsphäre hineinzuwirken. Wie oft ein Buch gelesen oder eine DVD angeschaut wird, ist für Recht, Verwertungsgesellschaften und Vergütung der Urheber irrelevant. Daher halte ich diesen Wechsel für problematisch, aber, wie gesagt, alle Optionen müssen in Betracht gezogen werden.
Die Alliance public.artistes, die in Frankreich eine Tauschlizenz vorangetrieben hat, gab beim P2P-Marktforschungsunternehmen BigChampagne ein Machbarkeitsgutachten zum Monitoren und Identifizieren von P2P-Medien (2006) in Auftrag. Darin führt BigChampagne eine Reihe von Möglichkeiten zur Download-Zählung an. Die Daten können an der Quelle erhoben werden. Betreiber von Download-Servern oder P2P-Austauschknoten senden ihre Zahlen an die Abrechnungsinstanz. Sie können beim Empfänger gemessen werden mit Hilfe von Plugins für P2P-Clients, Webbrowser und andere Software, die für Downloads verwendet wird. Der Audioscrobbler auf Last.fm ist ein Beispiel für ein solches freiwillig verwendetes Berichterstattungsmodul. ISPs könnten den Internet-Traffic auf ihrem Netz überwachen. Da dafür DPI erforderlich wäre, verbietet sich diese Lösung. Die Funktionen von P2P-Netzen selbst erlauben es, teilnehmenden Knoten zahlreiche Informationen über die Tauschaktivitäten zu sammeln. Genau das macht BigChampagne für seine Kunden in der Medienindustrie. Schließlich wird auch hier ein Nielsen-artiges repräsentatives Panel von Freiwilligen vorgeschlagen. Nielsen gibt an, bereits heute über eine weltweites Panel von einer halben Million Internet-Nutzern zu verfügen. Mit freiwillig zu installierenden Plugins, an die möglicherweise eine Empfehlungsfunktion angeschlossen ist, lässt sich diese Zahl für die Tauschlizenz sicher erheblich ausweiten.
Für die Ausschüttung müssen wir natürlich wissen, um welche Werke es sich handelt und wo sie heruntergeladen werden. Für die Identifizierung der Werke schlägt BigChampagne die bereits genannten Audio- und Video-Fingerprints vor. Mit der Legalisierung von Filesharing verschwindet der Anreiz, die Identität von Werken zu verschleiern, und das Interesse der Nutzer an korrekten und reichhaltigen Metadaten tritt in den Vordergrund. Daher ist auch hier mit einer freiwilligen Kooperation der Nutzer zu rechnen. Anhand der IP-Adresse des Downloaders kann schließlich bestimmt werden, in welchem Land er sich befindet. Für die Abrechnung muss und darf die IP-Adresse natürlich nicht gespeichert werden. BigChampagne betont mehrfach, dass alle diese Verfahren anonym, ohne die Erfassung von Personendaten möglich sind. Dass Datenschutz nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine verifizierbare Designvorgabe ist, alle beteiligten Module also freie Software sein müssen, versteht sich von selbst. Transparenz sei entscheidend, schreibt das Unternehmen weiter, um das Vertrauen aller Beteiligter zu gewinnen. Fazit: „The Internet affords measurement accuracy and efficiency previously unattainable and presently unparalleled.“
Der Wirtschaftswissenschaftler Philippe Aigrain setzt ebenfalls auf eine repräsentative Stichprobe von Haushalten, die freiwillig Plugins für die Nutzungsmessung installieren (Internet & Création, Editions InLibroVeritas, 2008). Wählt man das Sample groß genug, könne man nicht nur Werke erfassen, die selten heruntergeladen werden, sondern auch Betrugsversuchen entgegenwirken, die eine solches System ohne Frage auf sich ziehen wird. Dazu schlägt er vor, nur eine Zufallsauswahl von 5% aller teilnehmenden Haushalte für die Abrechnung zu verwenden. Großangelegte betrügerische Absprachen und automatisierte Erzeugung von Daten seien relativ einfach zu erkennen und würden, so Aigrain, abschreckende Sanktionen nach sich ziehen.
Auch Martin Häcker kommt in seiner Informatik-Diplomarbeit Filesharing is Inevitable zu dem Schluss: “Durch das Mitzählen der Downloads in den Tauschbörsen können die eingenommenen Gelder sehr genau verteilt werden (vorausgesetzt, der eingesetzte Mechanismus ist ausreichend genau und manipulationssicher). Konsumenten können damit sehr präzise bestimmen, welcher Urheber Geld bekommt (der, dessen Inhalte man herunterlädt) und wer nicht (der, dessen Inhalte man nicht herunterlädt).” (2007, S. 243)
3. Willkürliche Zuweisung durch die Zahlungspflichtigen
Der CCC hält offenkundig nicht viel von GEMA oder „Komplettüberwachung“, sondern sieht Verteilungsgerechtigkeit dadurch zu erreichen, dass er jeden einzelnen Zahlungspflichtigen entscheiden lässt, wer Geld bekommt. Und zwar nicht, indem er sein Interesse an einem Werk durch einen Download (oder Plays) bekundet, sondern durch eine separate Willensbekundung.
Dazu, wie man sich die Ausübung dieses Zuweisungsrechts praktisch vorstellen kann, im nächsten Abschnitt. Zunächst zu den vorgebrachten Gründen für diese Form der Allokation: 1. die Auszahlungsentscheidungen der GEMA “stimmen erfahrungsgemäß [nicht] mit den Vorlieben der Zahlungspflichtigen überein.” 2. das Starsystem.
1. Wie kann das sein? Die Zahlungspflichtigen (der Urheberrechtsgebühr für Privatkopien, öffentliche Aufführung und jetzt für die gesetzliche Erlaubnis des privaten Tauschens) lösen mit ihrer manifestierten Vorliebe (für die CDs und Downloads, die sie kaufen, die Radiostationen, die sie hören, die Up- und Downloads, die sie vornehmen, die Konzerte, Diskos usw., die sie besuchen) Zahlungen aus. Warum sollte eine an diese Konsumentscheidungen gekoppelte Auszahlung nicht mit den Vorlieben der Zahlungspflichtigen übereinstimmen? Der Aufwand einer Zahlungszuweisung durch einen separaten Akt der Willensbekundung der Zahlungspflichtigen macht nur Sinn, wenn wir eine Abweichung vorsehen zwischen den Werken, die sie tatsächlich wahrnehmen und denen, denen sie ihre Zahlung zuweisen. Ich höre bevorzugt Lady Gaga, aber entscheide, dass mein Geld an cre8radix gehen soll. Das wäre so, als wenn ich im Supermarkt nur Billigprodukte kaufe, aber an der Kasse sage, dass mein Geld an Bioerzeugnisse gehen soll. Was ist daran gerecht?
2. Star-Effekt vs. kulturelle Vielfalt
“Wir wollen an dieser Stelle voraussetzen, daß ein zukünftiges System kein Recht auf Reichtum impliziert. Es geht nicht darum, den Britney Spears dieser Welt ihre zukünftigen Millionengagen zu sichern. Es geht um den Erhalt einer breiten, bunten, schöpferischen Kulturlandschaft mit möglichst großer Vielfalt.”
“FAQ: Wie läßt sich eine Ballung von Zahlungen an die üblichen Mainstream-Big-Names verhindern, so daß statt weniger Millionäre viel mehr „kleine“ Künstler ein Auskommen finden?
Eine Möglichkeit wäre die Aufteilung der Punkte in verschiedene Kategorien, so daß etwa nur zwanzig Prozent der Punkte in der Sparte Popmusik vergeben werden können. Die Nebenwirkungen einer solchen Regelung, inklusive der Entscheidung, wer die Anteile und die Kategorien festlegt und nach welchen Kriterien, müssen jedoch sorgfältig durchdacht werden. Eine womöglich technisch einfachere Lösung ist eine generelle Kappungsgrenze pro Werk oder pro Künstler.”
Das Problem, das hier gelöst werden soll, ist die Ballung von Zahlungen zugunsten von Superstars und zum Nachteil der kulturelle Vielfalt, die seit dem UNESCO-Übereinkommen von 2005 der höchste Wert aller Kulturpolitik ist. Es handelt sich um die 80:20-Regel oder das Pareto-Prinzip: 80% der Einnahmen werden mit 20% der Produkte erzielt.45 Die Faustregel bestätigte sich auch in Medien- oder Aufmerksamkeitsmärkten. Die beschränkten Kapazitäten im physischen Handel und im Rundfunk verstärken den Effekt noch, indem sie dazu führen, dass Werke mit der größten Popularität bevorzugt angeboten werden.
Dagegen formuliert Chris Anderson 2004 seine Long-Tail-Theorie: Das Internet verändere sowohl Angebots- wie Nachfrageseite (großes Inventar durch geringe Lagerhaltungskosten und geringe Suchkosten), so dass eine große Anzahl wenig gefragter Produkte mehr Umsatz erziele als wenige Bestseller. Eine größere Vielfalt von Werken werde produziert, angeboten und konsumiert. Der lange Schwanz von Nischenprodukten werde dicker, der kurze Kopf von Superstars schrumpfe.
Einige Indizien sprechen für diese Theorie. Andere wie Analysen von iTunes (91% der angebotenen Lieder verkauften sich 2007 weniger als hundertmal) und Netflix deuten auf eine Fortsetzung der Aufmerksamkeitskonzentration und haben zu Kritik an Andersons Theorie geführt.
Die Demokratisierung von medialen Produktions- und Distributionsmitteln hat offenkundig zu einer Fülle neuer Werk (auf YouTube, Flickr, Blogs etc.) geführt, doch auch hier finden sich jeweils die Stars und die Longtailer. Oberholzer-Gee/Strumpf (2009) stellten fest, dass die Verbreitung von Filesharing den Anreiz zur Schaffung neuer Werke keineswegs beeinträchtigt hat. “The publication of new books rose by 66% over the 2002-2007 period. Since 2000, the annual release of new music albums has more than doubled, and worldwide feature film production is up by more than 30% since 2003.” Das spricht für Vielfalt, sagt aber noch nichts über deren Popularität.
Bhattacharjee et al. (2007) haben die Auswirkungen von P2P-Tausch auf die Überlebensdauer von Alben in Billbord-Charts untersucht. Sie fanden, dass die Zahl von Minor-Label-Alben in den Charts nach Napster deutlich zugenommen hat. Im Durchschnitt ist die Einstiegsplatzierung und die Verweildauer (minus 42%) in den Charts zurückgegangen, was, könnte man schließen, gut ist für kulturelle Vielfalt. Allerdings fanden sie auch, dass Major-Label-Alben weiterhin höher in den Charts einsteigen und deutlich länger platziert bleiben. “The superstar effect appeared to be alive and well.”
Nun könnte man vermuten, dass der Long-Tail-Effekt erst dort voll zu Tragen kommt, wo Geld keine Rolle spielt. Doch auch hier gibt es gegenteilige Befunde. Layton/Watters (2010) untersuchten das Repertoire auf den größten BitTorrent-Trackern. Sie fanden, dass 9.9% der Torrents von 90% der Seeder angeboten werden. Oder umgekehrt: 90% der angebotenen Werke finden keine Interessenten.
Nach allen Anzeichen müssen wir also davon ausgehen, dass es weiterhin Stars geben wird. Der Mensch als Herden- oder Massentier liebt es, das zu lieben, was ganz viele andere lieben. Ob es eine inhärente, aber ungreifbare Qualität im Werk ist, die die Massen anzieht, oder eine inhärente Qualität der Masse (alle stürzen sich darauf, weil alle sich darauf stürzen), sei dahingestellt.
Der CCC sieht die Ballung von Zahlungen und Aufmerksamkeit als ein Problem, das es zu beheben gilt. Die willkürliche Zuweisung der Vergütung durch die Zahlungsverpflichteten soll die Lösung dafür sein. Selbst wenn sich an ihrer Aufmerksamkeit für Stars nichts ändern sollte, wären sie, so die Unterstellung, weniger geneigt, ihr Geld an “Britney” zu geben.
Der “Britney-Effekt”46 war auch ein wichtiges Thema für eine Gruppe von Künstlern und Aktivisten, die 2002 erst zum Blur-Workshop an der New Yorker New School und dann im kanadischen Banff Centre for the Arts zusammengekommen waren. Das Blur/Banff-Proposal47 vermeldet verschiedene vorgeschlagene Strategien. So könnte ein Teil der Vergütung auf eine zufällige, Lotterie-artige Weise verteilt werden. Jeder Künstler hätte so wenigstens eine Chance auf ein gutes Leben. Künstler selbst könnten dafür sorgen, dass diejenigen, die ihr Werk beeinflusst haben, anerkannt und Studiomusiker und andere, die ihr Werk unterstützt haben, fair bezahlt werden. Die öffentliche Hand oder Expertengremien könnten einen Teil des Geldes nach anderen Kriterien verteilen als Markterfolg und so Vielfalt fördern. Das “offensichtliche Problem”, dass in diesem Verfahren kontroverse Meinungsäußerungen unterdrückt oder zensiert werden könnten, führte dann zu dem Vorschlag, die Zahlungspflichtigen selbst entscheiden zu lassen, wer einen Teil ihres Geldes erhält (der größte Teil soll auch hier proportional ausgezahlt werden), entweder direkt oder über Intermediäre.48
Eine direkte Zuweisung von Nutzern an Künstler wurde offenbar als zu kompliziert angesehen. Auf jeden Fall konzentrierte sich die Diskussion auf konkurrierende Intermediäre, Organisationen, die das ihnen anvertraute Geld nach verschiedenen Verfahren an Künstler verteilen.49 Die Intermediäre sollen staatlich reguliert werden, um Transparenz und Rechenschaftspflichten sicherzustellen, aber auch um bestimmte Verteilungssätze durchzusetzen (z.B. mindestens 30% nutzungsabhängig, 10% an nichtkommerzielle Werke, 5% an eine Pensionskasse für Künstler usw.).
Warum, wenn der Markt verantwortlich ist für den Stareffekt, ein sekundärer Markt, in dem intermediäre Organisationen ihre jeweiligen Verteilungspläne bewerben und um das Geld der Zahlungspflichtigen konkurrieren, dieses Problem beheben soll, bleibt ein Rätsel. Sicher ist, dass jede dieser Organisationen ihre Verwaltungskosten in Rechnung stellen wird und damit die Verteilungssumme für die Urheber schrumpft.
Weder der Blur-Banff-Workshop noch der CCC bringen Gründe dafür vor, warum eine willkürliche Zuweisung per se den Stareffekt verhindern würde. Wahrscheinlicher ist, dass ein Britney-Fan ihr Geld auch in diesem Verfahren Britney zuweist. Natürlich hört sie auch andere Musik, aber um die Komplexität der Zuweisung zu reduzieren, gibt sie Britney einfach alles. Wenn die Massen Massenwaren (Lady Gaga, Avatar, RTL) konsumieren, warum sollten sie ihre KWM nun plötzlich für kulturelle Vielfalt ausgeben?
Inzwischen liegt ein gutes Jahr Erfahrung mit Flattr vor. Britney Spears hat zwar selber keinen Flattr-Account, aber alle Blogeinträge, die sich mit der Musikerin befassen, sind genau null Mal geflattert worden. In den Flattr-Charts50 zeigt sich jedoch eine Ballung von Zahlungen an die üblichen Alpha-Blogger und -Podcaster: Stefan Niggemeiers Bildblog, Markus Beckedahls Netzpolitik und allen voran Tim Pritlove auf seinen verschiedenen Kanälen. Im Juni 2011 ist er gleich mit sieben Beiträgen unter den ersten 25.
Im Flattr-Universum verschwinden Stars also nicht, sondern es entstehen neue. Wenn das mit den Stars ein derartiges Problem ist, wie wäre es dann mit einer Kampagne: „Hört auf Britney und Pritlove zu hören!“
Wie die Blur/Banff-Gruppe erwartet auch der CCC offenkundig nicht, das Starproblem mithilfe der willkürlichen Zuweisung zu lösen. Deshalb schlägt er die Einführung von Auszahlungskategorien vor, “so dass etwa nur zwanzig Prozent der Punkte in der Sparte Popmusik vergeben werden können.” Und weiter? Maximal 10% für Podcasts, 30% an Hollywood-Filme, 5% an europäisches Kino, weil das eh schon öffentlich subventioniert wird, 15% an Klassik, 10% an E-Books, 10% an Ölgemälde? Und wenn ich meinen Anteil verteile, warnt mich das System alle Nase lang, dass ich die jeweilige Quote bereits überschritten habe und mir stattdessen etwas aus einer anderen Kategorie aussuchen soll: Wie wär’s mit einem Ölgemälde?
„Womöglich technisch einfacher“, sicher aber nicht konzeptionell, ist eine generelle Kappungsgrenze pro Werk oder pro Künstler. Ist die Diskussion über ein Mindesteinkommen schon schwierig genug, möchte ich mir die über ein Maximaleinkommen gar nicht erst vorstellen.
Ein zielführenderer Vorschlag stammt von Richard Stallman. In einem offenen Brief im Dezember 2010 gratulierte er der neuen brasilianischen Regierung zu ihrer Initiative zur Einführung einer Tauschlizenz. Er bezeichnet einen solchen Schritt als den Beginn eines dem Internet-Zeitalter angemessenen Urheberrechts. Und er schlägt einige Verbesserungen vor. Die offensichtlichste Verteilungsmethode sei es, die relative Popularität der Werke zugrunde zu legen. Die sei aber für die Förderung der Künste nicht sehr effektiv, da ein Großteil des Geldes an einige wenige Superstars ginge. “I propose instead to pay each artist according to the cube root of his or her popularity. … The effect of this would be to increase the shares of moderately popular artists by reducing the shares of superstars. Each individual superstar would still get more than an individual non-superstar, even several times as much, but not hundreds or thousands of times as much. With this offsetting, a given total sum of money will adequately support a larger number of artists.”
Die progressive Besteuerung ist etabliert und wird weithin als gerecht angesehen. Darauf aufsetzend ließe sich eine regressive Auszahlung der Urheberrechtsvergütung begründen.
Bei der Tauschlizenz löst jede Interessenbekundung an einem Werk, also jeder Download, automatisch eine Zahlung aus. Bei der KWM ist die Zuweisung von Zahlungen ein separater Schritt. Jeder Teilnehmer soll bewusst entscheiden, wie viele Eurocent ihm jedes Musikstück, jeder Film, jedes Foto, das er aus dem Netz gezogen hat, wert ist. Verzichtet er darauf, wird sein Anteil automatisch im Verhältnis zu den Zuweisungsentscheidungen derjenigen verteilt, die von ihrem Zuweisungsrecht Gebrauch gemacht haben.
Eine willkürliche Zuweisung läuft dem bisherigen Angemessenheitsprinzip des Urheberrechts entgegen. Verwertungsgesellschaften müssen ihre Einnahmen nach den festen Regeln eines öffentlichen Verteilungsplans aufteilen, “die ein willkürliches Vorgehen bei der Verteilung ausschließen” (§ 7 UrhWahrnG). Diese Willkürverhinderung schließt aber, wie wir gesehen haben, eine Ergänzung durch solidarische Umverteilung eines Teils der Einnahmen nicht aus. Einen Verteilungsplan gibt es im KWM-System nicht. Die Stiftung gibt den vollen Vergütungsbetrag an die Zahlungspflichtigen zurück, damit diese sie willkürlich verteilen können. Eine solidarische Umverteilung sieht der CCC nicht vor.
Kurz: Das KWM-System bietet keinen Anspruch auf angemessene Vergütung, sondern die Hoffnung, dass sich durch individuelle Belohnungsentscheidungen ein faires Verhältnis zwischen Popularität und Ertrag einstellt.
Nach dieser Diskussion sehe ich keinen Anlass, vom Grundprinzip einer regressiven Proportionalität plus Solidarität abzuweichen. Aus zwei Gründen halte ich es aber für eine gute Idee, dieses Grundprinzip um eine willkürliche Zuweisung eines Teilbetrags zu ergänzen: 1. Die Erfahrung mit Flattr zeigt, dass Menschen bereit sind, sich an einem solchen System zu beteiligen und, wenn Jamie Loves Intuition richtig ist, wird die Möglichkeit zur willkürlichen Zuweisung auch die Akzeptanz der Tauschlizenz erhöhen. 2. kommt die Intuition über die Gerechtigkeit einer solchen Lösung in der Debatte immer mal wieder auf. Auch wenn es Zweifel daran gibt, sollten wir dieses Modell ausprobieren. Nur so können wir erfahren, wie es genutzt wird und was es für Auswirkungen hat (siehe letzter Abschnitt “Pilotprojekt”).
Spenden, Kaufen, Abonnieren
“2. In Höhe dieses [monatlich erhobenen] Betrages erhält jeder Teilnehmer Einheiten einer kryptographisch gesicherten Micropayment-Währung, der Kulturwertmark.“
“4. Nutzer können nun auf einfache Weise einen Betrag in Kulturwertmark ihrer Wahl für das Werk an den Künstler transferieren. Sie erwerben damit keine persönlichen Rechte an dem Werk, sondern drücken ihre Wertschätzung aus. Es steht dem Künstler natürlich frei, beispielsweise für den Download eines Werkes von seiner Seite einen bestimmten Betrag der Kulturwertmark festzusetzen.”
“Es ist vorstellbar, jeden Monat ein feste Zahl der Kulturwertmark, ähnlich wie ein Abonnement, an einen Künstler oder Journalisten zu vergeben, die dafür ihre regelmäßig produzierten Inhalte ins System einstellen.”
Jede Internet-Nutzerin erhält die eingezahlten fünf Euro in Form von KWM zurück und kann sie “auf einfache Weise … an den Künstler transferieren.” Da das System auf David Chaums eCash beruht, kann man sich den Vorgang praktisch so vorstellen: Beim Anklicken eines Bezahl- oder Spenden-Buttons öffnet sich auf dem Rechner der Nutzerin ihre digitale Geldbörse und zeigt das aktuelle Guthaben an. Sie kann dann einen Betrag von einem Bruchteil eines Eurocent bis zu fünf Euro transferieren. Anders als bei Flattr müsste sie also bei jedem Werk präzise entscheiden, wieviel es ihr wert ist.
Der Betrag wird dann in einer anonymen und zugleich betrugssicheren Weise auf das Konto des Künstlers im KWM-System übertragen. Der, darf man vermuten, kann die KWMs entweder direkt ausgeben oder sie in Euro konvertieren und auf ein reguläres Bankkonto transferieren.
Der CCC nennt Spende, Kauf und Abo als mögliche Transaktionsformen
1. Spende
“Erwerben damit keine … Rechte …, sondern drücken ihre Wertschätzung aus.” Die Zahlung erfolgt hier als Spende. Im direktesten Fall kann man sich denken, steht neben dem Download-Link ein KWM-Spenden-Button, auf der Site der Autorin, auf den Download-Seiten auf The Pirate Bay oder RapidShare, in einem Blog etc. Ich ziehe, lese/höre/sehe, gehe zurück zum Spenden-Button und
entscheide, was mir das Werk wert war. In diesem Fall folgt auf jeden Kulturgenuss die Frage: Ist es mir Geld wert und wenn ja, wie viel?
Oft genug werden Download, Wahrnehmung und Spendenzuweisung zeitlich auseinanderfallen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Menschen keine Lust haben, sich nach jedem Blogpost, Song oder Film zu fragen, wie viele Euro das jetzt waren. Der CCC schlägt dafür vor, einen Spenden-Button ins Werke zu integrieren. Der würde dann wohl im jeweiligen Medien-Player direkt anklickbar sein (s. a. “4. DRM”).
Da Ziel der willkürlichen Zuweisung ja gerade ist, Nutzung und Zahlung zu entkoppeln, ist auch denkbar, dass Menschen ihr Zuweisungsrecht in größeren Abständen ausüben, z.B. dann, wenn das KWM-System sie warnt, dass dieses Recht in Kürze verfallen wird (s. “Verfall”). Sie könnten dann z.B. in den Katalog der KWM-registrierten Werke gehen, Künstler aussuchen, die sie für besonders förderwürdig halten und auf diese Weise ihre fünf Euro verteilen. Andere halten eine verhältnismäßige Auszahlung für die grundsätzlich gerechteste, möchten aber eingreifen. Sie gehen vielleicht in ihre lokalen, automatisch generierten Wiedergabelisten (à la Audioscrobbler), editiert sie nach gusto, werfen z.B. alle Pornos raus, die sie angeschaut haben, und teilen so ihre fünf Euro auf.
Wenn Nutzung und Spendenzahlung auseinanderfallen, sind die verschiedensten Szenarien vorstellbar:
-
Ich höre zwar vor allem Lady Gaga, aber weil ich mit cre8radix befreundet bin, kriegt er mein Geld.
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Ich bin Fan von NiN. Die sind aber nicht im System angemeldet. Also muss ich meine KWM jemand anderem geben oder sie verfallen lassen.
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Die Zahlungsverpflichtung stinkt mir. Also melde ich einen Blogeintrag oder ein Flickr-Foto an und weise mir meine fünf Euro selbst zu. Falls das verboten sein sollte, gebe ich meine KWM meiner Freundin und sie mir ihre. Wir müssen zahlen, aber verlieren nichts. Und kriegen aus dem nicht zugewiesenen Geld anderer noch was oben drauf.
-
Mein Star ist in einen Sex-, Drogen- etc. Skandal verwickelt. Ich höre ihn immer noch, aber Geld kriegt der von mir keins mehr.
-
Ich schaue Pornos, aber will nicht, dass sie Geld von mir bekommen.
-
usw.
2. Kauf
“Es steht dem Künstler natürlich frei, beispielsweise für den Download eines Werkes von seiner Seite einen bestimmten Betrag der Kulturwertmark festzusetzen.” Das hört sich sehr nach einem Kauf à la iTunes an. Bedingung für den Download ist die Bezahlung. Da die KWM als generalisierbares Mikrozahlungssystem angelegt ist, kann man damit wohl auch DVDs und T-Shirts erwerben.
Falls das so gemeint ist, vermute ich, dass KWMs nicht etwa als Spenden verteilt werden für das, was ohnehin schon frei verfügbar ist, sondern für das verwendet werden, an das man ohne echtes Geld, jetzt in Form der Online-Währung KWM, nicht rankommt. Das System würde also gerade keinen Anreiz für Zugang schaffen, sondern im Gegenteil für die Schaffung von Mangel, also Zugangsbeschränkungen. Viele werden sich an diesem Geschäftsmodell versuchen. Die Pornoindustrie (eCash ist anonym) wird sicher ihren Anteil einfahren.
“Es ist vorstellbar, jeden Monat ein feste Zahl der Kulturwertmark, ähnlich wie ein Abonnement, an einen Künstler oder Journalisten zu vergeben, die dafür ihre regelmäßig produzierten Inhalte ins System einstellen.”
Die eCash-Geldbörse erlaubt auch die Einstellung solcher regelmäßigen Zahlungsaufträge. Die sind denkbar als Spende oder als Kauf.
“Alternativ kann die Möglichkeit zum Ausgeben der Kulturwertmark in Werke integriert werden, die dann völlig außerhalb der Kontrolle des Künstlers getauscht oder per Filesharing weitergegeben werden können.”
Ich habe lange gerätselt, was damit gemeint sein könnte. Nach der bestwilligen Interpretation ist in dem Werk ein KWM-Spenden-Button integriert. Da dies jedoch als Alternative zur Festsetzung eines Download-Preises durch den Künstler dargestellt und hier von Spenden keine Rede ist, drängt sich mir eine andere Interpretation auf. In DRM-Architekturen gab es das Konzept von “viralem Marketing” oder „Superdistribution“: DRM-gekapselte Werke konnten per E-Mail an Freunde verschickt, über P2P getauscht werden usw. Der Empfänger konnte einen kleinen Ausschnitt wahrnehmen, bei Gefallen dafür bezahlen und erhielt dann den Schlüssel, um es zu öffnen.
So sei das hier aber nicht gemeint, stellte Frank Rieger auf Nachfrage richtig. Vielmehr gehe es um eine krypografisch verifizierbar Werkkennung, die dem Werk angehängt werden und ermöglichen soll, ihm KWM-Mikrozahlungen zukommen zu lassen. Der Mechanismus solle weder die Nutzung einschränken, noch die Anonymität der Nutzer unterlaufen. Eine Klarstellung ist für eine zukünftige Version des KWM-Papiers angekündigt.
Verfall des Auszahlungsrechts
“6. Beträge, die von den Teilnehmern innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (etwa ein Jahr) nicht ausgegeben werden, werden automatisch entsprechend aller vergebenen Beträge verteilt. Es gibt also eine vorhersehbare Menge Geld, die pro Jahr tatsächlich verteilt wird.”
“FAQ: Muß für die Verteilung der nicht vergebenen Punkte nicht ein irrer Aufwand getrieben werden?
Nein. Es werden einfach zum Ende jedes Quartals die abgelaufe- nen Punkte aufsummiert und ins Verhältnis zu allen im Quartal vergebenen Punkten gesetzt. Konkret würde beispielsweise ein Künstler, der in einem Quartal 18% der verteilten Punkte bekommen hat, darüber hinaus 18% der ansonsten verfallenden Punkte dieses Quartals dazubekommen. Das Verfallsprinzip ist notwendig, um einen hohen Anreiz zur aktiven Nutzung des Systems zu schaffen und den “garantierter Mindestumsatz”-Effekt zu erzielen. Nur in dem seltenen Fall, daß kein einziger Punkt an einen Künstler verteilt wurde, wird auch kein Mindestumsatz erreicht.”
Wenn ich die 5 € vom Juni 2011 bis April 2012 nicht ausgegeben habe, verliere ich mein Zuweisungsrecht und sie werden proportional zu den getätigten Zuweisungsentscheidungen aller umgelegt.
Ein solcher proportionaler Aufschlag ist bei Verwertungsgesellschaften üblich für die Verteilung von Nachzahlungen (wie 2009 die für Multifunktionsgeräte für die Jahre 2002 bis 2007 von € 282 Mio. an die VG Wort und 2010 die für PCs für 2002 bis 2007 in Höhe von € 47 Mio. an
ZPÜ/GEMA).
Dabei handelt es sich aber um einmalige Sonderausschüttungen. Warum der CCC strukturell einen Verfallsmechanismus vorsieht, ist aus Sicht der Zahlungspflichtigen nicht so einfach nachzuvollziehen: Erst zieht die KWM-Stiftung über meinen ISP von mir 60 Euro pro Jahr ein, die ich zurück erhalte, um sie für Kultur frei ausgeben oder spenden zu können. Dann nimmt sie mir diese Möglichkeit ein Jahr später wieder.
Zwei Gründe werden genannt, warum das Verfallsprinzip notwendig sei:
1. Als Anreiz zur aktiven Nutzung des Systems. Klar, wenn den Leuten die aktive, willkürliche Zuweisung von Spenden zu mühsam ist und sie nichts Interessantes dafür zu kaufen finden, bleiben die KWM liegen. Dem Ziel einer Vergütung von Kreativen wäre nicht gedient. Aber selbst mit dem Verfallsanreiz schätzt Benjamin Stöcker, dass nur 5-10% der Nutzer von ihrem Zuweisungsrecht Gebrauch machen werden. Immerhin müssen alle Breitbandnutzer erst die KWM/eCash-Software installieren, bevor sie ihre fünf Euro überhaupt empfangen können, und bevor sie sie los werden können, müssen auch die Kreativen die entsprechende Software installieren. Außerdem kann der Verfallsmechanismus auch den genau gegenteiligen Effekt haben: Warum soll ich mir die Mühe machen? Kann ja eh nix anbrennen. Andere werden die Verteilung für mich schon übernehmen.51
“Wenn wir eine Beteiligungsrate von 10% annehmen bedeutet das automatisch, dass jeder der an dem System aktiv teilnimmt effektiv das Zehnfache seines Anteils verteilen kann,” schreibt Stöcker. Selbst wenn wir optimistischer sind, bleibt die Frage, ob eine Verteilung des Gesamtbetrags durch einen Teil der Zahlungspflichtigen wirklich gerechter ist, als eine Ausschüttung proportional zur Nutzungshäufigkeit statistisch aller Zahlungspflichtigen.
2. Um den “garantierter Mindestumsatz”-Effekt zu erzielen. Dieser Effekt ist für den CCC das Schlüsselargument, um eine Änderung des Urheberrechtsgesetzes zu begründen: Weil mindestens € 1,5 Mrd. im Jahr an Kunst und Kultur verteilt werden, wird Filesharing erlaubt und die Schutzfristen werden verkürzt (zur Plausibilität dieser Begründung s.u. “Urheberrecht”). “Mindestumsatz” scheint sich also auf den Gesamtbetrag zu beziehen, der dadurch wachsen kann, dass Menschen KWM hinzukaufen. Doch dann ist da der Satz: “Nur in dem seltenen Fall, daß kein einziger Punkt an einen Künstler verteilt wurde, wird auch kein Mindestumsatz erreicht.”
“Mindestumsatz” scheint hier zu springen von der Gesamtsumme, die – an wen auch immer – ausgeschüttet wird, und einer Mindestsumme, die an einen individuellen Künstler ausgezahlt wird. Aber, wenn ich 1 € direkt zugewiesen bekomme und noch 2-3 € Verfallsgeld oben drauf, was heißt dann “Mindest”? Und wie ist ein solcher “seltener Fall, dass kein einziger Punkt an einen Künstler verteilt wurde,” vorstellbar? War der so verpeilt, sich nicht selbst seine 5 Euro zuzuweisen? Oder, falls das verboten sein sollte, hat er gar keine Freunde, die ihm eine von ihren fünf Euros zuweisen?
Internationale Ausgestaltung des Systems
“FAQ: Was ist mit internationalen Werken?
Jeder Anbieter kann dem jeweiligen System eines Landes (also auch mehreren gleichzeitig) beitreten. Die Konsequenzen des Beitritts sind für jeden Anbieter in dem gewählten Land gleich. Später wäre auch eine Zusammenfassung der nationalen Systeme zu einem größeren Ganzen denkbar.”
Auch daran wird deutlich, dass der CCC das Verwertungsgesellschaftssystem neu erfinden möchte. Die haben eine solche “Zusammenfassung” nämlich schon.
Urheberrecht ist territorial. Die Berner Übereinkunft (Artikel 5) schreibt eine Ausländergleichbehandlung vor. Ausländische Autoren genießen in einem Land die gleichen Rechte, wie die Urheber, die in diesem Land ansässig sind. Die nationalen Verwertungsgesellschaften unterhalten Wechselseitigkeitsverträge, so dass jede in ihrem Territorium im Wesentlichen das Weltrepertoire vertreten kann und sie sich gegenseitig die Einnahmen für ihre jeweiligen Mitglieder überweisen.52 So wird verhindert, dass jede Kreative den Systemen in 194 Ländern der Erde beitreten muss. Genau das malt sich der CCC aus. Die Urheberrechtsänderung betrifft sämtliche Werke. Zahlungen erhalten kann aber nur, wer im jeweiligen nationalen System angemeldet ist.
Diese über Jahrzehnte gewachsene Struktur knirscht in der digitalen Online-Welt. Dass ein auch nur europaweit ausstrahlendes Online-Radio Lizenzen von Verwertungsgesellschaften in 27 Ländern einholen muss, ist nicht im Sinne des Binnenmarktes. Deshalb sah die EU-Kommission Handlungsbedarf und stellte die betroffenen Kreise vor die Wahl: 1.) es könne nichts getan werden, oder 2.) die nationalen Verwertungsgesellschaften können zu einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit angehalten werden oder 3.) Rechteinhaber können die Möglichkeit erhalten, eine von mehreren konkurrierenden Verwertungsgesellschaften mit der EU-weiten Online-Vermarktung zu beauftragen.53 In ihrer Empfehlung 2005 sprach sich die Kommission für die dritte Option aus.
Naheliegend wäre und von den meisten Beteiligten favorisiert wurde eine Föderation der nationalen Verwertungsgesellschaften. Schließlich wächst auch die EU so zusammen, mit Aufgabenteilung zwischen den nationalen Regierungen und Brüssel. Tatsächlich hat die EU-Empfehlung zur Bildung von mehreren “Hubs” für pan-europäische Lizenzierung geführt: CELAS (ein Zusammenschluss von GEMA und PRS for Music in England), ARMONIA (Musikverwertungsgesellschaften in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal) und das Nordisk Copyright Bureau (NCB, ein ebensolcher Zusammenschluss aus Dänemark, Island, Finnland, Schweden, Norwegen, Litauen, Estland und Lettland), die jeweils den Katalog eines Majors vertreten, CELAS z.B. für EMI und ARMONIA für Universal. Die EU-Kommission so ein neues Oligopol geschaffen, und das ausgerechnet im Namen von Wettbewerb und Monopolverhinderung. Strittig ist derzeit, ob es sich bei diesen Unternehmen um privatwirtschaftliche Lizenzhändler oder um Verwertungsgesellschaften handelt, die dann dem Urheberrechtswahrnehmungsesetz unterstünden.
Viele Fragen sind offen. 2012 will die Kommission Vorschläge für ein rechtliches Rahmenwerk für paneuropäische Lizenzierung vorlegen.54
Rechte
“FAQ: Ist das nicht das Gleiche wie Flattr?
Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, daß bei Flattr der gesamte Aspekt der Rechte am Werk ausgeklammert wird. Man gibt nur Geld an den Künstler, ohne daß sich dadurch die Verwertungsrechte verändern oder eine digitale Allmende gebildet wird. Es gibt auch kein Konzept einer Gegenleistung der Contentindustrie in Form eines entschärften Urheberrechts.”
“7. Als Gegenleistung für diesen de facto garantierten Mindestumsatz wird das bisherige Urheberrecht deutlich zugunsten der Rezipienten geändert. Exzessiv lange Schutzfristen werden verkürzt, die zivil- und strafrechtliche Verfolgung nicht-kommerziellen Filesharings wird eingestellt.”
Das KWM-System sieht Auswirkungen auf Urheberrechte auf verschiedenen Stufen vor:
1. Bei Spenden mit KWM ändert sich unmittelbar nichts (“Sie erwerben damit keine persönlichen Rechte an dem Werk, sondern drücken ihre Wertschätzung aus.”)
2. Bei Bezahlung eines Downloads mit KWM, darf man vermuten, erhält der Käufer unmittelbar die Nutzungsrechte, die die jeweilige Lizenz ihm zugesteht, wie heute bei iTunes etc.
3. Wird ein geldliche oder zeitliche Schwelle überschritten, tritt eine von drei möglichen Folgen ein:
a. das Werk wird gemeinfrei
b. es fällt unter eine CC-Lizenz
c. es kommt in die digitale Allmende.
4. Schließlich sollen sich Änderungen im Urheberrecht aus dem KWM-System ergeben, genauer aus dem “garantierten Mindestumsatz”: nichtkommerzielles Filesharing wird legalisiert, die Schutzfristen verkürzt, und zwar für alle geschützten Werke, nicht nur für die im KWM-System angemeldeten.
Ja, was denn nun? Gemeinfrei oder CC-lizenziert? Frei durch Urheberrechtsänderung oder erst nach Erreichen eines Schwellenwertes?
Freikaufen
“5. Wird ein zuvor festgelegter Schwellwert erreicht, fallen die Verwertungsrechte für das Werk automatisch in den Besitz der Öffentlichkeit und stehen fortan unter einer freien Lizenz, z. B. einer geeigneten Variante aus dem der Creative-Commons-Fundus.”
“7. … Im Ergebnis entsteht ein zweiter Markt für Kunst- und Kulturwerke, der … schlußendlich eine fortlaufend wachsende digitale Allmende schafft, die allen zur Verfügung steht.”
“FAQ: Wie wird der Schwellwert für den Übergang in den Allgemeinbesitz festgelegt?
Hier gibt es zwei grundlegende Möglichkeiten. Die erste ist eine generelle Festlegung etwa je nach Umfang des Werks, seiner Schöpfungshöhe und dem zur Erstellung nötigen Aufwand. Die zweite ist, den Künstler die Höhe selbst festlegen zu lassen. In der Praxis wird vermutlich ein kombiniertes System von Orientierungswerten und Maximalkappungsgrenzen zur Anwendung kommen, bei der die Stiftung Empfehlungen ausspricht, denen der Künstler dann folgen kann oder nicht. Wichtig ist hier, daß das Ziel der Schaffung einer digitalen Allmende nicht durch unrealistisch hohe Schwellwerte unterminiert wird. Hier hat die Stiftung steuernd einzuwirken.
Wünschenswert ist zusätzlich ein automatischer, zeitlicher Schwellwert, der noch unterhalb der dann reduzierten Urheberrechtsschutzfristen liegt. Beispielsweise geht nach fünf Jahren automatisch jedes Werk in die Allmende über, unabhängig von den bis dahin aufgelaufenen Zahlungen.“
Ist für ein Werk ein bestimmter Betrag eingegangen (ich vermute, sowohl durch Spenden wie durch Kauf), wird es entweder gemeinfrei oder es fällt unter eine “geeignete Variante” der CC-Lizenzen oder es geht in die “Allmende” über, “die allen zur Verfügung steht.” Dabei handelt es sich um drei unterschiedliche Konzepte:
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Dass ein Werk in den “Besitz der Öffentlichkeit” oder an anderen Stellen in den “Allgemeinbesitz” übergeht, kann nur so verstanden werden, dass es gemeinfrei wird. (Auch Silke Helfrich hat es so verstanden.) Was gemeinfrei ist, kann aber nicht mehr freilizenziert werden. Nur der Eigentümer eines Werks kann es unter CC stellen. Die beiden Möglichkeiten schließen sich gegenseitig aus.
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Welche CC-Variante der CCC für geeignet hält, wird nicht diskutiert, was verwundert, wenn doch die Nutzungsfreiheiten im Vordergrund stehen sollen und die Anstrengung, Freiheit kultureller Werke zu definieren bereits geleistet worden ist. Soll kommerzielle Nutzung erlaubt sein oder nicht? Dass die Möglichkeit, “Einnahmen zu generieren”, nach dem Übergang des Werkes in die “Allmende” weiter bestehe, könnte auf letzteres schließen lassen. Vielleicht meint es aber auch Spendeneinnahmen. Wie verhält es sich mit der Bearbeitungsfreiheit? Die wird nur einmal erwähnt im Zusammenhang mit DRM, was Zitieren mühsam mache, “ganz zu schweigen von einer ableitenden Nutzung.” Man darf also vermuten, dass die Erstellung und Veröffentlichung von Remixen erlaubt wird. Nur für nichtkommerzielle Zwecke? Nur unter denselben Bedingungen der Ausgangslizenz? Wenn regelmäßig ein Viertel der Nutzer von CC-Lizenzen Veränderungen ihrer Werke untersagen und zwei Drittel die kommerzielle Nutzung, setzt sich dann die “gesetzliche CC-Lizenz” des KWM-Systems darüber hinweg und schreibt einen höheren Freiheitsgrad vor? Denn jetzt gehört das Werk nicht mehr der Urheberin, sondern dem Kollektiv, das es freigekauft hat?
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Gemeinfreiheit schließt auch die Allmende aus. Ersteres heißt im römischen Recht res nullius, Dinge ohne Eigentümer (weil sie prinzipiell nicht appropriierbar sind, wie Meer und Luft oder weil sie noch nicht angeeignet sind). Die Allmende dagegen ist res universitatis, wobei die universitas ein korporativer Zusammenschluss ist. Das kann eine öffentliche Verwaltungseinheit sein (Gemeinden, die Bürgern Straßen, Brücken, Theater als res publicae bereitstellen), eine Kirche (die Tempel und Grabmäler, also heilige Dinge, res divini juris, unterhält) oder eine private Gruppe, die einkommenproduzierende Ressourcen in Kollektivbesitz unterhält (wie eine Gilde).
Im Mittelalter wird daraus die Institution der Allmende: Gemeinschaftsbesitz an Produktionsmitteln wie Weiden, Forsten und Fischereien, über deren nachhaltige Nutzung die Allmendgenossen gemeinsam entscheiden und dafür Aussenstehende ausschließen können.55 Aus der universitas wird ebenfalls im Mittelalter unsere Universität als ein korporativer Zusammenschluss von Studierenden und Lehrenden.
Es geht also um eine gemeinschaftliche Ressource der Allmendgenossenschaft, die nach innen selbstregulierten freien Nutzen erlaubt und nach außen ein marktförmiges Gesicht zeigt.56 Im gleichen Sinne erzeugt die GPL (oder eine geeignete CC-Lizenz: die CC-SA) eine Wissensallmende, deren Nachhaltigkeit zwar nicht durch eine einfache Nutzung der freien Software durch jedermann gefährdet wird, wohl aber aber durch Veränderungen, die nicht wieder in den Bestand der Allmendgenossenschaft zurückfließen. Anders als gemeinfreie Werke setzt die Allmende zur Sicherung ihres Bestands also eine spezifische Regulierung voraus.
Wie wird der Schwellenwert festgelegt? Zwei Möglichkeiten werden genannt:
“… eine generelle Festlegung etwa je nach Umfang des Werks, seiner Schöpfungshöhe und dem zur Erstellung nötigen Aufwand. Die zweite ist, den Künstler die Höhe selbst festlegen zu lassen.
“Umfang des Werks”: Das ist im heutigen Verwertungsgesellschaftssystem üblich. So hat z.B. die GEMA in ihrem Verteilungsplan für die Spieldauer von E- und U-Musik Schwellen im Zehnminutenabstand festgelegt. Für ein Instrumentalwerk bis 09:59 gibt es 96 Punkte, ab 10:00 schon 180 Punkte, was zu einer Häufung von Werken führt, die knapp über einer solchen Schwelle liegen. Auch auf der Zahlungsseite bemisst sich z.B. die Leermedienabgabe nach Speichervolumen.
“Schöpfungshöhe”: Der Begriff kommt im Urheberrechtsgesetz nicht vor. Schutzkriterium ist hier die “persönliche geistige Schöpfungen” (§ 2.2 UrhG). Das Konzept der Schöpfungshöhe dient in keinem Fall als relativer Wertmaßstab (Werk A hat eine größere Schöpfungshöhe als Werk B und ist deshalb mehr wert), sondern ausschließlich zur Bestimmung der Untergrenze für Schutzwürdigkeit. Diese Untergrenze ist immer weiter abgesenkt worden, u.a. durch die europäische Harmonisierung, die eine Annäherung an den besonders niedrigen britischen Standard erforderlich gemacht hat (Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz. Kommentar, 2004, Einl 16). Nach dem Konzept der “kleinen Münze” sind auch wenig originelle Werke wie Formulare oder Telefonbücher schützbar (ebd., § 2 Rn 4). Nach der bisherigen Debatte ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Schöpfungshöhe zu einem geeigneten Maßstab machen lässt.
“Der zur Erstellung nötige Aufwand”: Auch damit begibt sich der CCC in äußerst trübes Fahrwasser. Ist Malewitschs Schwarzes Quadrat, das in einigen Minuten gemalt werden kann, weniger wert als ein Formularsatz, an dem jemand drei Monate gearbeitet hat? Zählt die Vorbereitungs- und Konzipierungszeit mit beim anzurechnenden Aufwand? Wenn ja, wie erhebt man sie? Muss eine Künstlerin über ihre Arbeit Protokoll führen, das möglicherweise einer Wirtschaftsprüfung unterzogen wird? Oder fließt der gesamte künstlerische Bildungs- und Werdegang in die Erstellung eines Werkes ein? Wenn ja, wäre also ein Werk eines Kunsthochschulabsolventen per se mehr wert als das eines Quereinsteigers? Der Aufwand kann sich auch auf die eingesetzten Ressourcen beziehen, auf Investitionen, Zahl der beteiligten Personen usw. Aber wer entscheidet, ob die wirklich nötig waren, ob es eine Nummer kleiner nicht auch getan hätte?
“Den Künstler die Höhe selbst festlegen lassen”: Was sollte einen Künstler veranlassen, weniger als den Maximal-Betrag und den Maximal-Zeitraum anzusetzen? Anders als bei den meisten SPP-Systemen sind keine Sanktionen damit verbunden. Es läuft kein Uhr bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Finanzierungsziel zusammengekommen sein muss, oder alles ist verloren. Die Stiftung soll ihn dazu veranlassen: “Wichtig ist hier, daß das Ziel der Schaffung einer digitalen Allmende nicht durch unrealistisch hohe Schwellwerte unterminiert wird. Hier hat die Stiftung steuernd einzuwirken.”
In der Tat ist es wichtig, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: die Legalisierung von Tauschen und Remixen und die Vergütung von Urhebern. Im Vergleich zu dem hier vorgeschlagenen ad-hoc-Voodoo eines kombinierten Systems “von Orientierungswerten und Maximalkappungsgrenzen …, bei der die Stiftung Empfehlungen ausspricht, denen der Künstler dann folgen kann oder nicht,” sieht die Erreichung des Ziels durch die Tauschlizenz wie ein Kinderspiel aus.
Aber damit nicht genug. Der CCC wünscht sich außerdem, dass sich durch die KWM-Registrierung eines Werks seine Schutzfrist gegenüber der gesetzlichen reduziert, z.B. auf fünf Jahre gegenüber einer dann reduzierten gesetzlichen Frist von z.B. 15 Jahren nach Erstveröffentlichung (die errechnet Rufus Pollock in Forever Minus a Day? Calculating Optimal Copyright Term, 2009)) – unabhängig von den bis dahin aufgelaufenen Zahlungen.
Man kann fast Mitleid bekommen mit Britney. Da meldet sie ihre Musik beim KWM-System an, um Gutes zu tun und im deutschen Internet etwas Geld dazu zu verdienen. Sie bekommt aber nichts, weil alle überzeugt sind, dass sie eh schon reich genug ist. Und dann sind ihre Rechte nach fünf Jahren vollends weg. Mal im Ernst, meint Ihr wirklich, all das sei ein Anreizangebot, das auch nur eine Kreative, die heute mit ihrer Kunst Geld verdient, dazu bewegen könnte, ihre Werke bei der KWM anzumelden?
Vor allem: Wenn die zivil- und strafrechtliche Verfolgung nichtkommerziellen Filesharings per Gesetz eingestellt und nichtkommerzielles Remixing erlaubt wird, was braucht es dann noch die schwellenwertgebundene CC-Lizenzierung? Es bleibt nur die Entscheidung, auch kommerzielle Nutzung freizugeben, d.h. den Anspruch auf angemessene Vergütung aufzugeben. Das, was bei der KWM über die gesetzliche Regelung hinausgeht, was teilnehmende Urheber verflichtet, ihre Werke gemeinfrei zu machen oder unter die entsprechende CC-Lizenz zu stellen, dient somit weder dem Zugang der Allgemeinheit noch der Vergütung der Urheber, sondern Dritten, die dann mit diesen Werken Geld verdienen können, ohne die Urheber beteiligen zu müssen. Die können nach der Freilizenzierung zwar noch Spenden entgegennehmen, aber nicht verhindern, dass globale Medienkonzerne ihre Werke umfassend verwerten und sie nicht an den Einnahmen beteiligen.
Kurz: Auch die Gesetzesänderung, die für das KWM-System in jedem Fall notwendig ist, und die freiwillige vertragliche Einwilligung in Freiheitserteilung mit Schwellenwert-Voodoo passen nicht zusammen.
Urheberrecht
“7. Als Gegenleistung für diesen de facto garantierten Mindestumsatz wird das bisherige Urheberrecht deutlich zugunsten der Rezipienten geändert. Exzessiv lange Schutzfristen werden verkürzt, die zivil- und strafrechtliche Verfolgung nicht-kommerziellen Filesharings wird eingestellt.”
“FAQ: Welche Änderungen beim Urheberrecht soll es konkret als Gegenleistung geben?
Die konkrete Formulierung der notwendigen Änderungen am Urheberrecht bedarf aufgrund der Komplexität der existierenden Gesetze einiger Arbeit. Klar ist aber, daß für die durch das Kulturwertmark-System entstehende de-facto-Umsatzgarantie für schöpferische Tätigkeit im Gegenzug deutliche Abstriche an den derzeit bestehenden restriktiven Regelungen erfolgen müssen. Erforderlich sind mindestens:
1. Deutliche Verkürzung der Schutzfristen,
2. Beschränkung der straf- und zivilrechtlichen Verfolgung von Filesharing und privaten Kopien auf kommerzielle Verstöße, also solche, die zum Zwecke der profitorientierten Gewinnerzielung erfolgen,
3. Änderung der verwerterorientierten Prämissen des derzeitigen Urheberrechts hin zu einem angemessenen Ausgleich zwischen Autoren- und Rezipientenrechten,
4. Sicherstellung, daß kein Durchgriff auf deutsche User durch internationale Abkommen etc. passiert,
5. Aufnahme von Klauseln, die es Autoren erlauben, auch bestehende Werke, die unter restriktiven Regeln lizensiert wurden, ins System einzustellen.”
Bislang unterscheidet sich die KWM nicht groß von den bisherigen SPP-Modellen des Freikaufens (s.o. unter „P2P-Finanzierung“). Doch anders als sie hat die KWM eine gesetzgeberische Dimension. Das Urheberrecht soll geändert werden, um einerseits die Zahlungsverpflichtung und andererseits die Befreiung der Werke auf dieser Ebene festzulegen. Das Recht ist seiner Natur nach ein dickes Brett, das, wie der CCC zugibt, “aufgrund der Komplexität der existierenden Gesetze einiger Arbeit” bedarf.
1. “Beschränkung der straf- und zivilrechtlichen Verfolgung von Filesharing und privaten Kopien auf kommerzielle Verstöße, also solche, die zum Zwecke der profitorientierten Gewinnerzielung erfolgen.” Genau. Nichtkommerzielles Filesharing, also vor allem das öffentliche Zugänglichmachen (§ 19a UrhG), muss legalisiert werden. Dazu die nichtkommerzielle Veröffentlichung von Remixen (§ 23 UrhG). Privates, nichtkommerzielles Kopieren ist bereits legal (§ 53 UrhG).
2. „Schutzfristen“ sind ohne Frage ein wichtiges Thema. Es geht schon mit der Grundkonstruktion los: Dass alles von Tagesjournalismus bis Weltliteratur einheitlich bis 70 Jahre nach Tod des Autors geschützt sein soll,57 entbehrt jeglicher Plausibilität. Die Stimmen mehren sich, dass die Anmelde- und Erneuerungspflicht als Voraussetzung für die Erteilung von Copyright-Schutz in den USA (bis zum Beitritt zur Berner Übereinkunft) keine schlechte Idee war.58 Werke, an denen es kein Verwertungsinteresse gibt, werden so automatisch gemeinfrei.
Andere Probleme nicht in den Schutzfristen selbst, sondern im Urhebervertragsrecht, zeigen sich und drängen auf eine Lösung: Wenn Autoren Rechte für alle Zeiten, Länder und Medien an einen Verwerter abgetreten haben, der das Werk der Öffentlichkeit aber nicht zugänglich macht oder gar nicht mehr existiert, dann häufen sich vergriffene und verwaiste Werke.
Für die Tauschlizenz ist das Problem der Schutzfrist nicht vorrangig. Sie entschärft es, indem sie eine Trennung in zwei Sphären einzieht: kommerzielle Nutzung und nichtkommerzielle Person-to-Person (P2P) Nutzungen, die nicht erst mit Ablauf irgendwelcher Fristen, sondern ab Erstveröffentlichung frei sind. Die Tauschlizenz löst damit zwar nicht sämtliche Schutzfrist-bezogenen Probleme. Für die nichtkommerzielle Nutzung für alle praktischen Belange aber schon.
3. “Sicherstellung, daß kein Durchgriff auf deutsche User durch internationale Abkommen etc. passiert.” Das ist eine lustige Idee. Soll Deutschland aus der RBÜ, TRIPS, der Europäischen Gemeinschaft etc. austreten? Ich fürchte, aufgrund der Komplexität der Materie bedarf es etwas mehr Arbeit, das vorgeschlagene Modell in den internationalen Rechtsrahmen einzupassen. Für die Tauschlizenz haben zwei Rechtsgutachten gezeigt, dass das durchaus geht (Bernault/Lebois (2005, französisch / englisch) für die Alliance public.artistes und Roßnagel et al. (2009) für die Grünen).
4. “Als Gegenleistung für diesen de facto garantierten Mindestumsatz.” Das ist ohne Frage der am wenigsten überzeugende Punkt im Modell des CCC. De facto garantiert – doppelt gemoppelt hält besser – sollen 1,5 Milliarden Euro im Jahr an Urheber ausgeschüttet werden, von allen, oder doch zumindest denen, die aktiv daran teilnehmen, an wen auch immer. Und als Gegenleistung sollen alle, die heute gesetzlich zugesicherte Urheberrechte haben, weitgehend darauf verzichten? Sie sollen von einem System, das eine Vergütung im Verhältnis zu Nutzungen anstrebt, umstellen auf eines, von dem völlig unklar ist, wie die “Crowd” ihr Geld verteilt. Es wird von allen Nutzern eingesammelt dafür, dass alle Werke getauscht werden, aber es können nur die Werke Geld erhalten, die angemeldet sind. Und de facto erhalten es nur die, für die sich Nutzer entscheiden. Dass es einen Mindestumsatz für Kultur insgesamt gibt und dass irgendjemand etwas davon bekommt, kann mir wurscht sein, solange ich 100.000 Hits im Monate habe, aber nichts auf dem Konto.
Das widerspricht nicht nur dem Urheberrecht, das, wie gesagt, ein persönliches Recht ist, mit Anspruch auf Vergütung für jede Nutzung der eigenen Werke auch bei kollektiver Wahrnehmung, sondern, – wie ich empirisch ungedeckt, aber überzeugt behaupten möchte –, auch dem Sinn für Verteilungsgerechtigkeit und angemessene Vergütung der allermeisten Kreativen. Zumindest derjenigen, die mit ihrer Kreativität Geld verdienen. Von denen, die das heute nicht tun, ist dem CCC die Unterstützung gewiss. Sie hätten schließlich nichts zu verlieren, aber Geld zu gewinnen. Für eine Urheberrechtsänderung wird das aber nicht langen.
Ohne Urheberrechtsänderung ist das KWM-System aber nichts als ein weiteres allseits freiwilliges SPP plus Flattr, mit anderen Worten überflüssig. Die Ziele Zugang und Ende des Kriegs gegens Tauschen werden verfehlt. Das Ziel einer angemessenen Vergütung ist mit einer ausschließlich willkürlichen Zuweisung ohnehin nicht zu erreichen.
Kollektivität – die Stiftung
“FAQ: In welcher Organisationsform sollte das Kulturwertmark-System realisiert werden?
Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte, aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, die von den Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge erhält (oder alternativ mit den ISPs Verträge über Einzug und Weiterleitung abschließt). Die Besetzung des Exekutivgremiums der Stiftung sollte hälftig per allgemeiner Wahl unter den Teilnehmern und Künstlern erfolgen, so daß die Interessen beider Seiten adäquat repräsentiert sind. Stimmberechtigt ist, wer mindestens für eine festzulegende Zeit (etwa drei Monate) in das System eingezahlt hat. Wenn die Anzahl der Benutzer um eine signifikante Zahl gestiegen ist, sind Neuwahlen durchzuführen. Eine Besetzung analog der Quotenregelung wie bei den Rundfunkräten hat sich nicht bewährt und ist undemokratisch.
Stiftungsposten sollten zeitlich beschränkt werden. Das Budget der Stiftung soll schmal gehalten und auf die technische Durchführung ausgerichtet sein. Der Verwaltungs-Overhead sollte aus den Zinsgewinnen des Stiftungsvermögens gedeckt werden, so daß eine hundertprozentige Auszahlungsquote der erhobenen Beiträge an die Künstler erreicht wird und keine Transaktionsgebühren erhoben werden müssen. Eine privatwirtschaftliche Lösung ist nicht erstrebenswert, Interessenskonflikte wären hier vorprogramiert, die Auszahlungsquote sänke.
Die Entwicklung der nötigen Software muß als Open Source auf der Basis offener Standards erfolgen und von der Stiftung finanziert werden. Etwa notwendige Patente sind aus dem Stiftungsvermögen anzukaufen. Die Stiftung muß finanziell so ausgestattet werden, daß sie den fortlaufenden Betrieb inklusive aller notwendigen Organe (wie Schiedsgerichte, Softwareentwicklung, technischer Betrieb etc.) aus den Stiftungserträgen bestreiten kann.”
Hierin sind wir uns wieder einig: Die Lösung muss eine kollektive sein. Und Urheber und aufführende Künstler auf der einen und Publikum auf der anderen sind die beiden Kollektive, die ihre Austauschmodalitäten untereinander aushandeln. Die Frage ist: Wie organisieren und artikulieren sich die beiden?
Das Publikum ist bislang nicht organisiert. Die Verbraucherschutzverbände nehmen sich Urheberrechtsthemen nur in Ausnahmefällen an. Internet-Nutzerverbände, die mit irgendeiner Repräsentativität sprechen könnten, gibt es nicht. In der kollektiven Rechtewahrnehmung kommt das Publikum nicht vor. Zwar wird unterstellt, dass Nutzer zahlen, aber verhandelt wird darüber zwischen den Verwertungsgesellschaften und Geräteherstellerverbänden usw. Auch für die KWM würde es nicht einfach werden, die Internet-Nutzer dazu zu bewegen, ihre fünf Euro nicht nur aktiv zuzuweisen, sondern auch kulturpolitisch aktiv in der Stiftung zu vertreten.
Urheber und aufführende Künstler sind heute nach Sparten in derzeit 12 Verwertungsgesellschaften organisiert, jeweils zusammen mit ihren Verwertern. Die Musikurheber und Verlage in der GEMA, die Musiker und Labels in der GVL, die Texturheber und Verlage in der VG Wort usw. Außerdem sind Künstler in Kulturverbänden (233 davon bilden den Deutschen Kulturrat) und in der Gewerkschaften ver.di zusammengeschlossen.
Der CCC ist angetreten, dem Übel GEMA etwas entgegenzusetzen. Das ist sein Vorschlag:
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Eine Stiftung. Offenbar nur eine einzige, also ein Monopol. Ob ein gesetzliches oder ein natürliches oder ob es doch Konkurrenz geben soll, wie bei den Musikverwertungsgesellschaften in den USA oder den Intermediären im Blur/Banff-Vorschlag, wird nicht gesagt.
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Die Stiftung soll initial “vom Staat finanziert, aber vollständig unabhängig” sein und “von den Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge” erhalten.59
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Darüber, wie die verschiedenen Sparten in der Stiftung organisiert sind, z.B. in acht Sektionen wie im Kulturrat, erfahren wir nichts, wohl aber einiges über ihre sonstige Binnendifferenzierung:
Funktionen & Organe der Stiftung
1. Entscheidungsgremien & Selbstverwaltung
– Wählerbasis (Künstler und “Teilnehmer”)
– Exekutivgremium
– Schiedsgerichte
– Anwälte
2. Bank
– Betrieb eines Mikrozahlungssystems
– Vermittlung der Transaktionen zwischen Kreativen und Publikum
– Geldverleih gegen Zinsen
3. Werkeverwaltung
– Registrar
– Repositorium
– möglicherweise Bibliothek
4. Technische Infrastruktur
– Softwareentwicklung
– technischer Betrieb
1. Entscheidungsgremien & Selbstverwaltung
“Die Besetzung des Exekutivgremiums der Stiftung sollte hälftig per allgemeiner Wahl unter den Teilnehmern und Künstlern erfolgen, so daß die Interessen beider Seiten adäquat repräsentiert sind. Stimmberechtigt ist, wer mindestens für eine festzulegende Zeit (etwa drei Monate) in das System eingezahlt hat. Wenn die Anzahl der Benutzer um eine signifikante Zahl gestiegen ist, sind Neuwahlen durchzuführen. Eine Besetzung analog der Quotenregelung wie bei den Rundfunkräten hat sich nicht bewährt und ist undemokratisch. Stiftungsposten sollten zeitlich beschränkt werden.”
Die Wählerbasis besteht aus 1. Urhebern und 2. Internet-Nutzer.
1. Teilnehmende Künstler, also die, die ihre Werke im KWM-System angemeldet haben, vermutlich nach Sparten organisiert, da sich in den Tarifverhandlungen die Anforderungen von Games-Entwicklern und Fotografen, Singer-Songwritern und Ölmalern, Choreografen und Übersetzern sehr unterschiedlich darstellen werden. Von den Verwertern heißt es, dass sie im Auftrag der Künstler deren Werke bei der KWM registrieren und andere Aufgaben übernehmen könnten. Mitglieder der Stiftung oder gar abstimmungsberechtigt sind sie offenbar nicht.
Zum Vergleich: Die GEMA ist ein Verein. Ende 2010 waren von insgesamt 64.778 Mitgliedern 3.414 (5,27%) ordentliche, 6.435 (9,93%) außerordentliche und 54.929 (84,8%) angeschlossene Mitglieder (GEMA Geschäftsbericht 2010, S. 34). Ordentliches und damit abstimmungsberechtigtes Mitglied kann man erst nach fünf Jahren außerordentlicher Mitgliedschaft und nach Erreichen eines bestimmten Mindestaufkommens werden. Außerordentliche und angeschlossenen Mitglieder sind durch 34 Delegierte in der Mitgliederversammlung vertreten. Im Geschäftsjahr 2010 erhielten die 5,27% ordentliche Mitglieder 64,23% der gesamten Ausschüttung (ebd. S. 36). Die Verteilung ist als noch deutlich ungleicher als die Pareto-Formel von 80:20, nämlich 80:6,56. Wie die Verteilung bei der KWM aussieht, lässt sich naturgemäß immer erst hinterher sagen. Dazu, was eine adäquate Repräsentation in der Stiftung ist, ob jedes Mitglied eine Stimme hat, oder eine Filmemacherin, die ihre gesamtes Lebenswerk einstellt, größeres Gewicht hat als ein Podcaster mit einem einzigen Beitrag, erfahren wir nichts.
2. “Teilnehmer”, also zahlungspflichtige Breitband-Internet-Nutzer. Warum die allerdings erst mit drei Monaten Verzögerung Stimmrecht bekommen, wenn sie fürderhin eh jeden Monat zahlen müssen, ist mir schleierhaft. Wie es scheint, ist der CCC hier gedanklich von einem verpflichtenden in ein freiwilliges System gerutscht, das er nun für die Anfangsphase vorzieht, wie Constanze Kurz dem DRadio sagte. Auch die Neuwahlen nach einem signifikanten Anstieg der Teilnehmerzahlen deutet darauf. Wenn dem so wäre, fiele aber der garantierte Mindestumsatz und die damit begründete Urheberrechtsänderung weg.
Wie bei allen Mitgliedsorganisationen und Formen von Bürgerbeteiligung muss man davon ausgehen, dass sich die Mehrheit der betroffenen Künstler und Internet-Nutzer nicht aktiv beteiligen wird und sich eine kleine Zahl von “Berufsbürgern” und “Standeskünstlern” herausmendelt, die die Politik und das Alltagsgeschäft der Stiftung bestimmt. Dass Stiftungsposten befristet besetzt werden, versteht sich von selbst, verhindert aber nicht, dass die Führungsriege in Verwertungsgesellschaften immer wieder gewählt wird, oft ein Leben lang und manchmal noch darüber hinaus in die nächste Generation.
Als weitere Organe der Stiftung werden Anwälte genannt, die z.B. “mit den ISPs Verträge über Einzug und Weiterleitung abschließ[en]” und falls diese sich weigern, gegen sie klagen.
Schließlich ist noch von einem Schiedsgericht die Rede. Da das ein Organ der Stiftung sein soll, wird es sich wohl mit Konflikten im Binnenverhältnis befassen. Denkbar ist, dass hier “Plagiatoren und Einreicher fremder Werke” Gehör finden, bevor sie strafrechtlich verfolgt, öffentlich benannt und von der weiteren Teilnahme am System ausgeschlossen werden.
Für Konflikte im Außenverhältnis, z.B. mit einem ISP-Verband in den Verhandlungen über Tarife, muss natürlich eine externe Schiedsstelle gefunden werden. Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz schreibt für Streitfälle, an denen Verwertungsgesellschaften beteiligt sind, die Schiedsstelle bei der Aufsichtsbehörde, dem Patent- und Markenamt, vor. Zu der Frage, ob die KWM-Stiftung eine Verwertungsgesellschaft im Sinne des Gesetzes ist, s.u.
2. Bank
“Der Künstler erhält das Euro-Äquivalent der für ein Werk gezahlten Kulturwertmark in regelmäßigen Abständen ausgezahlt.”
“Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte, aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, die von den Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge erhält (oder alternativ mit den ISPs Verträge über Einzug und Weiterleitung abschließt).
Das Budget der Stiftung soll schmal gehalten und auf die technische Durchführung ausgerichtet sein. Der Verwaltungs-Overhead sollte aus den Zinsgewinnen des Stiftungsvermögens gedeckt werden, so daß eine hundertprozentige Auszahlungsquote der erhobenen Beiträge an die Künstler erreicht wird und keine Transaktionsgebühren erhoben werden müssen. Eine privatwirtschaftliche Lösung ist nicht erstrebenswert, Interessenskonflikte wären hier vorprogramiert, die Auszahlungsquote sänke.
Die Entwicklung der nötigen Software muß als Open Source auf der Basis offener Standards erfolgen und von der Stiftung finanziert werden. Etwa notwendige Patente sind aus dem Stiftungsvermögen anzukaufen. Die Stiftung muß finanziell so ausgestattet werden, daß sie den fortlaufenden Betrieb inklusive aller notwendigen Organe (wie Schiedsgerichte, Softwareentwicklung, technischer Betrieb etc.) aus den Stiftungserträgen bestreiten kann.”
“FAQ: Ist das Micropayment sicher?
Als technische Basis kann das ehemals als DigiCash bekannte, auf sogenannten Blind Signatures beruhende System dienen, dessen Basispatente 2005 ausgelaufen sind. Die Kryptographie für anonymes, kryptographisch gesichertes Micropayment ist hinreichend gut erforscht und bei entsprechender öffentlicher, einsehbarer Umsetzung auch hinreichend sicher zu implementieren. Da die Beträge pro Nutzer sehr klein sind, kann ein entsprechend niederschwelliges, unkompliziertes Verfahren gewählt werden, daß primär gegen massenweise automatische Transaktionsauslösung etwa durch Trojaner gesichert werden muß. Ziel sollte eine auch von anderen Ländern wiederverwendbare Lösung sein, die als öffentlicher Referenzstandard mit freier Software realisiert wird.”
Zu den Bankfunktionen der Stiftung gehören Entwicklung und Betrieb eines Mikrozahlungssystems, die Vermittlung der Transaktionen zwischen Kreativen und Publikum und der Verleih von Geld gegen Zinsen.
1. „Mikrozahlungssystem“
Ich verstehe die Faszination vom Thema Geld und von David Chaums eCash.60 Ich kann mich noch sehr gut an die Aufregung erinnern, die das Mitte der 1990er ausgelöst hat, aber auch an seinen leidvollen Niedergang. Aber wenn das Ziel Freiheit und Vergütung ist, warum wollt Ihr Euch noch dazu das extradicke Brett eines Zahlungssystems an die Backe binden? Meine Befürchtung, dass umgekehrt die Idee eines Zahlungssystems am Anfang stand und Kulturförderung als möglicher Anwendungsfall zweitrangig ist, wurde von Constanze Kurz im Dradio bestätigt.
Wir haben heute PayPal, Kreditkarten, Banküberweisungen, Paysafe, Entropay, Handyrechnung, Amazons CheckOut (Kickstarter verwendet es), Flattr, BitCoin61 und mehrere Dutzend weiterer Online-Zahlungsverfahren. Braucht die Welt wirklich ein neues Zahlungssystem? Und wenn ja, ist das das wichtigste Problem, das wir grad zu lösen haben?
Für das meiste, was das KWM-System machen soll, ist ein eCash-artiges Zahlungssystem nicht einmal erforderlich. Alle Zahler und alle Zahlungsempfänger müssen eh am selben System angemeldet sein. Es reicht also, Bits von einem Konto auf ein anderes zu verschieben, bis aus Mikro- Makrozahlungen geworden sind, wie bei Flattr. Anonymität und Schutz vor Betrug (Versuche, dieselbe eCash-Münze mehrfach auszugeben), auf die hin eCash optimiert ist, sind hier nicht vorrangig. Selbst wenn die Stiftung, wie heute Flattr, weiß, wer wem wieviel Geld zugewiesen hat, darf sie diese Information nach geltendem Datenschutzrecht nur für den Zweck verwenden, zu dem sie erhoben worden ist. Dass die Einhaltung des Datenschutzes ein sine-qua-non einer jeden Tauschlizenz ist, versteht sich von selbst.
2. „Deckung der Verwaltungskosten aus den Zinsgewinnen des Stiftungsvermögens‟
Beim ersten Lesen fand ich das eine interessante Idee. Beim zweiten einen Taschenspielertrick. Es lagert die Kosten für die Transaktion zwischen Urhebern und Publikum aus an die Geldmärkte. Die sind natürlich böse, mit hässlichen Rating-Agenturen, die ganze Nationen und Währungen in den Abgrund treiben, und Zockereien mit Funny Money, die das gleiche mit der ganzen Weltwirtschaft tun. Aber um eine hundertprozentige Auszahlungsquote zu erreichen, kommen sie gerade recht. Die Stiftung oder ihre Repräsentanten sollen also mitzocken. Selbst wenn sie das so konservativ wie möglich tun, kann das natürlich auch mal schief gehen. Dann könnte die Stiftung immer noch an der hundertprozentigen Auszahlungsquote festhalten, aber sie wäre handlungsunfähig. Oder der Staat müsste nachschießen, an den der CCC ja schon die ‘ursprüngliche Akkumulation’ des Stiftungskapitals auslagern will.
Gehen wir, wie Fisher, konservativ von Verwaltungskosten von 20% aus. Die GEMA hat ca. 14%. Ein online-only Modell lässt sich natürlich viel effizienter und kostengünstiger organisieren, aber in der Anfangszeit bedeutet das hohe Entwicklungskosten. 20% von 1,5 Mrd. Euro sind 300 Mio. Euro. Bei 2,5% Zinsen braucht es 12 Mrd. Euro, die der Staat initial in die Stiftung einlegen soll. Zum Vergleich: Im aktuellen Bundeshaushalt entspricht das in etwa dem Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Selbstverständlich können Kreative und Publikum die Kosten ihrer Transaktionen nicht externalisieren. Aber möglicherweise geht’s ja auch anders. Die Fidor Bank AG bietet Peer-to-Peer Banking, das Startnext erlaubt, die Spenden transaktionskostenfrei im vollen Umfang weiterzugeben.
3. Werkeverwaltung
In Bezug auf die Werke fungiert die Stiftung als Registrar und sie betreibt ein Repositorium und möglicherweise eine dauerhafte Bibliothek.
Registrierung
“Jeder Künstler, der am System teilzunehmen wünscht, registriert sein Werk für die Teilnahme.“
“FAQ: Wie funktioniert die Registrierung der Werke?
Der Künstler (oder der von ihm beauftragte Verwerter) reichen in einem Online-Verfahren das Werk zur Registrierung ein. Dabei muß glaubhaft versichert werden, daß das Werk eigenschöpferisch vom Künstler erstellt wurde und er die Urheberrechte besitzt. Das Werk bekommt eine eindeutige Bezeichnung und eine Kulturwertmark-ID, die für die weitere Abrechnung benötigt wird. Von jedem Werk ist bei Einreichung eine digitale Kopie … zu hinterlegen.“
Werkregistrierung ist eine weitere gewaltige Aufgaben der Stiftung in einem Feld, das gerade mächtig in Bewegung geraten ist. Bis 1989, als die USA der Berner Übereinkunft beitraten, war dort die Werkanmeldung beim Copyright Office Voraussetzung für die Erteilung von Urheberrechtsschutz (s. Katalog). Hierzulande melden Urheber ebenso wie ihre Verwerter ihre Werke bei Verwertungsgesellschaften an (z.B. die Datenbanken für Werke und für Tonträger der GEMA). Dann gibt es Nummerierungssysteme wie ISBN, ISRC, DOI usw. Wer über iTunes, Amazon, Magnatune etc. verkaufen möchte, muss auch hier Metadaten im jeweiligen Format liefern. Und jetzt müssen sie ihre Werke also auch noch bei der KWM-Stiftung anmelden.
Trotz alldem gibt es riesige Lücken. Nur 5% des Motown-Katalogs werden noch kommerziell angeboten. Verwaiste Werke lassen sich gar nicht lizenzieren. Das macht Probleme für alle Beteiligten an der Verwertungskette ebenso wie für die an gemeinfreien Werken Interessierten. Das Problem ist nicht eben mal so zu beheben.
Auch Jim Griffin musste feststellen, dass sein Projekt Choruss, eine Insel-Tauschlizenz für US-amerikanische Hochschulen, daran scheiterte, die Besitzer von Rechten ausfindig zu machen. Jetzt konzentriert er sich ganz auf die Entwicklung eines weltweiten Rechteregistrierungssystems als Voraussetzung für jede Form von Pauschallizenzierung. Die US-amerikanische Musikverwertungsgesellschaft SoundExchange hat große Mühen, die Musiker ausfindig zu machen, für deren Aufführungen sie Tantiemen einsammelt. Der auch sonst sehr lesenswerte Hargreaves Report zur Lage des Urheberrechts in England empfiehlt die Einrichtung eines Registrierungssystems, des Digital Copyright Exchange, das als sektorübergreifende Handelsplattform für Rechte ausgelegt sein und das Problem der verwaisten Werke lösen soll. Doch auch das trifft auf Kritik.
Ende 2008 hat eine Initiative von Neelie Kroes, der europäischen Wettbewerbskommissarin, eine Bewegung zu internationalen Musikrechtedatenbanken ausgelöst. Dass eine benötigt wird, darüber sind sich alle Beteiligten einig. Aus Kroes’ europäischem Roundtable ist die Global Repertoire Database, eine Arbeitsgruppe von acht Unternehmen der Musikindustrie hervorgegangen. Auch die WIPO hat sich angeboten, eine International Music Registry zu betreiben.62 Und William Fisher schlug auf der Rethink Music im April vor, dass auch ein Konsortium aus dem Berkman Center, dem Berklee College of Music und anderen akademischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen ein solches Projekt tragen könnten.
Es ist also deutlich geworden, dass Werkregistrierung kein Problem ist, das lokal, immer wieder neu gelöst werden kann („eindeutige Bezeichnung und eine Kulturwertmark-ID“), sondern eine universale Infrastruktur darstellt, die einmal und dann richtig bereitgestellt wird, so dass alle Beteiligten darauf zugreifen können.
Repositorium
“Von jedem Werk ist bei Einreichung eine digitale Kopie bei der Stiftung in einem unverschlüsselten, DRM-freien Format entsprechend den Vorgaben der Satzung zu hinterlegen, um bei Erreichen des Auszahlungsziels einen Übergang in die digitale Allmende ohne Verzug oder Streitigkeiten zu erreichen.”
Die Stiftung soll nicht nur eine Datenbank für Metadaten betreiben, sondern auch ein Repositorium für die Werke selbst oder, im Fall von nichtdigitalen Werken, Reproduktionen. Vorbild scheint hier das Pflichtexemplarsystem der Deutschen Nationalbibliothek zu sein, an die seit 2006 gesetzlich auch Medienwerke auf elektronischen Datenträgern und Netzpublikationen abzuliefern sind. Hier wie bei allen digitalen Archiven stellt sich das Problem der Langzeitarchivierung, das der CCC der Stiftung ebenfalls aufbürden will.
Lautet der gesetzliche Auftrag der Deutschen Nationalbibliothek, das veröffentlichte kulturelle und wissenschaftliche Erbe Deutschlands zu sammeln, für immer zu bewahren und für die Nutzung zugänglich zu machen, so ist der Zweck der Ablieferungspflicht im KWM-System der „Übergang in die digitale Allmende.“ Was genau dabei passiert, wird nicht deutlich. Bietet die Stiftung das Werk dann unter neuer Lizenz auf dem eigenen Server an? Seeded sie es auf dem hauseigenen Tracker? Oder löscht sie das Werk aus dem Repositorium, in der Annahme, dass sie ihren Befreiungsauftrag damit erfüllt hat und nun andere zuständig seien, P2P-Netze, Archive.org, die Deutsche Nationalbibliothek? Kurz: soll die Stiftung ein dauerhaftes Archiv werden oder nur eine Quarantänestation? Die Metadaten zu Werk und Künstler müssen in jedem Fall erhalten bleiben, da auch nach der Befreiung noch Zahlungen eingehen können.
“FAQ: Wer verwaltet und erhält die Werke im Allgemeinbesitz?
Werke im Allgemeinbesitz müssen jederzeit für alle frei in digitaler Form zugänglich sein. Wenn die Deutsche Zentralbibliothek [sic] sich in der Lage sieht, diese Anforderung zu erfüllen, wäre sie sicher eine geeignete Institution. Prinzipiell ist mit dem Übergang in den Allgemeinbesitz eine Verantwortung der Allgemeinheit zum Erhalt und Zugänglichhaltung der Werke verbunden, für die entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden müssen.“
Die Deutsche Nationalbibliothek und die Landesbibliotheken haben, wie gesagt, den gesetzlichen Auftrag, genau das zu tun, und nicht erst, wenn ein Werk gemeinfrei wird, sondern zusammen mit seiner Veröffentlichung.63
Verwertungsgesellschaften
“Wie schlecht letzteres [die Entlohnung der Künstler “durch komplexe Aufteilungsschlüssel”] bisher funktioniert, läßt sich am Beispiel der GEMA betrachten – ein im wesentlichen gescheitertes, verharztes Konzept.”
“… entscheidet eine zentrale Organisation – wie etwa die GEMA – über die Verteilung der Gelder. Diese Entscheidungen stimmen erfahrungsgemäß weder mit den Vorlieben der Zahlungspflichtigen überein noch unterstützen sie eine gesellschaftlich sinnvolle Kulturentwicklung.”
Die Kritik des CCC an den Verwertungsgesellschaften ist ebenso grundlegend wie nichtssagend: „im Wesentlichen gescheitert und verharzt“. Das muss genauer gehen. Denn: 1. Wer nicht sagen kann, was im Einzelnen bei der GEMA und bei den anderen schiefgelaufen ist, läuft Gefahr, die gleichen Fehler in der eigenen neuen Kollektivstruktur zu wiederholen. 2. Werden wir die Verwertungsgesellschaften, so böse sie sein mögen, nicht einfach ignorieren oder abschaffen können. Sie müssen reformiert und ins 21. Jahrhundert gebracht werden.
Die kollektive Rechtewahrnehmung ist fester Bestandteil unserer Urheberrechtslandschaft, und im digitalen Zeitalter wird ihre Bedeutung nur noch zunehmen.64 Angefangen hat alles mit der Erfahrung, dass sich das Aufführungsrecht nicht individuell durchsetzen lässt. 1777 schlossen sich in Frankreich Text- und Musikurheber für das Theater zur ersten Verwertungsgesellschaft zusammen (heute: SACD65). 1851 folgte der erste Zusammenschluss nichtdramatischer Musikurheber und – anders als bei der SACD – auch Verleger, die SACEM.66 Weitere Länder, Werkarten und neue medientechnologisch ermöglichte Nutzungsformen sind hinzugekommen, darunter die mechanische Vervielfältigung und Verbreitung, öffentliche Wiedergabe, Sendung, Filmvorführung, die gesetzliche Vergütung für Privatkopien, das Klingeltonrecht usw., und inzwischen natürlich auch die Werknutzung im Internet als Streams und Downloads.67
Und auch bei vielen aktuell anstehenden Herausforderungen, wie vergriffenen und verwaisten Werken, die Google Books auf die Tagesordnung gesetzt hat, und der in der WIPO verhandelten Blindenschranke, ist klar, dass die Lösung nur eine kollektive sein kann.
Hinzu kommt, dass, wie Reto Hilty bereits betont hat, gesetzliche Vergütungen im Wesentlichen an die Kreativen gehen und nicht an die Verwerter. Wie er, stellten auch Kretschmer/Hardwick empirisch fest, dass kollektive Rechtewahrnehmung oft die einzige Quelle ist, aus der Kreative Einnahmen erzielen. Für Musikurheber und Musiker zeigt sich außerdem, dass die steigenden kollektiven Einnahmen den Rückgang von CD-Absätzen ausgleichen.68
Eine Abschaffung der Verwertungsgesellschaften ist also weder praktisch vorstellbar, noch im Interesse der Urheber wünschenswert.
Gleichzeitig haben Verwertungsgesellschaften, insbesondere diejenigen, die für Musikrechte zuständig sind, eine miserablen Ruf, nicht nur bei den zahlungspflichtigen Werknutzern, sondern auch bei ihren Mitgliedern (Klagen über andere wie die VG Wort und die VG Bild-Kunst hört man in der öffentlichen Debatte kaum). Die jüngsten Verhaftungen der Führungsriege der spanischen Musikverwertungsgesellschaft SGAE unter dem Vorwurf von Betrug, Steuerhinterziehung und Veruntreuung bestätigen wieder einmal die schlimmsten Befürchtungen.69
Intransparenz, eine zumindest fragwürdige Auffassung von interner Demokratie, eine Bevorteilung der ohnehin schon einnahmenstärksten Mitglieder, Ineffizienzen wie Meldebögen, die händisch ausgefüllt werden müssen, Unflexibilitäten wie Musiker, die dafür, dass sie ihre eigene Musik auf ihrer eigenen Site kostenlos anbieten, Vergütung bezahlen müssen, die sie dann zurückerhalten, nach vielen Monaten und Abzug der Verwaltungskosten… die Liste der Kritikpunkte ist lang. Auf europäischer Ebene haben sich Musiker und DJs in Younison organisiert, um auf Besserung zu drängen.
Auch mit der Privatekopievergütung, eine Inspirationsquelle für die Tauschlizenz, sieht es in der Praxis lange nicht so gut aus wie in der Theorie. In der ersten unabhängigen Studie der Privatekopievergütungsysteme in Europa stellte Martin Kretschmer dramatische Unterschiede fest. In 22 von 27 Mitgliedsländern gibt es sie.70 Auch wenn seit 2001 ein europarechtlicher Rahmen besteht, unterscheiden sich Umfang der Erlaubnis,71 mit der Vergütung belastete Geräte und Dienste, Entstehen und Höhe der Tarife72 und Ausschüttung an die Urheber so erheblich, dass man keinerlei Systematik, sondern nur Willkür erkennen kann. Er führt Hinweise an, dass die Privatekopievergütung zwar einen relevanten Teil der Einnahmen der VGs ausmachen, bei den Urhebern aber kaum etwas ankomme. Kretschmers Fazit: Das System als Ganzes sei “zutiefst irrational”. Ein weiteres Auseinanderklaffen stellte er fest zwischen dem, was die jeweiligen Privatkopieregelungen erlauben, und dem, was Verbraucher gewöhnlicherweise als private Aktivitäten verstehen, wie Filesharing und Remixen. Die Lösung, die er vorschlägt, kennen wir bereits: eine vergütete gesetzliche Lizenz.
Die ganz-oder-gar-nicht-Regel bei den Musik-Verwertungsgesellschaften ist eine weitere Quelle für Streit. Wer Mitglied wird, muss sämtliche, auch ererbte, kollektiv wahrgenommenen Rechte übertragen. Einzelne Songs oder Rechte anders, z.B. unter Creative Commons zu lizenzieren, untersagen fast alle Musik-VGs ihren Mitgliedern.73 Die anderen VGs haben damit keine Probleme.
Auch für die KWM wird zu klären sein, wie sich eine Werkanmeldung bei der Stiftung zum Alleinvertretungsanspruch der GEMA verhält. Wie heute Musikautoren wählen müssen zwischen GEMA-Mitgliedschaft und CC-Lizenzierung, so dann auch zwischen GEMA und KWM?
Das hängt davon ab, ob an die KWM-Stiftung Rechte übertragen werden. Auf den ersten Blick geht es nur um Metadaten und Bankkonto, die den Empfang von Spenden und Kaufzahlungen ermöglichen. Bis auf die Zahlungsabwicklung finden die eigentlichen Transaktionen außerhalb des KWM-Systems statt. Auch beim Kauf eines Downloads mit KWM kommt die Nutzungslizenz nicht von der Stiftung, sondern vom jeweiligen Anbieter.
Schwieriger wird es im Konfliktfall. Wenn ein ISP nicht zahlt, wer kann ihn verklagen? Nur individuelle Urheber im eigenen Namen oder die Stiftung, die die ihr übertragenen Rechte wahrnimmt? Auch bei Wechselseitigkeitsverträgen mit ähnlichen Stiftungen in anderen Ländern stellt sich die Frage, kann die Stiftung die Rechte an allen angemeldeten Werken Dritten gegenüber vertreten oder verbleiben sie vollumfänglich bei der Urheberin, die z.B. per Opt-In einer jeden Gesamtvereinbarung zustimmen muss?
Und richtig schwierig wird es bei der schwellengebundenen CC-Lizenzierung. Da eine Einwilligung, mit den angemeldeten Werken so zu verfahren, Voraussetzung für eine Teilnahme ist, sind GEMA-Mitglieder ausgeschlossen. Ist für die Freilizenzierung eine Rechteübertragung an die Stiftung notwendig? Wahrscheinlich ließe sich ein Lizenzvertrag der Autorin mit jedermann denken, dessen Inkrafttreten an bestimmte Bedingungen geknüpft wird. Diesen hinterlegt sie zusammen mit dem Pflichtexemplar ihres Werkes bei der Stiftung. Sobald die Bedingungen erfüllt sind, wird die CC-Allmende-Lizenz gültig und die Stiftung kann mit der Verbreitung beginnen. Die Rechte blieben bis zur Freilizenzierung vollständig bei der Autorin.
Daran schließt sich die Frage an: Ist die KWM-Stiftung selber eine Verwertungsgesellschaft? Im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz heißt es dazu:
“Wer Nutzungsrechte, Einwilligungsrechte oder Vergütungsansprüche, die sich aus dem Urheberrechtsgesetz … ergeben, für Rechnung mehrerer Urheber oder Inhaber verwandter Schutzrechte zur gemeinsamen Auswertung wahrnimmt, bedarf dazu der Erlaubnis, gleichviel, ob die Wahrnehmung in eigenem oder fremdem Namen erfolgt. … Übt eine juristische Person oder eine Personengemeinschaft die in Absatz 1 bezeichnete Tätigkeit aus, so ist sie Verwertungsgesellschaft im Sinne dieses Gesetzes.” (§ 1 UrhWahrnG)
Ohne Frage nimmt die Stiftung die Vergütungsansprüche aus der gesetzlichen Tauschlizenz gegenüber den Internet-Nutzern für Rechnung der registrierten Urheber und ausübenden Künstler wahr. Da sie, sagen wir, etwas unorthodox mit dem eingesammelten Geld verfährt, könnte man argumentieren, dass sie zwar einerseits den Anspruch auf Vergütungszahlung organisiert, andererseits den Anspruch auf Erhalt einer angemessenen Vergütung aber gar nicht erst formuliert. Mit sehr viel gutem Willen könnte man also sagen, die KWM-Stiftung stellt nur die Infrastruktur bereit, die es Internet-Nutzern erlaubt ihrer gesetzlichen Verpflichtung gegenüber Urhebern ihrer Wahl nachzukommen. Damit wäre sie ein Zahlungsdienstleister und keine Verwertungsgesellschaft. Ich gehe aber davon aus, dass es in der Frage größere Interpretationskonflikte geben wird.
Der CCC skandalisiert die “zentralen Organisation” GEMA. Eine solche ist die Stiftung natürlich auch. Sie entscheidet zwar nicht über die Verteilung der Gelder, wohl aber über deren allgemeine Rahmenbedingungen (maximal 20% für Pop, generelle Kappungsgrenzen usw.). Daran schließt eine überaus interessante Frage an: Wenn eine der wesentlichen sozialen Innovationen der digitalen Revolution Peer-to-Peer-Strukturen sind, wenn P2P-Filesharing Auslöser für unser Regulierungsprojekt ist, müsste dann unsere Lösung nicht auch peer-to-peer sein? So dezentral und verteilt wie möglich, volldigital und online natürlich, gestützt auf freie Software, offene Formate, und offene APIs.
Können wir eine radikalere Antwort erdenken als die verharzte GEMA und die altbackene KWM-Stiftung? Eine Antwort auf die Frage nach der Kollektivität, die den Netzstrukturen, dem Federated Social Web, den Multituden besser angemessen ist?
Die bislang am weitesten gehende Alternative wird in der CC-Welt angedacht. Eine Initiative ist die Creative Commons Collecting Society (C3S). Sie soll kollektiv die kommerziellen Nutzungen von CC-NC-lizenzierten Werken wahrnehmen und für Aufgabenerfüllung und Teilhabe der Mitglieder weitgehend elektronisch organisiert sein (s. Folien a2n, September 2010). Ziel ist es, eine Alternative zur GEMA zu schaffen.
Sind die realexistierenden Verwertungsgesellschaften Teil des Problems oder Teil der Lösung? So lässt sich die Frage, wie gesagt, nicht stellen. Wir brauchen Verwertungsgesellschaften. Als Nutzer brauchen wir sie, weil sie Freiheiten wie Privatkopie und Tauschlizenz sichern. Als Urheber brauchen wir sie, weil sie uns Einnahmen sichern. Ebenso sicher müssen – in einem revolutionären Umbruch, bei dem ohnehin kein Stein der Kulturlandschaft auf dem anderen bleibt – auch die Verwertungsgesellschaften andere werden.
Da die GEMA ein Verein sei, könne sie von wenigen dominiert werden, sagte Tim Renner auf Netz.Macht.Kultur. “Die GEMA ist ohne politische Intervention nicht reformierbar”, zitierte er weiter ein ungenanntes GEMA-Vorstandsmitglied im privaten Gespräch. Auch in dieser Einschätzung sind sich alle Beteiligten einig, von Mitgliedern und Musiknutzern über die GEMA-Führung selbst bis hin zur EU-Kommission. Diese hat 2004 mit ihrer Intervention begonnen. Den größten Handlungsbedarf sah die Kommission in Bezug auf eine binnenmarktweite Online-Lizenzierung von Musik. 2005 gab es eine Studie zur grenzüberschreitenden kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten in Europa, ein Folgenabschätzungsuntersuchung und schließlich eine Empfehlung der Kommission. Parallel dazu fanden Konsultationen zur Privatkopievergütung statt und eine nicht verabschiedete Empfehlung von 2006. Mit “Soft Law” wie der Empfehlung von 2005 ist es offensichtlich nicht getan. Eine umfassende Rahmenrichtlinie zur kollektiven Rechtewahrnehmung ist angekündigt, zuerst für 2010, dann 2011 und nun in einer Mitteilung der EU-Kommission vom Mai 2011 für 2012. Der langwierige Prozess deutet auf eine konfliktöse Lage.
Diese Debatte über eine europarechtliche Neuordnung der Verwertungsgesellschaften findet weitgehend unterhalb des Radars derjenigen statt, die am unmittelbarsten betroffen sind, der Verbraucher, die bezahlen müssen, und der Urheber, die diese Zahlungen bekommen sollen. Wenn wir die VGs weder abschaffen noch ignorieren können, müssen wir uns an dieser Intervention beteiligen. Das braucht eine gründliche, kritische Auseinandersetzung mit dem, was schiefgelaufen ist, seit 1777 eine gute Idee in die Welt kam, und dem was man im Digitalzeitalter besser machen kann. Aufgrund der Komplexität der Materie bedarf das in der Tat einiger Arbeit. Die Entwicklung von alternativen Modellen wie die C3S, die KWM-Stiftung und P2P-Ansätze sind hilfreich, um die Denkmöglichkeiten zu erweitern. Die historische Chance, in das “verharzte” Modell der Verwertungsgesellschaften zu intervenieren ist jetzt.
Die Kultur-Flatrate
“Ein Vorschlag, der immer wieder diskutiert wird, ist die sogenannte Kulturflatrate. Die – vielfach abgewandelte – Idee ist, daß jeder Netznutzer monatlich einen festen Beitrag zahlt und dafür alles an digitalen Werken aus dem Netz ziehen kann, was ihm vor den Mauszeiger kommt. Die Künstler sollen dann entweder auf der Basis der (irgendwie) ermittelten Downloadzahlen und/ oder durch komplexe Aufteilungsschlüssel entlohnt werden. Wie schlecht letzteres bisher funktioniert, läßt sich am Beispiel der GEMA betrachten – ein im wesentlichen gescheitertes, verharztes Konzept. Die Alternative – eine Komplettüberwachung des Netzes, um korrekte Downloadzahlen für die Kulturflatrate zu ermitteln – ist ebenso keinesfalls erstrebenswert.”
“Was ist denn daran besser als eine Kulturflatrate?
Bei einer Kulturflatrate entscheidet eine zentrale Organisation – wie etwa die GEMA – über die Verteilung der Gelder. Diese Entscheidungen stimmen erfahrungsgemäß weder mit den Vorlieben der Zahlungspflichtigen überein noch unterstützen sie eine gesellschaftlich sinnvolle Kulturentwicklung. Die Alternative – eine Komplettüberwachung des Netzes zur Downloadzahlenermittlung – ist noch weniger wünschenswert.”
Dass jeder Netznutzer monatlich einen festen Beitrag zahlt, ist auch bei der KWM so. Die damit einhergehende Urheberrechtsänderung legalisiert Up- und Downloads. Wie die Downloadzahlen ermittelt werden können, ist bereits ausgeführt worden. Dass der CCC textbausteinartig behauptet, dafür sei eine „Komplettüberwachung des Netzes“ notwendig, ist unverständlich. Zumal er zusammen mit privatkopie.net und anderen Organisationen öffentliche Stellungnahmen zur Kulturflatrate mitgetragen hat (2004 und 2006).
Vergleich Kulturwertmark und Tauschlizenz
Wie wir gesehen haben, unterscheiden sich die beiden Modelle nur in zwei Punkten: beim Auszahlungsverfahren und bei der lizenzvertraglichen Gewährung von Nutzungsfreiheiten. Hier im Überblick:
Tauschlizenz |
Kulturwertmark |
Einzahlen |
|
€5,-/Monat auf private Breitband-Internet-Zugänge |
ebenso |
Gesamtbetrag: € 1,5 Mrd./Jahr |
ebenso |
Werke |
|
freiwillige Registrierung |
ebenso |
Auszahlung |
|
1. im Verhältnis zur gemessenen Popularität |
– |
2. durch Kuratorium |
– |
3. durch eine Flattr-artige willkürliche Nutzerentscheidung |
Ebenso, aber ausschließlich |
Rechte |
|
Gesetz: nichtkommerzielles privates Tauschen und Remixen legal |
ebenso |
– |
Gesetz: Verkürzung der Schutzfrist |
– |
Lizenz: Freilizenzierung nach Erreichen von geldlicher oder zeitlicher Schwelle |
– |
Lizenz: Verkürzung der Schutzfrist |
Verwaltung |
|
Reformierte Verwertungsgesellschaften |
eine verwertungsgesellschaftsartige Stiftung |
Akzeptanz
“FAQ: Ist das nicht das Gleiche wie Flattr?
Und nicht zuletzt: In Deutschland hat sich Flattr als am erfolgreichsten erwiesen, es gibt hier offenbar viel Akzeptanz für derartige Modelle.”
In der Tat fällt die große Verbreitung des schwedischen Flattr in Deutschland auf. Auch die Zahl der P2P-Finanzierungsplattformen in diesem Land springt ins Auge. Offenbar gibt es im Gegensatz zur immer wieder behaupteten “Umsonstmentalität” hierzulande eine ausgeprägte Bereitschaft für kreative Werke zu zahlen.
Die Studie “Digitale Mentalitäten”, vom Institut für Strategieentwicklung (IFSE) an der Universität Witten-Herdecke Ende 2010 vorgelegt, ergab, dass fast 50% der intensiven Internet-Nutzer bereit sind eine Kultur-Flatrate zu bezahlen. Eine im Februar 2009 veröffentlichten Umfrage der schwedischen Musikverwertungsgesellschaft STIM hatte ergeben, dass 86,2% der dort befragten Internet-Nutzer eine monatliche Pauschale für die Erlaubnis zum Filesharen zahlen würden.74 In der Untersuchung „Music Experience and Behaviour in Young People“ der University of Hertfordshire sprachen sich, auf jeweils etwas unterschiedlich formulierte Fragen, 80% (200875) und 85% (2009) für eine Pauschale für unbegrenztes Tauschen aus.
Wenn schließlich die Intuition von James Love und vom CCC richtig ist, wird die Nutzerakzeptanz noch weiter steigen, wenn sie einen Teil ihrer Pflichtzahlungen willkürlich zuweisen können.
Der Name
Mit dem Namen „Kulturwertmark“ war der CCC bereits kurz nach der Veröffentlichung nicht mehr glücklich. Zu den neuen Vorschlägen gehören „HuldigungsGulden“ und „Culture Crowd Coins“. Was sind weitere Optionen?
Alternative Compensation System / Alternative Vergütungssysteme – Fishers ursprüngliche Bezeichnung meinte ein ganzes Spektrum von Einkommensteuer bis Entertainment-Kooperative. „Kompensation“ meint eine Entschädigung für einen entstandenen Schaden. Der ist aber empirisch schwierig nachzuweisen. „Alternativ“ sagt unspezifisch nur, dass es anders sein soll, als das, was wir heute haben.
Content-Flatrate / Kultur-Flatrate – Pauschalen wie Monatskarte, Pauschalreisen, All-you-can-eat-Restaurants genießen eine gewisse Popularität. Eindeutig positiv besetzt ist die Pauschale für Telekommunikation. Wer einmal eine Internet-Flatrate erlebt hat, will nicht mehr zur nutzungsabhängigen Abrechnung zurück. In der Folgezeit ist das Konzept derart populär geworden, dass es fast überall auftauchte, bei Umzügen, Auto- und Polstermöbelfinanzierung,76 Drucker-Verbrauchsmaterial bis hin zu Flatrate-Saufen und Flatrate-Bordellen. „Content“ oder „Inhalt“ ist die Perspektive derer, die Konservendosen verkaufen oder Röhren vermieten. Urheber sehen es als Affront, wenn ihre Werke als „Content“ bezeichnet werden. Deshalb erfolgte der Wechsel zu „Kultur-Flatrate“.
Licence globale – Die Bezeichnung wählte die französische Alliance Public Artistes für ihr Modell. Sie betont die Lizenz oder Erlaubnis, aber versieht sie mit einem unspezifischen Attribut („global“).
Tauschlizenz (licença de compartilhamento, Sharing Licence) – Den Begriff hat Pena Schmidt (Produzent der großen brasilianischen Rock-Bands der 1980er, Gründer und erster Präsident der Indie-Label-Vereinigung Associação Brasileira da Música Independente (ABMI) und aktuell Direktor des Auditório Ibirapuera in Sao Paulo) im Rahmen der Kultur-Flatrate-Diskussion in Brasilien geprägt. Während die meisten anderen Namen von einer Geldzahlung ausgehen (Kompensation, Vergütung, Flatrate, Mark, Coin) und sie mit einem Attribut versehen (alternativ, Content, Kultur), hebt “Tauschlizenz” die Erlaubnis hervor und benennt, was erlaubt werden soll: das Tauschen von urheberrechtlich geschützten Werken. Daher scheint mir dieser Name der bislang beste Vorschlag zu sein.
Vorschlag zum Besseren – ein Pilotprojekt
„Treten wir kurz einen Schritt zurück und überlegen, welche grundsätzlichen Anforderungen ein zukünftiges Vergütungsmodell erfüllen soll.‟
„Von Flattr läßt sich aber viel über akzeptierte und genutzte Formen des Ausgebens von Kulturwertmark lernen.‟
„Where the hand of man never set foot.‟ (James Joyce via Marshall McLuhan)
In mehr als zehn Jahren Diskussion über die Legalisierung von Filesharing ist eine Fülle von Literatur entstanden, es hat eine Reihe von Gesetzesinitiativen gegeben (in Frankreich, Italien und Belgien) und verschiedene Versuche, Pilotprojekte auf den Weg zu bringen (auf der Isle of Man, von Fishers Noank in China und Hongkong,77 an der Berkeley Universität). Praktisch erprobt wurde eine Tauschlizenz bislang noch kein einziges Mal. Dafür ist es höchste Zeit, und mit dem neuen Impuls, den der CCC in die deutsche Debatte gebracht hat, ist die Zeit reif.
Also ein Pilotprojekt. Ein Proof-of-concept, das alle haarigen Fragen von Gesetzesänderung, Zahlungsverpflichtungen, Skalierbarkeit und globaler Anschlussfähigkeit ausklammert und allseits freiwillig ist. Ziel ist es vor allem, die zentralen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit zu überprüfen. Darin unterscheiden sich Kulturwertmark und Tauschlizenz. Drei Modelle sind vorgeschlagen. Alle drei sollen erprobt werden. Dazu werden die Beteiligten über die konzeptionellen und praktischen Fragen der Umsetzung ins Gespräch gebracht, vorhandene Technologie getestet und, wo nötig, neue entwickelt und Abläufe implementiert, an denen sich Erfahrungen gewinnen lassen über Nutzungsverhalten und Resultate, über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen und über Problemfelder, in denen weitere Arbeit erforderlich ist.
Es geht um einen Machbarkeitsnachweis mit eingebauter Lernerfahrung, das der Internet-Philosophie von “rough consensus and running code”78 folgt. Natürlich muss genau definieren werden, was die Konzepte sind, die geprüft werden sollen und unter welchen Bedingungen die Prüfung bestanden wurde. Nach einer Projektlaufzeit von vielleicht drei oder vier Monaten gibt ein Abschlussbericht Empfehlungen für das weitere Vorgehen.
Im Zentrum stehen natürlich auch hier die beiden Kollektive Urheber und Publikum. Auf Seiten der Kreativen bin ich zuversichtlich, dass wir Musiker, Filmemacher, Autoren, Game-Designer, Verlage und Labels und vielleicht auch Verbände gewinnen können, die sich beteiligen. Sie stellen für den begrenzten Zeitraum drei Dinge zur Verfügung: 1. Metadaten, idealerweise mit Audio- und Video-Fingerprints, die eine Identifizierung der Werke und eine Zuordnung der Transaktionen erlauben. 2. Eine Kontonummer der jeweiligen Urheber und Künstler. 3. Eine rechtsverbindliche Zusage nicht zu klagen,79 also keine Rechteübertragung, keine Lizenz. Filesharing bleibt so illegal als wie zuvor. Die beteiligten Urheber erklären lediglich einen befristeten Waffenstillstand. Da diejenigen, die wir für eine Teilnahme gewinnen können, sehr wahrscheinlich eh keine Abmahnunternehmen beschäftigen, wäre es eine symbolische, als solche allerdings sehr wichtige Geste.
Zu verlieren haben diese Urheber nichts. Wir gehen davon aus, das ihre Werke eh frei zirkulieren und sich daran durch das Pilotprojekt auch nichts Wesentliches ändern wird. Zu gewinnen hätten sie einiges. Nicht primär das Geld, das sie aus dem Pilotprojekt bekommen werden, das sehr wahrscheinlich auch ehr von symbolischem Ausmaß sein wird. Sondern Erkenntnisse darüber, ob eine Tauschlizenz der richtige Weg sein kann.
Auf Seiten des Publikums bieten sich ebenfalls die üblichen Verdächtigen an (Verbraucherverbände, CCC, Digitale Gesellschaft usw.). Unter den freiwillig Einzahlenden werden sich sicher ebenfalls Einzelne finden, die sich aktiv an der Konzipierung und Durchführung des Projekts beteiligen. Auch sie haben nichts zu verlieren, außer die Repression, und einiges zu gewinnen, nämlich die Freiheit, das zu tun, was sie ohnehin tun. Da die fünf Euro freiwillig gezahlt werden, können sie nicht als Verlust wahrgenommen werden, sondern, wie der Eintritt für ein gutes Konzert, als ein fairer Beitrag.
Für die Einzahlung der fünf Euro reicht ein schlichtes Bankkonto, auf das das Geld per Überweisung, Bareinzahlung, Kreditkarte, Paypal etc. eingehen kann. Die Etablierung einer Chaumschen Kryptowährung ginge weit über die Möglichkeiten eines solchen Pilotprojekts hinaus und ist auch gar nicht erforderlich.
Ziel des Projekts ist es, ein Betriebssystem für die Tauschlizenz zusammenzuhacken, mit, wie könnte es anders sein, sieben Schichten. Arbeitsgruppen beschäftigen sich, in Auseinandersetzung mit bestehenden Systemen und aktuellen Initiativen (GRD, C3S usw.), mit:
7. Willkürliche Zuweisung: Hier würde sich eine Kooperation mit Flattr anbieten, möglicherweise mit einer Markierung, die erkennen lässt, dass es sich um eine Transaktion im Rahmen des Pilotprojektes handelt. |
6. Kuratorien: welche Modelle (von Experten bis zu den Förderempfängern selbst) haben sich bislang bewährt? Wie kann P2P-Kulturförderung aussehen? |
5. Popularitätsmessung: Entwicklung von Plugins für Firefox, Miro, Vuze, Mixd.tv usw. Möglicherweise kann auch Technologie von Noank oder aus der P2P-Forschung recycelt werden. |
4. Registrierung und Erkennung von Werken. |
3. Kollektive Organisationsformen, Meinungsbildung und Entscheidungsfindung: Verwertungsgesellschaft 2.0 – volldigital, so peer-to-peer wie möglich, offen, demokratisch unter öffentlicher Aufsicht. |
2. Datenschutz und Betrugsverhinderung. |
1. Konzeptionelle Fragen, z.B.: Nach welchen Kriterien und Verfahren wird die Höhe der Pauschalvergütung bestimmt? Wie lässt sich Verteilungsgerechtigkeit außer in den drei zu überprüfenden Modi noch herstellen (Preise, Lotterie etc.)? Wie sind grundlegende Grenzziehungen zwischen kommerziell und nichtkommerziell, privat und öffentlich neu zu bestimmen? An wen wird die Vergütung ausgeschüttet, nur an Urheber und aufführende Künstler oder auch an Verwerter? |
Um einen optimalen Erkenntnisgewinn zu sichern, soll unabhängige Begleitforschung das Pilotprojekt unter die Lupe nehmen.80 Außerdem soll, auch wenn ihre Beteiligung für das Pilotprojekt nicht entscheidend ist, im Hinblick auf eine mögliche Implementierung des besten Modells das Gespräch gesucht werden mit Juristen, ISPs, Politikern, Medienwissenschaftlern und anderen.
Zehn Jahre Ideen warten darauf, in der Praxis erprobt zu werden. Am Ende werden wir weder die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest beantwortet noch die Welt gerettet haben, aber im Idealfall einen Weg aufgezeigt haben, um die Welt zu einer besseren zu machen für Urheber und Publikum. In jedem Fall werden wir alle klüger sein.
Wie wär’s?
·~~~·
Fußnoten
*Dank an Wetterfrosch, Felix Stalder, Frank Rieger und Jürgen Becker für wichtige Anmerkungen und an die Teilnehmer des Seminars “FAQ Kultur-Flatrates” im Sommersemester 2011 am Institut für Medienwissenschaften der Universität Paderborn für wertvolle Diskussionen.
1J. Reynolds and J. Postel, Request For Comments reference guide, Request for Comments: 1000, August 1987, https://datatracker.ietf.org/doc/rfc1000/?include_text=1, in there: The Origins of RFCs – by Stephen D. Crocker: “I spent a sleepless night composing humble words for our notes. The basic ground rules were that anyone could say anything and that nothing was official. And to emphasize the point, I labeled the notes ‘Request for Comments.'”
2“If ‘piracy’ means using the creative property of others without their permission – if ‘if value, then right’ is true – then the history of the content industry is a history of piracy. Every important sector of ‘big media’ today – film, records, radio, and cable TV – was born of a kind of piracy so defined. The consistent story is how last generation’s pirates join this generation’s country club – until now.” (Lawrence Lessig, Free Culture, 2004: 53). Ein aktuelles Beispiel für Lessigs Gesetz: Das gleiche estländische Team, das der Welt KaZaA (März 2001) brachte, schuf danach Skype (September 2003), das im Mai 2011 für 8,5 Milliarden Dollar von Microsoft gekauft wurde. Von Pirat zu Innovator zu Commodity.
3Der Begriff “semiotische Demokratie” ist von John Fiske im Zusammenhang mit dem TV geprägt worden (Television Culture, 1987, S. 236-239). Bei Fisher meint er den Effekt des Internet, die Öffentlichkeit aktiv an der Konstruktion ihrer kulturellen Umwelt zu beteiligen (Promises to Keep, Chapter 6: An Alternative Compensation System, 2004. S. 241 in der Druckfassung)
Schon 2000 schreibt er: “5. Semiotic democracy. In most modern capitalist countries, the power to make meaning, to shape culture, has been concentrated in relatively few hands. One of the great cultural benefits of the Internet in general lies in its tendency to decentralize this semiotic power. In two respects, Internet distribution of digital music would contribute to that decentalization. The first, already mentioned, consists of the expansion of the set of musicians who can reach wide audiences and the associated diminution of the cultural power of the ‘big five’ record companies. The second consists of the ease with which ‘consumers’ of digital music can manipulate it, recombine pieces of it, blend it with their own material – in short, can become producers.” (William Fisher, Digital Music: Problems and Possibilities, 10 October 2000)
Siehe auch: “One of the main aspirations of the new regime is to foster semiotic democracy and more broadly to free consumers and artists to reproduce, modify, and redistribute recordings. Permitting copyright owners to impose partial restraints on their creations would limit our achievement of that end.” (Fisher, Promises to Keep, Chapter 6: An Alternative Compensation System, 2004, S. 247 in der Druckfassung.)
4Aus dem angloamerikanischen Raum kennt man Kampagnen wie Home Taping Is Killing Music.
5In der deutschen Urheberrechtsreform von 1965. Zur Entstehung und Ausbreitung der Privatkopieschranke siehe Bernt Hugenholtz, Lucie Guibault und Sjoerd van Geffen, The Future of Levies in a Digital Environment.Final Report, March 2003, S. 11 ff.
6Z.B.: Die GEMA verlangt von Händlern, dass sie die Personalausweisdaten der Käufer von Tonbandgeräten aufnehmen und an die GEMA weitergeben, die dann zur Haustür kommt und einen Musiknutzungsvertrag abschließt. Kein Witz, haben sie damals tatsächlich versucht, hoch bis zum BGH, der 1964 entschied, dass dies gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Privatsphäre verstoße (BGH, 29. Mai 1964 – Aktz. : Ib ZR 4/63 (Personalausweise), in GRUR 02/1965, p. 104).
7“Blanket licensing”, z.B. Nokias Comes with Music (gestartet im Oktober 2008 in UK, in den meisten Ländern eingestellt im Januar 2001), die Pauschalangebote der ISPs Neuf Cegetel in Frankreich oder TDC in Dänemark usw.
8“Publishers typically propose to use the money to ‘compensate’ the ‘rights holders’ – two bad ideas together. ‘Rights holders’ is a disguised way of directing the money mainly to publishers rather than artists. As for ‘compensate,’ that concept is inappropriate, because it means to pay someone for doing a job, or to make up for taking something away from him. Neither of those descriptions applies to the practice of file sharing, since listeners and viewers have not hired publishers or artists to do a job, and sharing more copies does not take anything from them. (When they claim to be harmed, it is by comparison with their dreams.) Publishers use the term ‘compensate’ to pressure others to view the issue their way. There is no need to ‘compensate’ anyone for citizens’ file sharing, but supporting artists is useful for the arts and for society.” Richard Stallman, Open Letter to President Dilma Rousseff on the Internet Sharing License in Brazil, 8.12.2010)
9Z.B. in England, den Niederlanden, Italien und Deutschland.
10Den zu etablieren ziemlich schwierig ist, vgl. Grassmuck, Academic Studies on the Effect of File-Sharing on the Recorded Music Industry: A Literature Review, SSRN, April 2011.
11Also weder Schöpfungen von Unternehmen oder anderen “juristischen Personen”, noch reine Fleißarbeiten.
12Möglicherweise werden sich Antworten praktisch ausmendeln, z.B. wenn das Ausfüllen des Meldeformulars länger dauert als das Schreiben eines Tweets.
13Mit lokalen Variationen in den Details, Copyright Law, droit d’auteur etc.
14Noch offensichtlicher ist der Deal im Patentrecht, wo der Schutz an die Bedingung der Offenlegung gebunden ist.
15Im Fazit der Einleitung wird der “berechtigte Anspruch des Künstlers auf angemessene Entlohnung”, der mit dem berechtigten Anspruch der Allgemeinheit auf Zugang auszugleichen sei, zwar noch einmal benannt, aber nicht begründet. Und unter den geforderten Änderungen im Urheberrecht ist von einem “angemessenen Ausgleich zwischen Autoren- und Rezipientenrechten” die Rede.
16“Data on the supply of new works are consistent with our argument that file sharing did not discourage authors and publishers. The publication of new books rose by 66% over the 2002-2007 period. Since 2000, the annual release of new music albums has more than doubled, and worldwide feature film production is up by more than 30% since 2003.” (Felix Oberholzer-Gee und Koleman Strumpf, File-Sharing and Copyright, 12 January 2010)
17Ende der 1970er gab es einen Umsatzeinbruch beim Verkauf von Tonträgern. Peter Tschmuck führt ihn auf die durch den zweiten Ölpreisschock ausgelöste generelle Rezession, die Konkurrenz durch andere Medien und die Vervielfachung der musikalischen Marktsegmente seit den 1960ern zurück. Die Vielfalt und damit das Schrumpfen der Profite in jedem einzelnen Segment wurde durch die Indie-Labels in den 1970ern weiter vorangetrieben. Die Majors reagierten, indem sie die Zahl der unter Vertrag genommenen Künstler stark reduzierten und sich ganz auf Superstars wie Michael Jackson, Prince, Madonna, Elton John, George Michael etc. konzentrierten. Die Einführung der CD 1982 führte zwar zu einem neuen Umsatz-Boom, die Majors hielten jedoch an ihrer Strategie der stark reduzierten kulturellen Vielfalt fest (Peter Tschmuck, Die Rezession in der Musikindustrie – eine Ursachenanalyse, 25.6.2009).
19Beispiel: Liberation poll for The Good, the Bad and the Ugly: 5 € für nichtkommerzielles Kopieren und Distribuieren, 10 € wenn Remix-Freiheit dazu kommen soll und 20 € wenn auch kommerzielle Nutzung erlaubt sein soll.
20Siehe auch den Schwerpunkt Freiwilliges Bezahlen in der taz.
Ein Einwand, der regelmäßig kommt, so z.B. Castendijk auf Netz.Macht.Kultur: So ließe sich ein Film wie “Avatar” nicht finanzieren. Antwort: Warum eigentlich nicht? Die Produktion von “Avatar” hat offiziell 237 Millionen US$ gekostet. Bezahlt, und zwar bereits in den ersten fünf Tage nach Kinostart weltweit, haben den Film die Zuschauer und zwar nachdem er fertiggestellt und vermarktet wurde. Die gleiche Erwartungsbegeisterung, die Millionen von Menschen in die Kinos getrieben hat, könnte auch dazu genutzt werden, bei Beginn der Produktion 23 Millionen von ihnen dazu zu bringen, 5 US$ für ein Kinoticket vorzustrecken. Derzeit realistischer wird in der jungen P2P-Funding-Szene eine Mischfinanzierung diskutiert: Hat ein Projekt Vorleistungen von 50.000 Euro angezogen, ist das ein Signal für kulturelle Risikokapitalanleger, Stiftungen, die öffentliche Kulturförderung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk usw., dass hier ein erfolgversprechendes Werk entsteht, und in die Produktionsfinanzierung einzusteigen.
Vor allem hat Cameron die Millionen ja offensichtlich zusammenbekommen und um ein Vielfaches wieder eingespielt – und das, obwohl allen Beteiligten klar war, dass der Film nicht nur in den Kinos ein Hit werden würde, sondern genauso in Filesharing-Netzen und im nichtautorisierten Straßenhandel in aller Welt. Weder P2P-Funding noch die Tauschlizenz änderten daran etwas, nur dass beide zusätzliche Einnahmekanäle eröffnen.
Schließlich wäre zu fragen, ob die Welt eine schlechtere sei, wenn “Avatar” nicht produziert worden wäre. Aber das ginge hin zu einer inhaltlichen Kulturwertung. Solange die Welt von high-tech Märchen betrogen werden will, wer soll’s ihr verwehren?
Der springende Punkt: Castendijks Argument darf natürlich nicht herhalten, um eine Orwellsche Online-Umwelt zu errichten. Wenn der Preis für Avatar digitaler Stacheldraht und Gesetze über die digitale Todesstrafen sind, dann verzichte ich gern auf Avatar.
21Diese kann die starke Form eines „Sunset Laws“ annehmen, das automatisch z.B. nach fünf Jahren ausser kraft tritt, falls es nicht verlängert wird, oder zumindest mit einer Überprüfungspflicht alle zwei Jahr ausgestattet werden, wie das bei der Infosoc-Richtlinie und dem DMCA auch ist.
22Unproblematisch sind freilizenzierte (GPL, CC) und gemeinfreie Werke. Zum Anteil an urheberrechtsverletzenden Nutzungen in BitTorrent siehe Layton/Watters, Investigation into the extent of infringing content on BitTorrent networks (2010).
23Man darf annehme, dass Sony-BMG mit ihrem Rootkit-Skandal von 2005 der DRM-Vision endgültig den Todesstoß verpassten (vgl. Grassmuck, Of Price Discrimination, Rootkits and Flatrates, 19 February 2006).
25Siehe dazu auch Netzpolitik.org. Zur abschüssigen Bahn von “freiwilliger” “Soft-Law” “Selbstregulierung” zu Zensur siehe das EDRi-Discussion Paper von Joe McNamee.
26Z.B. “Denkbar wären auch je nach Geschwindigkeit des Internetzugangs gestaffelte Pauschaltarife. Diese hätten den Vorteil einer höheren Einzelfallgerechtigkeit.” Juristisches Machbarkeitsgutachten des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) für die Grünen, 2009.
27Der Leuchtturmbetreiber kann keine nichtzahlenden Schiffe von seiner Orientierungsdienstleistung ausschließen. (Fast) beliebig viele Schiffe können gleichzeitig davon profitieren, ohne den Wert für andere zu mindern. Versteht man den Leuchtturm als Informationsquelle (“Achtung! Gefährliche Untiefen!”), dann liegt die Analogie zum Internet nicht fern. Die Lichtmetapher leuchtet wie ein Richtstrahl durch die Geschichte unserer Wissensordnung, von der Aufklärung bis zu Mark Stefiks Ursprungsmanifest der DRM-Vision “Letting Loose the Light” (1996).
28Der Klassiker: 1714 schrieb das britische Parlament ein Preisgeld von 20.000 Pfund aus für die Erfindung einer Uhr, die es Seefahrern erlaubte, den Längengrad zu messen. Eine lange Kette von ökonomischen und politischen Denker, so Fisher, habe geraten, diese Strategie breiter einzusetzen. Siehe aktuell z.B. die X Prize Foundation und die Initiativen von James Love and Tim Hubbard, um die Entwicklung essentieller Medikamente mit Hilfe von Preisen zu finanzieren und freilizenzieren (Beispiel: Open Source Dividend).
29Eine Annahme, die im übrigen inzwischen als widerlegt gelten darf. Siehe Ernst Ulrich von Weizsäcker (Hrsg.), Grenzen der Privatisierung, 2006. Fisher setzt, sicher für den kostenintensiven Start des Systems, statt den von ASCAP für 1998 angegebenen 16 Prozent für das ACS 20 Prozent an.
30Empirisch umstritten wie eine Übersicht über die Forschungsliteratur ergibt.
31Er nennt drei Gründe: 1. Ein Widerstand würde lauten: ‘Ich lade nicht runter, warum soll ich bezahlen?’ Worauf Fisher daran erinnert, dass kinderlose Steuerzahler auch für Schulen aufkommen. 2. Die für die Kreativen erhobene Steuer könne leicht für andere Zwecke verwendet werden, was weniger eine in den USA weniger verbreitete Sorge sei, wohl aber in Entwicklungsländern. 3. Menschen würden protestieren, dass ihre Steuern Porn, frauenfeindlichem Rap und gewalttägigen Filmen zugute käme. Vor einigen Jahren hätten ähnliche Vorwürfe zu einer Zersetzung des National Endowment for the Arts geführt. Alle drei Argumente werden natürlich auch gegen eine Urheberrechtsabgabe vorgebracht.
32Angewendet auf Google selbst lässt sich schließen, dass nur ein öffentlich organisiertes System für Suche, Übersetzung usw. usw. kulturelle Vielfalt und eine faire Honorierung sichert. Kündigt sich hier eine Initiative an, dass Google seine Dienste zu öffentlichen Gütern erklärt und sie der Regierung oder wohl passender der UNO unterstellt? Aber vielleicht lese ich auch zu viel in diese Aussage hinein.
33Hier ein Video, das erklären soll, wie’s funktioniert und das offizielle Video zum Gesetzentwurf.
34“Since 1990, the United States has treated the air itself as national property, capping the air’s use for certain types of pollution and then granting individually-held Tradeable Environmental Allowances (‘TEAs’) for limited pollution rights. Other countries, notably Australia and New Zealand, have adopted similar programs for limited but tradeable individual rights in portions of certain fish stocks. As with intellectual property rights, the major objective of TEAs appears to be the encouragement of appropriate levels and directions of investment. When polluters have to buy TEAs, they may think about investing in prevention instead, and when fishers must buy fishing allotments, they may think about using their boats for something other than fishing. Currently, TEAs are in force only in very limited spheres, despite the enormous theoretical interest in them. Putting aside the political problems, it is still too expensive and complicated to work out tradeable rights in most complex ecosystem resources. But this does not prevent calls for more.” (Carol Rose, Romans, Roads, and Romantic Creators: Traditions of Public Property in the Information Age, 2003).
35Und muss seit dem am 1.1.2009 in kraft getretenen § 54d UrhG auf Endkundenrechnungen separat ausgewiesen werden.
36Die hat das Bundesverfassungsgericht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einem Urteil von 1986 aufgetragen, ohne jedoch genauer definieren zu können, was sie beinhaltet.
37Die aktuellsten offiziellen Zahlen, die ich gefunden habe (vom Statistischen Bundesamt) sind von 2009. Danach gab es damals 29 Millionen private Haushalte mit Internet und 23 Millionen davon mit Breitbandanschluss. Dass bis Mitte 2011 nur zwei Millionen dazugekommen sind, scheint mir eine konservative Annahme. Falls jemand aktueller Zahlen hat, wäre ich für einen Hinweise dankbar.
38Vorschläge, die renitenteste unter den Kulturindustrien einfach kollektiv aufzukaufen und dann in öffentlicher Hand weiterzuführen, sind nicht wirklich ernstzunehmen.
39PCs mit eingebautem Brenner: € 17,0625 je Stück, PCs ohne eingebauten Brenner: € 15,1875 je Stück, zum Einbau bestimmte Brenner: € 1,875 je Stück.
40Dort heißt es zunächst, 2010 verzeichne die GEMA einen Ertrag von 863 Mio. € und eine Steigerung von 22 Mio. €. “Maßgeblichen Anteil an diesem positiven Gesamtergebnis haben allerdings einmalige Nachzahlungen, die die GEMA und andere Verwertungsgesellschaften für den Zeitraum 2002 bis 2007 aus der Geräteabgabe für PCs erhalten haben.” S. 22 vermeldet aus der “Direktion Inkassomandate” (ZPÜ + Zentralstelle Bibliothekstantieme (ZBT)) ein Plus von 43,574 Mio. € (“Diese Entwicklung ist geprägt durch die PC-Vergütungen für die Jahre 2002 bis 2007.”) und bei den Erträgen aus “Verwertungsrechten und Vergütungsansprüchen” ein Plus von 22,680 Mio. €.
Unter “Die Erträge im Einzelnen” heißt es dann auf S. 23: “Erträge aus der Wahrnehmung von Inkassomandaten” minus 27,697 Mio. €, aber “Erträge aus Vergütungsansprüchen nach § 54 UrhG (Private Vervielfältigung)” plus 43,698 Mio. €. Ob es sich bei der unter “Inkassomandate” genannten Zahl nur um den bei der GEMA verbleibenden Anteil handelt oder um den Gesamtbetrag, den sie in ihrer Funktion als ZPÜ für alle acht Verwertungsgesellschaften eingesammelt hat, erschließt sich daraus nicht. Ebenso wenig, warum bei den Inkassomandatenen einmal ein Plus und an anderer Stelle ein Minus vermeldet wird.
41Bei den Verhandlungen über Drucker, Scanner, Fax- und Multifunktionsgeräte war es die Industrie, die eine empirische Studie zur Nutzung der verschiedenen Gerätetypen vorgelegte.
42Die VG Wort z.B. unterhält das Autorenversorgungswerk, den Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft und den Sozialfonds. Die VG Bild-Kunst betreibt das Kulturwerk und das Sozialwerk.
43Audio-Fingerprint-Überwachung von off- und online-Streams ist das heute übliche Verfahren zur Markbeobachtung durch Musik- und Medienindustrie und zur Erstellung von Airplay-Charts (z.B. die deutschen Radio-Charts gemessen von Music Trace). YouTubes ContentID-System basiert auf der gleichen Technologie. Verschiedene Verwertungsgesellschaften verwenden das Verfahren ebenfalls, z.B. die brasilianische ECAD mit ihrem laut dieser Quelle 2008 eingeführten Tec Sound. Ob die GEMA auch dazu gehört, konnte eine Web-Recherche nicht klären, die nur den Hinweis in einem Artikel von 2007 ergab, dass das prinzipiell möglich wäre.
44Selbst der Blur-Banff-Vorschlag, der dem des CCC am nächsten kommt, sieht als Basismechanismus eine verhältnismäßige Ausschüttung vor. Mehr dazu im folgenden Abschnitt.
45Vilfredo Pareto fand Anfang des 20. Jahrhunderts heraus, dass ca. 20% der Familien in Italien ca. 80% des Volksvermögens besitzen. 80% der Beschwerden kommen von 20% der Kunden eines Unternehmens, 80% der Versicherungsleistungen werden von 20% der Versicherten in Anspruch genommen, usw.
46“There was much discussion of the “Britney” effect – most of the money now goes to a handful of famous artists, making them fabulously wealthy while other artists barely eke out an existence.”
47Aufgeschrieben von James Love, der folgende Teilnehmer namentlich erwähnt: Sara Diamond, Alan Toner, Jamie King und Ted Byfield.
48“There were after all, lots of areas where buyers or sellers now choose intermediators for various tasks. For example, companies who sell stocks choose exchanges to list shares, and the various exchanges compete against each other for the public’s trust. The more the exchange is trusted, the more access to investor support.”
49“Anything would be possible. For example, an intermediator might propose to: 1. Give all the money to performances of a specific genre of music, such as African music, American jazz, or performances of classical music 2. Ensure that 15 percent of the revenue supported retired blues artists that are down on their luck 3. Allocate all money on the basis of the volume of downloads 4. Allow the listeners to directly allocate fees to specific artists This is to mention only a few possibilities discussed in the workgroup.”
50Für 2010 hier, für 2011 hier und – leider unsortiert – bei Flattr selbst.
51Wie bei Regierungswahlen, Sozialwahlen, Vorstandswahlen in der eigenen Verwertungsgesellschaft etc.
52Die Ausländergleichbehandlung hat durchaus ihre problematischen Seiten. So wird in Deutschland Privatkopieren vergütet, in den USA unter der Fair Use-Doktrin aber nicht. Britney wird in Deutschland kopiert, wofür Zahlungen eingenommen werden, die an ihre US-Verwertungsgesellschaft überwiesen werden. Grönemeyer erhält für die Privatkopien seiner Werke in den USA nach der Inländerregel nichts.
53“Zur Folgenabschätzung („Impaktstudie“ vom Oktober 2005) holte die Kommission bei 85 Branchenvertretern Stellungnahmen ein. Dabei zeigte sich, dass Option Nummer eins von der Branche einstimmig abgelehnt wird. Bei den Optionen 2 und 3 indessen gehen die Meinungen auseinander. Musikkonzerne, Produzentenverbände, Radiosender, europaweit ausstrahlende TV-Spartenkanäle wie MTV, Online-Musikhändler sowie der Dachverband der europäischen Verbraucherschützer (Bureau Européen des Unions de Consommateurs – BEUC) favorisieren das zweite Szenario. Auch die meisten Verwertungsgesellschaften sprechen sich für Option 2 aus, verlangen aber Änderungen. Demgegenüber befürworten Musikverlage, unabhängige Plattenfirmen sowie eine Minderheit der Rechteverwerter das dritte Szenario.” (Margreet Groenenboom, Europäische Kommission. Empfehlung zur Online-Verwertung von Musikrechten, IRIS 2005-10:5/5)
54Angekündigt in der Kommissions-Kommunikation “A Single Market for Intellectual Property Rights”, COM(2011) 287 final, Brussels, 24.5.2011
55Vgl. Carol Rose, Romans, Roads, and Romantic Creators: Traditions of Public Property in the Information Age, 2003.
56Dass es ein Markt ist, der nach Ansicht des CCC die digitale Allmende schafft, mag auf den ersten Blick absurd erscheinen, ist aber nur folgerichtig. Wenn es sich bei der Allmende um kollektiv bewirtschaftete Produktionsmittel handelt, dann kann sie nach innen frei sein und in ihrem Außenverhältnis marktförmig agieren. Zu dieser Unterscheidung von Innen- und Außensicht s.a. Dmitry Kleiner, Telekommunist Manifesto.
57Es sei denn man hat wie Bob Marley Work-for-hire-Verträge abgeschlossen. Dann hat man schon zu Lebzeiten kaum etwas von seinem Erfolg gehabt, geschweige denn die Hinterbliebenen.
58Am nachdrücklichsten Lawrence Lessig (z.B. in Remix, 2008, S. 262 ff.). Seit März liegt eine erste systematische Untersuchung zu der Frage vor: Stef van Gompel, Formalities in Copyright Law, Kluwer Law, 2011.
59Wieso und in welcher Form die Bundesländer beim Einsammeln der Vergütung helfen sollen, bleibt unerklärt. Weil Kultur Ländersache ist? Weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk föderal organisiert ist?
60Einführung in eCash auf der Wayback Machine (archived October 9, 1997) und was heute daraus geworden ist: ECashDirect. S.a.: http://www.chaum.com/
61P2P Virtual Currency. Das ursprüngliche Paper von Satoshi Nakamoto. MtGox Live Währungs-Ticker. Liste von Sites, die Bitcoin annehmen.
62Zur Diskussion darüber siehe Kaitlin Mara und William New, Should WIPO Lead Creation Of A Global Repertoire Database? Intellectual Property Watch, 22.11.2010.
63Ein Kuriosum am Rande: “FAQ: Physische Werke (Plastiken, Bilder etc.) kommen in einen Kunstwerke-Pool, aus dem sich die deutschen Museen für Ausstellungen bedienen können. Werke, die den monetären Schwellwert für den Übergang in die Allmende nicht erreichen, können auch in rein digitaler Form archiviert und ansonsten im physischen Besitz des Künstlers belassen werden.“ Nach Erreichen des pekuniären oder temporären Schwellenwerts kommt also jemand von der „Bundeskunstkammer“ beim Künstler vorbei – oder wahrscheinlicher: beim Sammler – und holt das Werk ab? Welche Nutzungen hier mit den KWM-Zahlung abgegolten werden sollen, ja, welches Problem der CCC damit lösen will, ist mir schleierhaft. Die Idee ist so weit entfernt von den kreativen und Nutzungspraktiken in der bildenden Kunst, dass ich sie ohne weiteren Kommentar stehen lasse.
64DRM hat für einige Jahre ernsthaft die Idee genährt, damit könnte jegliche Nutzung bis hin zur Privatkopie individuell lizenziert werden. Urhebervergütungen und Verwertungsgesellschaften würden dadurch überflüssig (vgl. Hugenholtz, P. Bernt; Lucie Guibault and Sjoerd van Geffen, The Future of Levies in a Digital Environment (2003)).
651777 organisierte Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais Theaterautoren, deren Werke ohne Vergütung an sie aufgeführt wurden. Das Bureau de Législation Dramatique (BLD) war die erste Autorenrechtsvereinigung der Welt. Seine Aktivitäten führten 1791, noch während der Französischen Revolution, zum ersten Urheberrechtsgesetz. Dann begann das BLD auch die Rechte von Theatermusikkomponisten wahrzunehmen und benannte sich in Bureau de Perception des droits d’auteurs et compositeurs um. 1798 trat eine konkurrierende Verwertungsgesellschaft auf den. Die beiden fusionierten 1829 zur Société des Auteurs et Compositeurs Dramatiques (SACD).
661847 lauschte Chanson-Komponist Ernest Bourget zusammen mit zwei Kollegen in einem Pariser Konzert-Café ihren eigenen Musikstücken. Da sie für ihre Musik nicht bezahlt wurden, weigerten sie sich für ihren Kaffee zu bezahlen. Der Streit ging vor Gericht. Das entschied zugunsten der Autoren. 1850 gründeten sie die Agence Central, aus der ein Jahr später die Société des Auteurs, Compositeurs et Editeurs de Musique (SACEM) wurde. Sie zieht die Tantiemen für alle nichtdramatischen Musikaufführungen ein (Kleines Recht vs. Große Recht der musikalischen Bühnenwerke).
67Detailliert s. z.B. den GEMA Berechtigungsvertrag.
68Siehe z.B. die Einnahmenzuwächse der brasilianischen ECAD. Dieser Text von Will Page, Chefökonom der britischen Musikverwertungsgesellschaft zeigt, dass in der Umgewichtung von individuellen zu kollektiven Transaktionen die Umsätze in der brasilianischen Musikindustrie von 2005 bis 2009 gleich geblieben sind.
69http://www.elpais.com/articulo/cultura/Teddy/Bautista/directivos/SGAE/imputados/apropiacion/indebida/administracion/fraudulenta/elpepucul/20110703elpepucul_1/Tes
70Ausnahmen sind England, Irland, Malta, Zypern und Luxemburg.
71“In many countries, there is a confusing reluctance to acknowledge that any consumer permissions are associated with levy payments.” (Kretschmer, Study I, S. 14)
72Für einen bestimmten Drucker reicht die Vergütung von €0,72 und €56, für einen bestimmten mobilen Musik-Player von €1,42 bis €19,40.
73Rühmliche Ausnahme: die niederländische BUMA/STEMRA.
74STIM, Pirates, file-sharers and music users. A survey of the conditions for new music services on the Internet, February 2009, nicht mehr online, on file with author.
75Nicht mehr online, on file with author.
76Z.B. die Polster-Flatrate eines Matratzenanbieters, wobei mit “Flatrate” hier offenbar eine Ratenzahlung von 50 Euro im Monat ohne Zinsen und Gebühren gemeint ist.
77Die Noank-Media Website ist gerade offline gegangen und aktuell nur auf der Wayback Machine zu sehen. Ein kurzer Bericht von Janko Röttgers vom Mai 2009 findet sich hier.
78Das Internet-Credo formuliert von David Clark auf einer IETF-Konferenz in Japan 1992: “We reject kings, presidents and voting. We believe in rough consensus and running code”.
79Die Konstruktion – a covenant not to sue – hat Jim Griffin für Choruss gewählt. Für das gesellschaftsweite System ist sie wahrscheinlich ungeeignet (s. Bennett Lincoff, Choruss’s Covenant: The Promised Land (Maybe) For Record Labels; A Lesser Destination For Everyone Else, Intellectual Property Watch, 17 March 2009), für das Pilotprojekt aber völlig hinreichend.
80Der Hargreaves-Report hat zementiert, was James Boyle und viele andere seit Jahren predigen: evidence-based policy making.
Sory, aber wie kommen Sie auf das Brett, daß eine pauschale Erhebung von “Gebühren” für jeden Internetzugang dem dem Gerechtigkeitssinn Publikums entspricht. Wenn Sie mit Publikum die meinen, die sich an dem aktuell üblichen Spielchen des hemmungslosen “tauschens” beteiligen, mögen Sie ja recht haben, aber mitnichten, wenn es sich um (durchaus auch existierende) Mitmenschen geht, die zwar über einen Internetzugang verfügen, sich dem aber aus was auch immer für Gründen verwehren. Dann geht es um eine Umkehrung des Solidaritätsprinzips zugunsten der “Bösen”, was mit Sicherheit nicht nur ich absolut nicht einsehe. Darüberhinaus zwingt niemand die Kreativen, Ihre Kreationen derart zu veröffentlichen, daß sie von jedermann kopiert werden können.
Lieber Volker,
ich bin sicherlich nicht prinzipiell gegen eine (wie auch immer geartete) Kulturflatrate. Ich bin allerdings strikt dagegen, pauschal allen Internetusern diese Kulturflatrate aufzuzwingen. Ob Du es glaubst oder nicht: es gibt Leute, die ihren Internetanschluß dazu brauchen, um urheberrechtlich geschützte Werke weder zu tauschen noch zu vervielfäligen und eine zwangsweise Einführung der Kulturflatrate für alle Internetuser wäre für diese Leute nichts weiter als Betrug.
Irgendwie scheinst Du bei der “Kulturflatrate” nicht zu verstehen, daß die Kulturflatrate eben nicht dazu dienen soll, den Rechteinhabern die Taschen und Konten zu füllen, ohne daß diese eine Gegenleistung erbringen. Die Kulturflat ist lediglich ein Ansatz, um die p2p-User zu entkriminalisieren und deren Handeln zu legalisieren. Dabei geht es garnicht um Kultur, es geht lediglich um Kommerz und letztendlich nur um Geld. Und auch aus diesem Grund ist es nicht einzusehen, daß alle Internetuser pauschal für die Handlung der p2p-User “in Regress” genommen werden.
Nochmal: ich bin nicht pauschal dagegen. Aber die Inanspruchnahme der “Kulturflatrate” muß eine freie Willensäußerung der jeweiligen Internetuser sein. Wenn Du sagst, die Kulturflatrate soll an den Internetanschluß gekoppelt werden, dann hat dies eine optionale Funktion zu sein, die an auch abwählen kann.
Ja, mir ist klar, daß die die Motivation der Internetuser nicht übermäßig hoch sein wird, diese 5 Euro zu bezahlen. Es wird auch p2p-User geben, die diese 5 Euro nicht beahlen werden wollen. Aber das ist mir vollkommen egal, denn das ist nicht _mein_ Problem und ich bin mit dem gegenwärtigen Zustand vollkommen zufrieden. Und ich wüßte absolut keinen Grund, warum eine Vielzahl von Leuten gezwungen werden sollen, für eine Leistung bzw. ein “Recht” zu bezahlen, welches sie nicht in Anspruch nehmen, nur damit einige Wenige dann straffrei irgendwelche Dateien tauschen können. Eine Verteilung der Kosten für die Kulturflatrate auf alle Internetuser stellt sicherlich einen Weg dar, um die Höhe der Einnahmen sicherzustellen. Allerdings bleibt so die Gerechtigkeit auf der Strecke.
Langer Text mit dem Fazit, dass die Kulturwertmark/”Kulturflatrate mit manueller Verteilung” wohl doch nicht so schlecht ist wie zwischendurch angedeutet und das die Alternative eben doch nur eine “zweite GEMA” wäre, die dann eben mehr auf Umfragen/Testpersonen statt Verkäufe setzt.
Ein paar Anmerkungen:
1. Das Konzept der Kulturwertmark basiert nicht auf einem Zahlungssystem, sondern der Idee der “Kulturflatrate mit manueller Verteilung” (http://wiki.piratenpartei.de/Kulturflatrate_mit_manueller_Verteilung), sodass die KWM nicht einfach durch Flattr oder BitCoin oder sonst etwas ersetzt werden kann. Der CCC hat dabei allerdings den Abstimmungsvorgang durch die Verwendung von David Chaums System der digitalen Münzen anonymisiert.
2. Daher ist die “Zwangsverteilung” der nicht angegeben KWM auch keine Anlehnung an die GEMA, sondern folgt dem demokratischen Prinzip bei Wahlen, dass Nichtwähler im Grunde für die prozentuale Sitzverteilung des Wahlergebnisses der aktiven Wähler stimmen.
3. Ich vermisse bei der ganzen Analyse die aktuellen Entwicklungen vom Filesharing-Bereich hin zu “abmahnsicheren” Systemen, die sich eben dadurch auszeichnen, dass von außen NICHT nachvollzogen werden kann, wer wieviel herunterlädt, sodass auch keine entsprechenden Stichproben möglich sind. Allen voran Usenet-Anbieter und Sharehoster, die laut der neuesten DCN-Studie inzwischen die meist genutzte Filesharing-Methode überhaupt sind. Ach ja und diese Anbieter werden unter keinen Umständen irgendwelche internen Statistiken oder gar genaue Zahlen zu illegalen Downloads heraus geben, weil sie sich damit (auch international) juristisch extremst angreifbar machen würden. Der Text dreht sich viel um P2P, aber P2P ist bereits ein Phänomen von Gestern.
Ansonsten sollte man neben den nicht-technischen Zusätzen des CCC zur KWM, wie das ein
Künstler an seinem Werk die Rechte verliert und dieses unter Creative Commons Lizenz gestellt wird, sobald er mit diesem über das Kulturwertmark-System einen bestimmten Geldbetrag eingenommen hat
oder es eine bestimmte Zeit lang (5 Jahre) beim Kulturwertmark-System registriert war bzw. der künstlichen Grenze für “Superstars” die Missbrauchsgefahr noch näher beleuchten bzw. eben den Punkt ein “Pseudo-Werk” einzureichen und sich seine KWM selbst zuzuweisen (was wegen entgegen ihrer Vermutung aufgrund der Anonymität der Zuweisungen prinzipiell nicht hindert werden kann). Durch die vom CCC vorgesehene Möglichkeit KWM freiwillig dazu kaufen zu können wird diese Gefahr nur noch verschärft, weil man ja durch die Beteiligung an der Zwangsausschüttung aller nicht verteilten Kulturwertmark dabei sogar noch Gewinn machen würde.
Daher sollte wenn schon eine modifizierte Version der KWM getestet werden, die entsprechende Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung (Mindestauszahlungsgrenze, Verbot des Kaufens oder Anbietens von Kulturwertmark analog zu § 108b StGB) vorsieht! Entsprechende Vorkehrungen müssten auch bei der Integration des KWM-Konzepts als optionale Vergütungsform in die “Tauschlizenz” vorgenommen werden.
Siehe dazu:
http://wiki.piratenpartei.de/Modifizierte_Kulturwertmark
@ Stephan:
Die Begründung für den Zwangscharakter der Kulturflatrate ist juristischer Natur und zwar in dem Sinne, dass der Staat auf die individuelle Rechtsdurchsetzung verzichtet, weil dies ohne umfassende Überwachungsmaßnahmen im privaten Bereich (Beispiel Zwangsabgaben auf CD-Rohlinge) bzw. Aufhebung der Anonymität im Internet nicht möglich ist und daher die Urheber über eine Pauschalabgabe vergütet werden sollen. Wenn du ein Problem mit der Kulturflatrate hast, musst du andererseits für Vorratsdatenspeicherung für IPs bei Internetanbietern, Anonymisierungsdiensten, Vidediensten, Sharehostern und Usenet-Anbietern sowie Websperren zur Blockade unkooperativer ausländischer Anbieter stimmen.
Was ich mir wünschen würde wäre eine Plugin zu Azureus, welches bei jedem Download die Datei prüft, den Urheber ermittelt und ihm direkt einen “Punkt” gutschreibt. Am Ende des Monats werden alle Punkte aufsummiert und jeder Urheber erhält seinen Anteil aus dem Top. Der Topf könnte z.B. über eine KWM gefüllt werden.
Wichtige Punkte:
– Es sollte nur eine kleine Organisation geben, welche diese Server betreibt (also nicht die GEMA), damit möglichst viel vom Geld bei den Urhebern ankommt. Der ganze Prozess sollte so weit wie möglich automatisiert sein.
– Wenn die Datei gefunden werden kann, dann hat man auch eine Gewähr, dass man sich keinen Virus eingefangen hat
Ungelöste Probleme:
– Wie erkennt man eine Datei? Prüfsummen sind unbrauchbar, weil man nur ein Bit an der Datei ändern muss, um sie “unkenntlich” zu machen. Ideal wäre eine qualifizierte Signatur, aber praktisch kein Container-Format unterstützt bisher eine solche Unterschrift.
– Was ist mit ausländischen Werken?
– Was ist mit Werken, bei denen tausende von Leuten mitgewirkt haben (Filme, …)?
@Einseitige Sicht: “Gerechtigkeitssinn” bezieht sich hier auf die Art der Verteilung, nicht die Einzahlung.
@Einseitige Sicht, Stephan: Die Vergütungszahlung freiwillig zu machen, z.B. per Optout, hat sicher Vorteile, aber auch Nachteile. Wir müssten eine durchsetzbare Grenze einziehen, z.B. mit einer im Internet erkennbaren Markierung “ich habe bezahlt” oder den Überwachungsmaßnahmen, die Mat11001 nennt. Der Anreiz für die ganze Infrastruktur von Abmahnindustrie, Hausverbot im Internet, Internet-Filterung etc. bestünde weiter. Und die Kosten dafür tragen ebenfalls wir alle, als Steuerzahler und Internet-Nutzer, ohne Möglichkeit des Optout. Umgekehrt zahlen wir auch alle die Privatkopiepauschale auf Kopiergeräte und Leermedien, gleich, ob wir Urheberwerke anderer kopieren oder nicht. Und wir zahlen alle Rundfunkgebühren, auch wenn wir keine öffentlich-rechtlichen Sender schauen. Klar können wir den Kreativen sagen, sie sollen ihre Werke unter DRM veröffentlichen, aber auch das hat schwerwiegende Folgen für die ganze digitale Infrastruktur. Auch ich bin nicht pauschal gegen ein Optout, aber möchte zu Bedenken geben, dass die Abwägung komplizierter ist, wenn ich nicht nur _mein_ Problem betrachte, sondern unsere gemeinsame Digitalwelt.
Weitere Diskussion von Pauschalen unter Ist das nicht sozial ungerecht?
@Mat11001: Ja, nach allem, was wir wissen, verlagert sich die Tauschaktivität von klassischen P2P-Protokollen zum Tauschen über Sharehoster, deshalb kann die Tauschlizenz natürlich nicht technologiespezifisch sein. Und wir wollen in der Tat nicht, dass die, wie auch nicht die ISPs, überwachen, was ihre Nutzer tun. Die Stichproben können also nicht an den Quellen ansetzen, sondern nur beim Empfänger. Mit freiwillig installierten Plugins.
Aber es bleibt die grundsätzliche Frage: Wie kann man eine “Angemessenheit” begründen, wenn man tatsächliche Nutzung von Werken und “manuelle Verteilung” der Vergütung entkoppelt?
@Aaron Digulla: Eine der integrierten Medienumgebungen hat bereits zugesagt, im Rahmen des Pilotprojekts so ein Plugin zu entwickeln. Wenn das gelingt, inclusive Datenschutz natürlich, bin ich zuversichtlich, dass wir das auch für Azureus/Vuze, Miro, Firefox usw. anpassen können. Für die Werkerkennung scheinen (Audio- und Video-)Fingerprints das Mittel der Wahl zu sein. Aber was machen wir mit Containern? Jemand eine Idee?
Für ausländische und kollektive Werke haben die Vewertungsgesellschaften Lösungen. Wie man die verbessern kann, wird zu diskutieren sein.
Medienforscher plädiert für Praxistest der Kulturflatrate, Stefan Krempl, Heise News, 13.10.2011
@ vg:
“Aber es bleibt die grundsätzliche Frage: Wie kann man eine “Angemessenheit” begründen, wenn man tatsächliche Nutzung von Werken und “manuelle Verteilung” der Vergütung entkoppelt?”
Die Begründung wäre, dass die Nutzer doch für die Künstler stimmen würden, deren Werke sie nutzen und die sie daher belohnen oder zur Schaffung neuer Versionen davon animieren möchten. Vielleicht käme gerade bezüglich kleineren Künstlern sogar eine bessere Verteilung heraus, als bei irgendwelchen GEMA-Schlüsseln.
Und beim “GEMA-Modell” setzt man bei Umfragen ect. ja ebenfalls auf den Good-Will der Nutzer. Umgekehrt könnte ich mir vorstellen, dass dort auch beim Versprechen die Daten vertraulich zu behandeln z.B. der Konsum von Pornographie verschwiegen wird, obwohl das von der “Tauschlizenz” ja auch adäquat erfasst werden müsste, während die Zuweisung von KWM technisch anonym erfolgt.
Die Kulturwertmark müsste aber eben wie die “Modifizierte Kulturwertmark” so gut es geht gegen Missbrauch gesichert werden, so wie man auch bei demokratischen Wahlen Maßnahmen gegen Wahlbetrug trifft. Man kann daher die KWM nicht einfach direkt durch Flattr ersetzen. Die KWM ist ein Wahlsystem kein Bezahlsystem.
“Aber was machen wir mit Containern? Jemand eine Idee?”
Meinen sie damit Medien-Container wie .AVI? Youtube setzt diesbezüglich auf die Erzeugung digitaler Fingerabdrücke, die mit einer Datenbank mit den Fingerabdrücken der Werke abgeglichen wird, auf deren Schutz die Rechteinhaber bestehen.
Oder beziehen Sie sich darauf, dass es gerade im Sharehoster-Bereich üblich ist die Werke in Form gesplitteter und verschlüsselter RAR-Archive zu verbreiten, um eben die Filtersysteme der Hoster zu umgehen? Hier müsste man direkt auf dem PC das Nutzers ansetzen.
Ich würde empfehlen sich diesbezüglich an die JDownloader-Entwickler zu wenden. JDownloader hat quasi die absolute Monopolstellung im Bereich der Sharehoster-Downloadmanager und entschlüsselt nach dem Download die Container automatisch, sodass das Programm analog zu einem BitTorrent-Plugin auch eventuelle Fingerprints der heruntergeladenen Werke bilden könnte. Die Entwickler sind eigentlich sehr nett und neuen Ideen immer aufgeschlossen.
http://jdownloader.org/
@Mat11001:
“dass die Nutzer doch für die Künstler stimmen würden, deren Werke sie nutzen”
Ah, wir sind uns also einig, dass eine verhältnismäßige Verteilung grundsätzlich die gerechteste ist. Dann müssen wir schauen, welche Abweichungen davon es bei einer manuellen Verteilung gibt. Ich habe im Text Vermutungen angestellt über mögliche Motive für eine Abweichung. Empirisch festzustellen, was Menschen machen, ist Ziel des Pilotprojekts. Dann können wir bewerten, ob das eine bessere Verteilung ergibt, als eine möglichst genaue Erhebung der Nutzung.
Danke für die sehr gute Idee mit dem JDownloader. Das könnte ein weiteres Stück in dem Puzzle sein, das langsam ein vollständiges Bild ergibt.